Hennes & Mauritz "... dann musst Du mit Deiner Kündigung rechnen"

Beim schwedischen Modekonzern Hennes & Mauritz wird die Arbeit von Betriebsräten offenbar systematisch behindert. Offiziell pflegt man das Bild einer glücklichen Firmenfamilie, doch wer aufmuckt, riskiert Lohnabzüge oder gar den Job. Ein Insider-Bericht.

Als Brigitte Glaab das Ungeheuerliche plant, ist sie gewarnt. In der Belegschaft des Lagers der Modekette Hennes & Mauritz (H & M) im unterfränkischen Großostheim erzählt man sich die Geschichte eines Lagerarbeiters, der das Gleiche versucht habe und vom Unternehmen gekündigt worden sein soll. Deshalb entschließt sie sich, konspirativ vorzugehen. Im Juli 2004 spricht sie diskret Kollegen an, von denen sie hofft, dass sie ihnen vertrauen kann. Außer Glaab weiß niemand, wer mit dabei ist. Was in Deutschland ein selbstverständliches Recht ist, gerät beim Textilhändler aus Schweden zur Geheimoperation: die Gründung eines Betriebsrats.

Dabei inszeniert das Unternehmen eine heile Modewelt: Man redet sich mit Du an, spendet für Erdbebenopfer in China und bildet Jugendliche in Bangladesch aus. H & M ist bunt, trendy und vor allem günstig. Für Kinder gibt es pinkfarbene Röcke, für die Mütter Tuniken und Sonnenbrillen für 4,90 Euro. Im vergangenen Jahr verkauften die Schweden weltweit Kleidung für über 9,7 Milliarden Euro und machten dabei einen Gewinn von mehr als zwei Milliarden Euro. Eigentlich eine Erfolgsgeschichte. Doch wer als Betriebsrat seine Kollegen im umsatzstärksten Land, in Deutschland, vertreten will, der läuft Gefahr, behindert zu werden, und muss sich seine Rechte oftmals vor Gericht erkämpfen. Nur in rund 80 der 325 Filialen gibt es eine Arbeitnehmervertretung. "H & M unternimmt vieles, um die Gründung von Betriebsräten zu verhindern", sagt Ulrich Dalibor, Bundesfachgruppenleiter Einzelhandel bei der Gewerkschaft Verdi.

Mitbestimmung offenbar wenig erwünscht

Das Unternehmen beteuert gegenüber dem stern "den Respekt vor der individuellen Entscheidung, einen Betriebsrat zu gründen". Doch H & M räumt ein, dass es "dazu kommen kann, dass unsere klaren Werte und Richtlinien nicht in der richtigen Weise umgesetzt werden oder persönliche Missverständnisse entstehen". Die Kündigung in Großostheim habe aber nicht in Zusammenhang mit Betriebsratsplänen gestanden. Karrieren von Arbeitnehmern, die sich für ihre Kollegen engagieren, können schon mal zu Ende sein. Marina Unterreiner zum Beispiel, Verkäuferin und Betriebsrätin in Rosenheim, soll eine Ausbildung zur Handelsassistentin in Aussicht gestellt worden sein. Doch nachdem die 25-Jährige Betriebsrätin geworden war, sei sie nicht einmal mehr zum Vorstellungsgespräch geladen worden. H & M dagegen behauptet gegenüber dem stern, es liege gar keine Bewerbung vor.

Auch Thomas Müssig, Lagerarbeiter und Betriebsrat in Großostheim, hätte bei H & M gern mehr erreicht. Im September 2004 kam nach seiner Erinnerung der Chef auf ihn zu und bot an: Wenn er sich aus dem Betriebsrat zurückziehe, dann könne er "mehr Verantwortung übernehmen". Müssig, der nur 1200 Euro netto verdiente, lehnte ab. "Solche Angebote sind ein klarer Verstoß gegen das Betriebsverfassungsgesetz", sagt der Würzburger Verdi-Gewerkschaftssekretär Peter König. Das Unternehmen kann einen "Zusammenhang mit einer Betriebsratstätigkeit nicht bestätigen". Während H & M in Schweden gut mit Arbeitnehmervertretern auskommt, ist Mitbestimmung in Deutschland offenbar weniger erwünscht. Die Leitung des Lagers in Großostheim schrieb im Februar in vorgeblich vertraulichem Ton ("Lieber Thomas") an den Betriebsrat Müssig, dass "der zeitliche Aufwand der Betriebsratstätigkeit schon in den (vergangenen) Monaten dazu führte, dass Du Deinen arbeitsvertraglichen Pflichten nicht mehr nachgekommen bist".

Gehaltskürzungen wegen Betriebsratsarbeit

Müssig wurden später 120 Euro vom Lohn abgezogen, seiner Kollegin, Katja Ruster, 111 Euro. Die beiden hatten im vergangenen Jahr an einem Gewerkschaftsseminar teilgenommen - angeblich ohne Ankündigung, was beide jedoch bestreiten. "Im Wiederholungsfall musst Du mit einer fristlosen Beendigung des bestehenden Arbeitsverhältnisses rechnen", schrieb der Filialleiter. Im März wurde Ruster wieder das Gehalt gekürzt, dieses Mal gleich um 405 Euro - weil die Betriebsratsarbeit nicht erforderlich gewesen sei. Ähnlich erging es drei Betriebsräten in Hannover. Vor Gericht konnten sich die Beschäftigten ihren Lohn meist doch noch erstreiten. Aber H & M trifft sie an einer empfindlichen Stelle. Katja Ruster etwa verdient nur 1120 Euro netto.

