Nokia Kurt Beck, Arbeiterführer

Von Lenz Jacobsen
Durchhalteparolen und Gerechtigkeitsrhetorik: SPD-Chef Kurt Beck wetterte in Bochum gegen die Schließung des Nokia-Werkes und hüllte seine geplagten Genossen in sozialdemokratische Nestwärme. Dabei weiß er selbst, dass die Erhaltung des Standorts ausgeschlossen ist.

Eigentlich wollten sie am Montagabend über den Klimawandel reden, die Delegierten der SPD Bochum, aber das haben sie dann doch auf den nächsten Parteitag verschoben. Der Grund: Nokia. Die geplante Werksschließung, über 3000 bedrohte Arbeitsplätze – eine Katastrophe für die Region. Und so widmeten die Bochumer Sozialdemokraten den regulären Parteitag flugs um zum "Solidaritätsparteitag". Eine kluge Entscheidung, denn sonst hätte man womöglich auf den prominentesten Gast verzichten müssen: Parteichef Kurt Beck, der einen Tag nach den turbulenten Wahlen in Hessen extra aus Berlin anreiste, um sich mit den Bochumer Nokia-Opfern zu solidarisieren. Und, das sollte dieser Abend zeigen, um endgültig seinen Anspruch als einzig wahrer Arbeiterführer anzumelden.

Die Wattenscheider Stadthalle war ein angemessener Ort für einen Abend voller alterehrwürdigem Arbeitskampf-Pathos. Am Eingang ein Bockwurst- und Bierstand, drinnen Sechziger-Jahre-Charme in Braun und Orange, der Alterdurchschnitt der fast 500 Zuhörer deutlich jenseits der 50 Jahre. Es ist die alte Sozialdemokratie, die sich hier versammelt hat, die Gewerkschafter-SPD, die ohne Zögern jeden mit "Du" und "Genosse" anredet und zum Abschied schon mal "Glück auf" wünscht. Und ihre Heldin ist Gisela Achenbach.

"Es war eiskalt, so eiskalt"

Achenbach ist Betriebsratsvorsitzende bei Nokia Bochum und – so kündigt der Bochumer SPD-Chef an – "Symbol des Widerstandes". Seit Wochen kämpft sie für die Belegschaft, redet auf Politiker ein und wettert in Medien gegen die geplante Schließung. Jetzt steht sie vorn am Mikrofon, neben ihr ein Plakat "Nokia-Bochum muss bleiben", und erzählt, wie sie von der geplanten Schließung des Werks erfahren hat. "Drei Minuten hat das Gespräch gedauert", erinnert sie sich an das Treffen in Düsseldorf, "und es war eiskalt, so eiskalt". Dann ringt sie kurz mit ihren Emotionen, fängt fast an zu weinen.

Sie ist nicht die einzige im Saal, die direkt betroffen ist. Viele SPD-Mitglieder und Delegierte arbeiten selbst bei Nokia. Zum Beispiel Harald Buchholz. Der Vorsteher des Ortsvereins Bochum-Riemke arbeitet seit 14 Jahren für den Handyhersteller. Jetzt sitzt er stoisch auf seinem Platz in der Stadthalle, doch man kann sehen, wie es in ihm arbeitet. Es geht um seine Existenz. Buchholz sagt, er habe genug "von der Herrschaft des Geldes", der Mensch müsse endlich wieder in den Mittelpunkt gestellt werden.

Siegesgewissheit hören sich anders an

Das findet auch Kurt Beck. Als er endlich am Rednerpult steht, versicherte er den Bochumern "die Solidarität der Sozialdemokratie". "Wir stehen bei euch, nicht nur heute, sondern auch morgen!" Zufrieden aufbrausender Beifall im Saal. Die geplante Werksschließung ist für den SPD-Chef "politischer Betrug", Nokia könne nicht einfach einreißen, was auch mit Subventionen aufgebaut wurde. Beck kündigt an, "die Subventionspolitik auf europäischer Ebene zu überprüfen". 80 Millionen Euro sind über die Jahre in das Werk geflossen, jetzt will die Landesregierung prüfen, ob sie Mittel zurückverlangen kann. Und erst ein paar Stunden vor Becks Auftritt haben sich die Nokia-Chefetage und die Politik auf die Einrichtung einer Arbeitsgruppe geeinigt, die "innovative Lösungen für die Zukunft des Nokia-Standortes Bochum" finden soll. Immerhin.

Man muss an diesem Abend schon genau hinhören, um zu erfahren, für wie wahrscheinlich Kurt Beck eine Rettung des Bochumer Werkes wirklich hält. Etwa wenn er sagt: "Dieser Konflikt wird hoffentlich zu unseren Gunsten ausgehen. Hoffentlich." Und dann: "Wie auch immer, wir müssen dieses Beispiel auf der Tagesordnung halten." Siegesgewissheit hören sich anders an. Kurt Beck weiß: Eine Erhaltung des Bochumer Nokia-Werkes wäre nicht weniger als ein Wunder. Deshalb ist das Bochumer Schicksal für ihn auch mehr Beispiel als Kampfauftrag. Er will die Empörung über Nokia in Zustimmung für seine Politik ummünzen. In Zustimmung für den Linksruck der SPD und vor allem für sein Lieblingsziel, den Mindestlohn. Nur der könne die Qualität deutscher Arbeitsplätze sichern, so Beck. Dies findet viel Anklang in Bochum, wo man schon lange auf einen Linksruck in der SPD gewartet zu haben scheint.

Mit wem man auch spricht, alle fühlen sich durch die neue Gerechtigkeitsrhetorik des Parteichefs und das Ende der Schröderschen Agenda-Zumutungen erleichtert. Die SPD, sie ist am Dienstagabend wieder ganz die alte Arbeiterpartei. Mit Kurt Beck hat sie ihren Anführer und mit der sozialen Gerechtigkeit ihr Thema gefunden. Doch so wohlig die neue, alte sozialdemokratische Nestwärme auch über diesem Parteitag wabert, so richtig genießen kann sie niemand der Bochumer Genossen. Denn was nützen die schönsten Parteiprogramme, wenn die Arbeitslosigkeit droht? Noch fünf Monate bleiben den Bochumern, um die Schließung ihres Nokia-Werkes zu verhindern.