Mit massiven Drohungen versucht die Deutsche Bahn den ersten unbefristeten Streik seit 15 Jahren in letzter Sekunde zu verhindern. Bahnchef Hartmut Mehdorn schloss am Wochenende Schadenersatzklagen gegen die Gewerkschaft GDL und Suspendierungen einzelner Lokführer nicht aus. Die Bundesregierung rief eindringlich zum Verzicht auf einen Streik auf. Doch kurz vor Bekanntgabe des Ergebnisses der Urabstimmung am Montag zeigte sich GDL-Chef Manfred Schell unbeeindruckt von den Appellen. Als wahrscheinlicher Streikbeginn gilt nun der kommende Mittwoch.
Mehdorn sagte dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel": "Wenn durch illegale Aktionen der Bahn ein Millionenschaden entsteht, dann wollen wir den ersetzt haben." Zugleich drohte er, streikende Lokführer sofort vom Dienst zu suspendieren, wenn sie bei ihren Aktionen die Sicherheit des Bahnbetriebs gefährdeten: "Wer seinen Zug auf freier Strecke stehen lässt, wie es einige Lokführer bei ihren jüngsten Warnstreiks getan haben, gefährdet alle." GDL-Chef Schell wies die Drohung zurück und kündigte an, bei einem Streik den Zugverkehr in ganz Deutschland lahmzulegen. In der "Bild am Sonntag" betonte er, die Gewerkschaft werde weder illegale Aktionen durchführen noch die Sicherheit der Bahnkunden gefährden: "Wir lassen uns von Mehdorn nicht einschüchtern." Ein neues Gesprächsangebot des Unternehmens hatte Schell am Freitag zurückgewiesen und der Bahn zugleich eine Frist bis Dienstag für die Vorlage eines verhandlungsfähigen Angebots gesetzt.
Große Nervosität in der Stahlindustrie
Nach Informationen der "Bild am Sonntag" rechnet die Bahn ab Mittwoch mit einem langen, bundesweiten Streik, von dem täglich bis zu 28.000 Personen- und 4780 Güterzüge und damit rund fünf Millionen Reisende betroffen wären. Hinzu kommen nach diesen Angaben noch 170 internationale Züge mit 35.000 Fernreisenden. Um einen Teil des Zugverkehrs aufrechtzuerhalten, ist der Einsatz von 8000 beamteten Lokführern geplant. Sogar Verwaltungsmitarbeiter mit Lokführerschein sollen auf wichtigen Strecken aushelfen. Busse sollen vor allem im Nahverkehr eingesetzt werden.
Bundeswirtschaftsminister Michael Glos warnte in der "Bild am Sonntag", ein Arbeitskampf würde der Wirtschaft und dem Ansehen Deutschlands schaden: "So macht man sich keine Freunde." Mehdorn warf der GDL eine unverantwortliche Verweigerungshaltung vor. Die Forderung nach 31 Prozent mehr Geld und einem eigenen Tarifvertrag wies er als irrwitzig zurück. Am Prinzip eines einheitlichen Tarifsystems werde nicht gerüttelt, betonte der Bahnchef.
In deutschen Unternehmen sorgen die Streikdrohungen zunehmend für Unruhe. "In der Stahlindustrie zum Beispiel herrscht große Nervosität", sagte Carsten Kreklau von der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) dem "Tagesspiegel am Sonntag". Schon ein Streiktag könne große Probleme verursachen. Komme es zu längeren Streiks, könne das auch zu einem Knacks bei der Konjunktur führen. Die Spediteure befürchten ebenfalls starke Behinderungen. Der Fahrgastverband Pro Bahn mahnte beide Seiten zu Kompromissbereitschaft. Nötig seien Zugeständnisse der Deutschen Bahn und ein Runder Tisch der drei Bahn-Gewerkschaften, sagte der Verbandsvorsitzende Karl-Peter Naumann der Nachrichtenagentur AP. Den Bund forderte er auf, mit der Senkung der Mehrwertsteuer auf Bahntickets zur Lösung des Konflikts beizutragen. Ein Arbeitskampf hätte aus Naumanns Sicht schlimme Folgen für Passagiere und Bahn: "Zu befürchten wären massive finanzielle Einbußen."