Mit gesenktem Kopf und dunklem Anzug betritt SAS-Chef Mats Jansson den Raum. Er hat die Journalisten in ein Hotel in der Nähe des Madrider Flughafens geladen, nur ein paar Kilometer von der Unglücksstelle entfernt. Es ist einer der schlimmsten Auftritte seines Lebens, das sieht man Jansson an. Er beginnt die Pressekonferenz mit einer Schweigeminute für die toten Passagiere des Spanair-Fluges JK 5022. Der Schwede faltet die Hände, schließt die Augen und stützt seinen Kopf auf seine Arme. Neben ihm sitzen der Geschäftsführer der Konzerntochter, Markus Hedblom, und Flottenchef Javier Mendoza.
Er sei nicht hierher gekommen, um über die Ursachen des Unfalls zu spekulieren, sagt der sonst so joviale Manager leise und monoton. Sondern um den Verwandten der Verunglückten sein Beileid zu bezeugen. Und auch Fragen zur Zukunft der Tochter Spanair möchte der Chef der skandinavischen Fluggesellschaft an diesem Morgen in Madrid nicht beantworten. "Das Unglück ist noch nicht einmal 24 Stunden her", sagt er. "Unsere Gedanken sind einzig und allein bei den Opfern und Angehörigen."
Im Laufe des Tages kursieren immer neue Meldungen über die Zahl der Vermissten, Schwerverletzten und Toten - 153 Menschen seien bei dem Unglück gestorben, heißt es schließlich. In Madrid wird eine dreitägige offizielle Trauer angeordnet. Die Begeisterung über das spanische Olympia-Team auf den TV-Kanälen ist verflogen, statt wie zuvor in Rot-Gold-Rot tragen die Moderatoren nun die Nachrichten in gedeckten Anzügen vor.
Noch laufen die Ermittlungen
Spekulationen über die Unfallursache machen die Runde, vermischen sich mit ersten, bestätigten Fakten und lassen viele Fragen offen: Haben die Probleme mit einem Temperaturmessfühler vor dem Start den Absturz ausgelöst? Hat der Pilot den ersten Start bereits wegen eines Triebwerksschadens abgebrochen? Ist der Jet vom Typ MD-82 mit 15 Jahren zu alt und nur unzureichend gewartet gewesen?
Noch laufen die Ermittlungen der spanischen Behörden und einer Expertenkommission, noch wird der geborgene Flugschreiber des verunglückten Flugzeugs untersucht. Es wird Tage oder gar Wochen dauern, bis verlässliche Aussagen über die Ursachen des Unfalls gemacht werden können. Sicher aber ist bereits eines: Für die Fluggesellschaft ist das Inferno eine Katastrophe. "Für Spanair hätte das Unglück nicht zu einem schlechteren Zeitpunkt kommen können", sagt Analyst Douglas McNeill von Blue Oar in London.
Der zweitgrößten spanischen Fluggesellschaft droht das Aus
Schon vor dem Absturz der MD-82 zählte die Tochter der skandinavischen Staatslinie zu den Sorgenkindern der Branche: Gebeutelt von der Branchenkrise, hohen Treibstoffkosten und schwächelnder Nachfrage hatte Spanair im ersten Halbjahr einen Verlust von umgerechnet 53 Mio. Euro ausgewiesen und damit auch die Mutter tief in die roten Zahlen gezogen.
Jetzt droht der zweitgrößten spanischen Fluggesellschaft das Aus: "Wir glauben nicht, dass es für Spanair noch eine Zukunft oder eine Chance gibt, sich zu erholen", urteilen die Analysten von Standard & Poor's in einer am Donnerstag veröffentlichten Notiz. Schließlich könnten auch Sammelklagen der Angehörigen von Opfern nicht ausgeschlossen werden. An der Börse fiel die Aktie der Mutter SAS bis Handelsschluss um 3,9 Prozent - seit Jahresbeginn hat das Papier fast die Hälfte seines Wertes verloren.
Vergebliche Bemühungen um einen Verkauf
Monatelang hatte sich SAS-Chef Jansson vergeblich bemüht, die ungeliebte Beteiligung loszuwerden - doch vergebens. Im Juni musste er das vorläufige Scheitern dieses Vorhabens bekannt geben. Verantwortlich machte der Manager die allgemeine Misere der Branche und die daraus resultierenden schlechten Martktbedingungen. Ein realistischer Verkaufserlös sei unter diesen Umständen nicht zu erzielen, hieß es aus dem Unternehmen.
