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Privatisierung Auf dem Holzweg

Schleswig-Holstein will den Landeswald an einen Privatinvestor verkaufen. Ein Lehrstück darüber, wo Privatisierung ihre Grenzen hat.

Eben noch streckten sie ihre Wipfel in den Himmel über dem Lauenburger Land, nun liegen die vier stämmigen Rotfichten quer über dem Waldweg, erlegt von den Motorsägen der Forstarbeiter. An ein Durchkommen ist hier nicht mehr zu denken, aber der Weg ist ohnehin vom schweren Gerät der Holzfäller zerfurcht und mit Pfützen übersät. Ein Forstspezialschlepper greift schnaufend mit seiner Zange nach den Stämmen und schleift sie über den Weg zu einem Sammelplatz. Die Waldarbeiter haben dem Monstrum einen Namen in den grünen Lack geritzt: "Big John II".

Idylle mit Kindern

Würde sich Big John II weiter im Norden durch den Küsterholz bei Bad Schwartau wühlen, dann könnte Carina Schwartz hier mit ihren zwölf Kindern nicht mehr sein. Eine Kollegin zieht einen Bollerwagen mit Schaufeln, Hämmern und einem Wasserkanister hinter der Gruppe her, als sie vom Kindergarten aufbrechen. Am Stoppelfeld vorbei, linker Hand der Knick aus kleinen Eichen, Birken und Fliederbüschen, links dem Trampelpfad am umgepflügten Weizenfeld folgen, dann stehen sie im Wald. Licht scheint durch die Blätter der Buchen und lässt auf dem Waldweg die Schatten tanzen. Die Kinder setzten sich auf abgesägte Fichtenstümpfe, singen ein Lied und packen ihr Frühstück aus. In einem Halbkreis sind Äste zum Schutz vor dem Wind aufgeschichtet. Die Baumkronen schwanken leicht, hier unten ist es still. Ein paar Meter tiefer in den Wald hinein hat ihnen der Förster aus Baumstümpfen eine Kletterrampe gebaut.

Mit dem kleinen Idyll könnte es bald vorbei sein, fürchtet Carina Schwartz. "Auch wenn uns niemand verbieten kann, den Wald zu betreten - werden die Wege auch weiterhin frei und gepflegt sein, die Baumkronen sicher?" Die Erzieherin hat Angst, dass künftig nicht mehr Joshi, Kim und Jenna im Wald willkommen sind, sondern nur noch Big John und seine Kumpane.

Wird der Wald sicher sein?

Denn es tobt ein heftiger Streit um den norddeutschen Forst. Der Wald als Rohstofflager, der Wald als Lebensraum - so ist es immer gewesen. Nun aber ist in Schleswig-Holstein diese Balance bedroht, der Kapitalismus ist kurz davor, eine der letzten Bastionen deutscher Staatswirtschaft zu schleifen. Denn die Regierung in Kiel hat sich vorgenommen, kurzerhand den kompletten Landeswald mitsamt Personal an einen privaten Investor zu verkaufen, immerhin gut 50.000 Hektar und als erstes Bundesland überhaupt. Dann könnte es vorbei sein mit Windfängen und Spielecken aus Försters Werkstatt. Das Waldgesetz verpflichtet zwar jeden Eigentümer, den Zugang in den Forst zu gewähren, nicht aber dazu, ihn kindgerecht und die Wege halbschuhtauglich zu halten.

Am Anfang des Ärgers waren wie so oft die Schulden. Schleswig-Holstein steht mit fast 22 Milliarden Euro in der Kreide. Die neue Landesregierung des Peter Harry Carstensen machte sich deshalb vergangenes Jahr daran, den Haushalt zu durchforsten. Finanzstaatssekretär Klaus Schlie schrieb einen Bericht von 850 Seiten, darin ebenso viele Vorschläge, was der Staat künftig besser oder lieber gar nicht mehr machen solle. 2000 Landesbedienstete wollte Schlie so einsparen. Den Nationalpark Wattenmeer könne man an die Gemeinden weiterreichen, ebenso die Katasterämter. Und einer der Vorschläge war eben auch der Komplettverkauf des Waldes. Im klammen Finanzministerium begann man zu träumen: 500 Millionen Euro könne man damit erlösen, zehn Millionen jährliche Zuschüsse sparen und sich obendrein auf einen Schlag 270 Staatsdiener entledigen.

