Spitzel-Affäre Was die Bahn Aufklärung nennt

  • von Marcus Gatzke
Schon vor sieben Monaten hat sich die Deutsche Bahn nach Informationen von stern.de mit dem Daten-Skandal beschäftigt. Zeit genug, um einen Überblick zu bekommen. Umso verwunderlicher ist die Taktik von Bahn-Chef Hartmut Mehdorn: Stückweise Informationen preisgeben und jedes Mal den Überraschten spielen.

Seit der stern vor gut zwei Wochen den Daten-Skandal bei der Deutschen Bahn aufgedeckt hat, herrscht im Bahn-Tower am Potsdamer Platz in Berlin helle Aufregung. Fast täglich werden neue Details bekannt, die Bahn-Führung spricht von "sehr schwierigen Ermittlungen", die Staatsanwaltschaft Berlin soll bei der Aufklärung helfen. War der Konzern zu Anfang noch angriffslustig und sprach von "angeblichen Verstößen" gegen den Datenschutz, kann das Unternehmen jetzt auf einmal "weitere Vorgänge" nicht mehr ausschließen und Bahn-Chef Hartmut Mehdorn wendet sich in einem Brief an die Mitarbeiter. "Salamitaktik" nennen das Gewerkschaften und Politik, die Bahn spricht dagegen von einem "natürlichen Gang".

Ein natürlicher Gang? Die Bahn erweckt den Eindruck, als ob sie sich erst jetzt richtig um die Aufklärung der Sachverhalte kümmert und selbst nicht genau weiß, was als nächstes ans Tageslicht kommt. Zuletzt war bekannt geworden, dass die Bahn im Jahr 2005 alle Beschäftigten gerastert hat, ohne die Betroffenen oder den Betriebsrat zu informieren. Der Vorstand will von den Massenüberprüfungen nichts gewusst haben. Zitat Mehdorn: "Der Vorstand kümmert sich ja auch nicht um die Bestellung von Briefkuverts."

Wo sind die Unterlagen?

Nach Informationen von stern.de hat sich die Bahn aber bereits im vergangenen Juni, als das "Handelsblatt" erstmals über die Zusammenarbeit von Bahn und Network Deutschland berichtete, intensiv mit dem Thema beschäftigt. Damals bat der Korruptionsbeauftragte der Bahn, Wolfgang Schaupensteiner, den Leiter der Konzernrevision Josef Bähr um Auskunft. Schaupensteiner wollte über Art, Umfang und Gegenstand der Aufträge informiert werden, wie aus einem Schreiben an Bähr hervorgeht, das stern.de vorliegt. Die Konzernrevision ist disziplinarisch direkt dem Vorstandsvorsitzenden Hartmut Mehdorn unterstellt.

Die Antwort von Bähr war ernüchternd. Bei der Bahn existierten offenbar zu den 43 Aufträgen an die Detektei Network - immerhin mit einem Gesamtvolumen von rund 800.000 Euro - gerade mal zwei Aktenordner. Einer davon befasste sich mit dem Projekt "Twister". Zu anderen Projekten gab es gar keine Unterlagen. So schreibt Schaupensteiner am 11. Juni 2008: "Ich halte fest, dass das Projekt 'Apollo' bei Ihnen nicht bekannt ist. Das Projekt 'Clematis' ist in Ihren Unterlagen nicht erwähnt. Zu 'Juwel' sind keine Unterlagen beigefügt." Die Bahn hatte bereits eingestanden, die Aufträge an Network meist nur mündlich vergeben zu haben. Der Grund sei die "zeitliche Dringlichkeit und die Sensibilität der Fälle" gewesen.

Von "Prometheus" bis "Oregano"

Aber auch die Unterlagen zu Projekten, zu denen es überhaupt etwas Schriftliches gab, sind offenbar sehr dürftig. So gibt es diverse Projekte mit Network Deutschland, die viel Geld gekostet haben, über deren Sinn und Zweck sich Bähr im Juni aber in Schweigen hüllte. So wurden 1998 gleich 60.000 Euro an die Detektei überwiesen. Die Projektbezeichnung? Unbekannt. Belege? Fehlanzeige.

Im Jahr 2004 wurden 15.000 Euro überwiesen, um im Rahmen des Projekts "Prometheus" Geschäftsbeziehungen zu überprüfen. Im gleichen Jahr wurde Network mit dem Projekt "Oregano" betreut. Kosten: fast 20.000 Euro. Ein Jahr später wurden für "Altmühl" mehr als 30.000 Euro ausgegeben. Bei beiden Projekten seien "wegen Ausscheidens bzw. Wechsel von Leitern und Mitarbeitern in Kürze keine weiteren Informationen beschaffbar", heißt es in internen Unterlagen.

Warum gibt es nur so wenige Unterlagen? Was wurde bei den anderen Projekten gemacht? Was steckt hinter "Apollo", "Clematis" und "Juwel"? Fragen für die die Deutsche Bahn rund sieben Monate Zeit hatte, sie zu klären.

Dennoch schreibt Hartmut Mehdorn am 26. Januar - wenige Tage, nachdem der stern den Datenskandal enthüllt hatte, an Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee: "Wir haben unserer bisherigen Darstellung des Sachverhalts nichts hinzuzufügen." Es gebe "keine neuen Erkenntnisse". Für ihn handelte es sich lediglich um "von interessierten Kreisen inszenierte Sensationsberichterstattung".

Nur wenige Tage später räumte Wolfgang Schaupensteiner im Verkehrsausschuss des Bundestages ein, dass im Rahmen von "Babylon" 173.000 Mitarbeiter überprüft wurden. Zur Sitzung des Prüfungsausschusses im Aufsichtsrat der Bahn in der Woche darauf wollte Mehdorn erst gar nicht erscheinen. Er habe erst zu diesem Treffen zitiert werden müssen, heißt es aus dem Bundesverkehrsministerium.

Über die zweite Spähaktion, von der alle 220.000 Bahn-Beschäftigten betroffen waren, habe er auch erst auf mehrfaches Befragen berichtet. Der Leiter der Konzernrevision Josef Bähr ließ sich erst gar nicht blicken, obwohl Aufsichtsratsmitglied und Staatssekretär Achim Großmann auf seine Anwesenheit bestanden hatte. Anfang kommender Woche will die Bahn nun "einen ausführlichen Bericht über den aktuellen Erkenntnisstand zum Thema Datenschutz" vorlegen.

Der dürfte umfangreich sein: Die Mehrzahl der 43 Aufträge an Network sind noch nicht geklärt.