Schon im vergangenen Jahr hatte Jansson begonnen, mit potenziellen Interessenten über den Verkauf der spanischen Tochter zu sprechen. Doch weder ein Investorenkonsortium um den Spanair-Gründer Gonzalo Pascual, noch Gespräche mit Iberia brachten den erhofften Erfolg. Rund 300 Mio. Euro soll der spanische Marktführer geboten haben, heißt es in der Branche. Doch SAS-Chef Jansson winkte ab: "Der Preis, den wir erzielen konnten, spiegelt nicht den Wert von Spanair wider."
"Die Gesellschaften sind in der Zwickmühle"
Er könnte zu hoch gepokert haben: Schon wenige Wochen später verordnet der SAS-Chef der Tochter ein drastisches Sparprogramm: Unrentable Verbindungen werden gestrichen, ein Viertel der Maschinen sollen entsorgt, 1100 der insgesamt 3800 Stellen abgebaut werden. Eine Reaktion auf die Branchenkrise, die das 1986 als Charterairline gegründete Unternehmen besonders hart trifft. Zwar hat sich Spanair inzwischen zu einer Linienfluggesellschaft gewandelt. Aber die Abhängigkeit von Touristen, die als Fluggäste deutlich sensibler auf Preiserhöhungen reagieren als Geschäftsreisende, ist hoch. Die sprunghaft gestiegenen Treibstoffkosten setzten der Gesellschaft mit ihrer überalterten Flotte besonders zu. Vor allem die 36 Jets vom Typ MD-82 müssten gegen neue, sparsamere Modelle eingetauscht werden - doch vor den dafür notwendigen Milliardeninvestitionen schreckten die Verantwortlichen bisher zurück.
Der von Jansson verordnete Sparkurs für die Airline, die noch vor gut anderthalb Jahren mit Billigflugangeboten expandieren wollte, findet die Zustimmung der Analysten. "Angesichts der gestiegenen Kosten und der sinkenden Nachfrage ist das Zurückschneiden von Kapazitäten derzeit für fast alle Fluggesellschaften die richtige Strategie", sagt Per-Ola Hellgren von der Landesbank Baden-Württemberg. "Die Gesellschaften sind in der Zwickmühle und müssen genau prüfen, mit welchen Verbindungen sich noch Geld verdienen lässt."
Die Piloten drohten dem Management mit Streik
Jansson will sein Unternehmen, das mehrheitlich im Besitz von Norwegen, Dänemark und Schweden ist, auf Nordeuropa fokussieren und sich von den Beteiligungen trennen, zu denen neben Spanair die britische BMI und die lettisch-litauische Baltic Air gehören. Damit hofft er, die Unabhängigkeit seiner Staatslinie erhalten zu können. "Unsere ganze Strategie baut darauf, allein zu bestehen", bekräftigte er kürzlich. Die Entscheidung über Alleingang oder Anschluss soll 2011 fallen. Als möglicher Partner böte sich die Deutsche Lufthansa an, zu deren Bündnis Star Alliance SAS bereits gehört.
Während die reichen Norweger an der Staatslinie festhalten wollen, wächst auf Seiten der Dänen und Schweden die Bereitschaft, sich von SAS zu trennen - wenn das Unternehmen weiter Verluste einfahren sollte. Spanairs Weg zurück in die Gewinnzone dürfte aber nach dem Unglück von Madrid noch schwieriger werden. Die von der skandinavischen Zentrale verordneten Einschnitte hatten schon vor dem Absturz für erhebliche Unruhe in der Belegschaft gesorgt. Die Piloten drohten dem Management mit Streik. "Die Gesellschaft ist der Auffassung, dass das organisierte Chaos, in dem sich die Gesellschaft befindet, nicht länger andauern darf", hieß es vor wenigen Tagen in einer Erklärung der spanischen Pilotenvertretung Sepla.
Nun wird in der Öffentlichkeit diskutiert, ob die Sparvorgaben im täglichen Betrieb der Spanair die Katastrophe mit herbeigeführt haben könnten. In den spanischen Medien kommen Mitarbeiter zu Wort, die von besorgniserregenden Zuständen berichten. "Es gab Piloten, die die Arbeit von Mechanikern erledigen mussten", zitiert die Tageszeitung "El Mundo" einen Flugzeugführer, der zugleich Gewerkschaftssprecher ist. Zudem seien die Piloten aufgefordert worden, länger als die zulässigen zwölf Stunden am Tag zu arbeiten. Belastbare Belege gibt es zwar bislang nicht. Doch Konzernchef Jansson könnte in der Debatte über die Unglücksursachen die Zeit davonlaufen. "Wenn die Krise länger dauert, bleibt als letzte Alternative, Spanair dichtzumachen", warnt Analyst Hellgren.