Einige Widerstandsfront

"Dem Wald ist es egal, wem er gehört", verkündete der Ministerpräsident, der von der ziemlich baumarmen Halbinsel Nordstrand im Wattenmeer stammt und eher maritim sozialisiert ist. Eines aber übersah der einstige Landwirtschaftslehrer: Seinen Bürgern ist es nicht egal. An Sparzwang und Privatisierungswut haben sich viele gewöhnt, und sie erleben oft, dass bundesweit Politiker in ihrer Haushaltsnot manches verscherbeln, was in der öffentlichen Hand eigentlich ganz gut aufgehoben war. Doch beim deutschen Wald hört der Spaß auf.

Mittlerweile hat sich das "Bündnis Wald" formiert, darin um die 30 Organisationen, von den großen Umweltverbänden WWF, BUND und Nabu über Förster und Jäger, Pfadfinder und Reiter, Wanderer und Gewerkschafter, über Eulen- und Fledermausschützer bis hin zur Faunistisch-Ökologischen Arbeitsgemeinschaft. Auch Unternehmen wie der Holzspielzeughersteller Gollnest & Kiesel, die in den vergangenen Jahren mit Spenden die Aufforstung des Landes förderten, schlossen sich dem Protest an: Sie sehen nicht ein, dass von ihrem Engagement nun irgendein Investor profitieren soll. Selbst die FDP, die, wie es ein Kieler Liberaler formuliert, "lieber heute als morgen die Bundesagentur für Arbeit in die Luft sprengen würde", um deren Aufgaben Privaten zu überlassen, hat im Fall des Forstes ihr Herz für den Staat entdeckt.

Der Wald ist nicht nur Gegenstand immer neuer Poesie, er wird als öffentliches Gut empfunden. Mehr als 900 Kilometer Wander-, Rad- und Reitwege sowie Trimm-dich- und Waldlehrpfade durchziehen den Forst im nördlichsten Bundesland. Und nicht nur Hundebesitzer, Nordic Walker und Pilzesammler bevölkern die Wälder. Ein Förster, der wie seine Kollegen wegen eines amtlich erteilten Sprechverbots eigentlich nichts zu dem Streit sagen dürfte, erzählt von "grünen Klassenzimmern" in seinem Revier, er hat den Schülern Tische und Bänke gebaut. Für Waldgottesdienste zimmerte er nicht nur eine Kanzel, sondern auch ein Gehäuse für einen Stromgenerator - denn die Gottesleute schleppen mitunter ihre Orgel mit ins Gehölz. Und da Heizöl immer teurer wird, stürmen neuerdings Stadtmenschen die Wälder, um günstiges Feuerholz zu erbeuten - die Förster rechnen auch kleine Mengen geduldig ab. Einen Bürgerservice dieser Art dürfte sich ein renditeorientierter Investor schenken.

Verkauf wäre "absoluter Humbug

Auch finanziell könnte sich der Totalverkauf als längst nicht so lukrativ erweisen, wie sich das die Kieler Sparfüchse erträumen. Den erhofften Erlös von 500 Millionen Euro halten Experten für illusorisch. Denn der Landeswald gliedert sich in rund 340 Einzelparzellen, die für einen Großinvestor mühsam zu bewirtschaften sind. Zudem müsste der Käufer das Personal übernehmen, was den Preis erheblich drücken dürfte. Und der jährliche Zuschuss aus der Staatskasse von zehn Millionen Euro, den der Landesforst derzeit bekommt, fiele auch nicht von heute auf morgen weg. Denn nur zwei der zehn Millionen, so rechnet der Bund Deutscher Forstleute, decken ein tatsächliches Defizit ab, die restlichen acht Millionen gingen für hoheitliche und Gemeinwohlaufgaben drauf. Bleiben die politisch gewollt, ist das Geld auch künftig fällig.

