So einen Gipfel hat die Welt noch nicht gesehen: Vor wenigen Monaten noch stand nur die Idee im Raum, kurzfristig eine Fachkonferenz renommierter Ernährungsexperten einzuberufen. Noch Anfang des Jahres hätte kaum ein Politiker und keine Zeitung der Welt davon Notiz genommen. Nun ist daraus in Rekordzeit ein "Gipfel zur Welternährung" geworden: Mehr als 40 Staats- und Regierungschefs sowie rund 1000 Journalisten aus aller Welt diskutieren ab Dienstag in Rom drei Tage lang, warum der Welt das Essen auszugehen droht.
Was ist in der Zwischenzeit geschehen? Und was muss jetzt geschehen, um die ausgebrochene Welternährungskrise zu meistern?
Laut Weltbank könnte ein "stiller Tsunami" über 100 Millionen Menschen dem Hunger ausliefern. Ein neues Phänomen geht bereits um die Welt: "Food riots" greifen um sich, Aufstände von Hungrigen brechen weltweit von Haiti über Senegal bis nach Pakistan aus - selbst Regionalmächte wie Mexiko und Indonesien bleiben nicht verschont. In Haiti haben sie bereits zum Sturz der Regierung geführt. Mehr als 30 Staaten gelten als gefährdet. Sicherheitsexperten nennen Nahrungsmangel heute als Friedensrisiko in einem Atemzug mit Rohstoffen wie Wasser und Öl.
Zur Person
Ralf Südhoff ist Leiter des UN World Food Programme (WFP) für Deutschland, Österreich und die deutschsprachige Schweiz. WFP ist die größte humanitäre Organisation der Welt und für die Nahrungsmittelhilfe der Vereinten Nationen verantwortlich.
Warum rebellieren die Menschen? Weil Nahrungsmittel so rasant teurer geworden sind wie nie. Allein zwischen März 2007 und 2008 sind die globalen Getreidepreise im Schnitt um 86 Prozent gestiegen. Bestimmte Getreidearten sind für die Armen in aller Welt häufig das wichtigste, wenn nicht das einzige Nahrungsmittel. Die Folgen sind verheerend: Arme Familien mussten schon bisher mindestens zwei Drittel ihres mageren Einkommens nur für Essen ausgeben. Kostet dies plötzlich das Doppelte, ist die Katastrophe programmiert - außer wir tun etwas dagegen. Aber was?
Vor allem fünf Herausforderungen sind zu meistern:
1. Kurzfristig brauchen die Menschen
akute Nothilfe
. Sie sind mit einem "neuen Gesicht des Hungers" konfrontiert - sie sehen vielfach genug Essen in den Läden, aber sie können es schlicht nicht mehr bezahlen. Gleiches gilt für die Helfer: Das UN World Food Programme (WFP) ist die größte humanitäre Organisation der Welt, trotzdem muss auch WFP normale Marktpreise bezahlen. Ganz zu schweigen vom wachsenden Bedarf: Millionen neuer Hungernder brauchen unsere Hilfe - gleichzeitig war die Nahrungsmittelhilfe 2007 auf dem niedrigsten Stand seit Jahrzehnten.
2. Die beste Nothilfe ist zugleich eine Investition in die Zukunft. Wenn Millionen neuer Menschen sich plötzlich nicht einmal Essen leisten können, ist offenkundig, dass auch Entwicklungsländer einfachste
soziale Netze
benötigen. Andernfalls wird die Ernährungskrise zahlreiche Entwicklungserfolge der letzten Jahrzehnte zerstören, und das betrifft auch die Gesundheit, die Bildung, die Zukunftschancen von Millionen Menschen. Innovative und kostengünstige Modelle für soziale Netze sind vorhanden, die Sprungbetter in eine bessere Zukunft sind.