In manchen Filialen fühlen sich Betriebsratsmitglieder regelrecht gemobbt. Da gibt es Unterschriftensammlungen gegen Arbeitnehmervertreter. Verkäuferinnen werden während ihrer Betriebsratsarbeit häufig nicht ersetzt, sodass die übrigen mehr leisten müssen. Personalvertreter lassen keine Handtaschen mehr offen liegen, weil sie Angst haben, dass ihnen etwas untergeschoben wird, um eine Kündigung wegen Diebstahls zu rechtfertigen. Einige Betriebsräte räumen ihre Spinde leer und lassen sie unbenutzt. Sicher ist sicher. Vom stern mit dieser Praxis konfrontiert, gibt H & M an, solche Fälle nicht zu kennen, verspricht aber Konsequenzen, sollten „Richtlinien im Einzelfall nicht in der richtigen Weise umgesetzt worden sein“.

Einfachste Hilfsmittel vor Gericht erklagen

Wenn sich schon die Wahl eines Betriebsrats nicht verhindern lässt, dann versuchen anscheinend manche Filialleiter seine Zusammensetzung zu beeinflussen. "Führungskräfte, die vorher gegen einen Betriebsrat gewettert haben, lassen sich aufstellen und werden zum Teil auch tatsächlich gewählt", sagt der bayerische Gewerkschaftssekretär Orhan Akman. Im Lager Großostheim traten neben gewerkschaftsnahen Kandidaten auch Mitarbeiter auf Listen an mit vielsagenden Namen wie "Prima-Klima" und "Sonnenschein". Nach Verdi-Informationen erhielten diese Kandidaten einen Monat vor der Wahl 2006 teilweise Sonderzahlungen zwischen 150 und 1500 Euro. Die Mitglieder auf der gewerkschaftsnahen Liste gingen dagegen leer aus. H & M begründet dies "ausschließlich mit der tatsächlichen Arbeitsleistung" und bestreitet einen Zusammenhang mit der Betriebsratswahl.

Nach der Wahl fangen die Probleme erst richtig an. Oft müssen die Personalvertretungen sich die einfachsten Hilfsmittel vor Gericht erklagen - etwa Fax oder Internetanschluss. Den erstritt sich etwa der Betriebsrat der hannoverschen Filiale am Kröpcke vor dem Arbeitsgericht, doch H & M ging bis zum Bundesarbeitsgericht - vergebens. Nur fünf Minuten zu Fuß von der Filiale entfernt liegt der H & M-Laden in der Georgstraße. Und wieder, das gleiche Spiel: Auch dieser Betriebsrat musste für seinen Internetanschluss bis vor das Landesarbeitsgericht ziehen. "Die Betriebsräte werden in ihren eigentlichen Aufgaben gelähmt", sagt der Berliner Anwalt Thomas Berger. Das Unternehmen behauptet gegenüber dem stern, jeder Betriebsrat habe "selbstverständlich" Telefon, Fax und E-Mail, schweigt sich aber zu den Prozessen aus.

Systematische Diskriminierung von Betriebsräten

Arbeitnehmervertreter haben es in vielen Betrieben immer mal wieder schwer, bei H & M haben die Schwierigkeiten offenbar System. Das Unternehmen will nur von "möglichen Einzelfällen" reden. Doch die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung kommt in einer Studie zu dem Ergebnis, dass es bei der Textilkette eine systematische Diskriminierung von Betriebsräten gebe. "Behinderungen gegenüber der Interessenvertretung", schreibt Autor Heiner Köhnen, "können also nicht als 'einzelne Unfälle' begriffen werden." Tatsächlich steuert die Unternehmenszentrale in Hamburg teilweise den Umgang mit den Betriebsräten vor Ort. "Vieles, was die Filialleitungen gegenüber den Betriebsräten unternehmen, segnet Hamburg ab", sagt die Rosenheimer Personalvertreterin Unterreiner. Das Unternehmen verweist nur allgemein auf "Schulungsmaßnahmen".

Doch Dokumente, die dem stern vorliegen, zeigen ein anderes Bild. Danach werden Briefe an Betriebsräte, die in Ich-Form im Namen eines Filialleiters geschrieben sind, zum Teil in der Zentrale verfasst. Androhungen von fristlosen Kündigungen oder von Gehaltsabzügen werden teilweise dort geschrieben. Sie gehen dann als Fax oder Mail in den entsprechenden Laden. Der Filialleiter muss nur noch im freigelassenen Signierfeld unterschreiben. Die Schreiben sind hart in der Sache, aber im kumpelhaften Duz-Ton verfasst. Schöne neue Modewelt.

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