Fachleute bezweifeln obendrein, dass der Verkauf ausgerechnet jetzt sinnvoll sei. Er hoffe nicht, dass die Landesregierung "so dämlich ist, jetzt ihren Wald zu verkaufen, das ist absoluter Humbug", sagt ein Forstbeamter. Denn die schleswig-holsteinischen Wälder wurden unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg durch den "Reparationshieb" und den Holzbedarf der frierenden Städter arg dezimiert und erst später gezielt aufgeforstet. "Durch den verschobenen Altersaufbau ist der Wald noch jung und wächst jetzt erst ins Geld rein", sagt ein Förster. Ein "wachsender Schatz" sei die Fläche.

Nun läuft erst einmal ein sogenanntes Interessensbekundungsverfahren. Bis Freitag dieser Woche kann sich melden, wer Forst und Forstleute übernehmen will. In Kiel laufen Gerüchte um: Holzunternehmen aus Skandinavien und Österreich stünden bereit, auch Energiekonzerne wie Esso und BP, sogar ein amerikanischer Pensionsfonds - sozusagen die Waldheuschrecke. Die Landesregierung hält sich auch die Option offen, den Wald und seinen Betrieb jeweils in eine GmbH zu übertragen oder eine Anstalt öffentlichen Rechts zu gründen. Egal welche Lösung es am Ende sein soll, der Landtag muss darüber abstimmen.

Koalitionspartner nun dagegen

Und spätestens dann könnte es eng werden für die Freunde des Totalverkaufs. In Peter Harry Carstensens großer Koalition sorgt das Thema bereits für veritablen Zoff, der Juniorpartner ist schon mal über Bord gegangen. "Der Landeswald darf nicht an Private verscherbelt werden", tönt SPD-Fraktionschef Lothar Hay - auch wenn das Kabinett im Januar einstimmig beschloss, genau dies zu prüfen. Sandra Redmann, forstpolitische Sprecherin der Sozialdemokraten, spottet nun: "Dann können wir als Nächstes ja Nord- und Ostsee verkaufen."

Auch in der CDU schlagen sich die Ersten in die Büsche. Ihr forstpolitischer Sprecher Hartmut Hamerich will zwar die Meinung der Fraktion nach außen vertreten. "Für einen Verkauf werde ich im Landtag aber nicht stimmen." Selbst der zuständige Landwirtschaftsminister Christian von Boetticher betont zwar offiziell, noch prüfe er alle Varianten, im kleinen Kreis bekannte er aber schon öfters, er wolle den Verkauf nicht.

Carstensen gibt sich sturmfest

Bleibt der Ministerpräsident. "Carstensen denkt, dass man nicht beim ersten Gegenwind einknicken darf", sagt Parteifreund Hamerich. Tatsächlich gibt sich der Mann aus dem Wattenmeer sturmfest: "Der Verkauf ist eine reale Option, es darf kein Tabu geben", sagt der Regierungschef. Als er noch Kandidat war, galt er als politisches Leichtgewicht und wurde als "fischpolitischer Sprecher" der CDU verhöhnt. Nun will er gern beweisen, dass er sich von ein paar Bedenkenträgern nicht vom Kurs bringen lässt. Fest an seiner Seite steht Finanzminister Rainer Wiegard, auch er kein Mann für Gefühlsduselei: "Ich rieche nicht, ob ich im Staats- oder Privatwald stehe", für die Bürger sei das egal.

Nicht unbedingt. Der Sachsenwald östlich von Hamburg ist schon seit 1871 in Privatbesitz. Ob man hier reiten dürfe? Klar, sagt der Förster am Telefon, die Jahreskarte koste 65 Euro.

Arne Daniels, Axel Hildebrand print

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