Dennoch drohen nun immer mehr Arme, in der Not ihre Kinder aus der Schule zu nehmen und so den Teufelskreis aus Hunger und mangelnder Bildung, Bildungsmangel und Hunger neu zu beginnen. Ihnen muss jetzt geholfen werden: Simple soziale Netze wie Schulspeisungen führen nachweislich zu deutlich höheren Einschulungsraten; Mädchen, die regelmäßig zum Unterricht kommen, erhalten auch Hilfen für ihre Familien und ihre Gesundheit und Ausbildung verbessern sich deutlich. So können die Familien den Teufelskreis des Hungers durchbrechen - wenn wir sie nicht allein lassen. 59 Millionen Kinder weltweit gehen derzeit hungrig zur Schule. Die Frage ist heute, wie lange ihre Eltern sie noch gehen lassen.
3. Die größte Herausforderung der aktuellen Krise liegt jedoch in der Landwirtschaft selbst: Eine
Agrarrevolution
steht an. Die Ära der Agrarüberschüsse ist vorbei. Wir müssen das Angebot an Nahrungsmitteln deutlich erhöhen, denn steigender Wohlstand in Asien und das Bevölkerungswachstum werden weiter für eine deutlich wachsende Nachfrage sorgen.
Sie muss vor allen in den Entwicklungsländern stattfinden, den dort hilft sie denjenigen, die unter der Welternährungskrise und zum Beispiel hohen EU-Agrar-Subventionen leiden. Dort ist das Potenzial für einen Boom des Angebots am höchsten: Afrikanische Kleinbauern holen im Vergleich zu etwa deutschen Bauern meist nur etwa ein Zehntel des Ertrags aus einem Hektar Land. Hier ist das Potenzial also riesig - doch das Gegenteil droht: Weil sich Kleinbauern die ebenfalls explodierten Preise für Inputs wie Saat und Dünger kaum noch leisten können, drohen viele ihrer Ernten im nächsten Jahr sogar auszufallen und die Krise könnte sich noch verschlimmern.
Mikrokredite für Saatgut, Beratung, einfachste Bewässerungskanäleund Sandpisten zum nächsten Markt fehlen - wer in Afrikas Kleinbauern nur geringe Mittel investiert, wird große Erträge ernten.
4. Dies erfordert zugleich eine
neu ausgerichtete Entwicklungspolitik
. Der Nachholbedarf ist auch so beträchtlich, weil die Landwirtschaft seit langem das Stiefkind der Entwicklungspolitik ist: Lag der Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe für den ländlichen Raum noch vor 25 Jahren bei 17 Prozent, so ist er heute auf vier Prozent gesunken.
Auch die afrikanischen Staaten haben zugesagt, mindestens zehn Prozent ihres Bruttosozialprodukts in die Landwirtschaft zu investieren - vielfach liegen die realen Investitionen deutlich niedriger. Dabei wäre Agrarentwicklung die beste Armutsbekämpfung: Drei Viertel der Armen weltweit leben auf dem Land - für sie könnte der aktuelle Boom eine riesige Chance sein.
5. Um diese einmalige Chance zu nutzen, muss auch künftig die Welternährungskrise
eine ganz neue Priorität
nicht nur für Experten, sondern die Staats- und Regierungschefs der Welt bekommen - so wie ab heute beim Welternährungsgipfel in Rom. Viele Staaten haben jüngst sehr großzügig reagiert und so wie Deutschland eine deutlich höhere Nothilfe bereit gestellt. Welche Chancen sich bieten, wenn dies kein Strohfeuer bleibt, verdeutlicht abschließend ein langfristiger Trend: Trotz aller genannten widrigen Umstände, trotz massiver Handelsbeschränkungen auf den Agrarmärkten vor allem des Nordens, trotz einer rasant zunehmenden Zahl von Konflikten und Naturdesastern, ist in den vergangenen Jahrzehnten ein dramatischer humanitärer Erfolg gelungen: Noch 1970 litten 37 Prozent der Weltbevölkerung Hunger. Heute sind es fast zwei Drittel weniger, rund 13 Prozent.
Wir haben also alle Mittel in der Hand, den Hunger zu besiegen. Wir können die Krise zur Chance werden lassen - und den drohenden Tsunami in einen Aufbruch verwandeln.