Spötter nennen Griechenland eine Steueroase. Denn Tausende Hellenen zahlen dem Staat kein Geld aus ihrem Einkommen, obwohl es ihm zusteht. Das seit Jahrzehnten bestehende Problem hat wesentlich zum Finanzdesaster des Landes beigetragen. Steuerbetrug ist eine Art Volkssport, an dem sich Normalverdiener genauso beteiligen wie Selbstständige, Reiche und Superreiche sowie - last but not least - Politiker.
Den internationalen Geldgebern, ohne die Griechenland längst bankrott wäre, musste die Regierung in Athen zusagen, das Übel an der Wurzel zu packen. Seit Monaten gehen Steuerfahnder hart gegen Trickser vor, kontrollieren deutlich schärfer als früher - und schrecken auch vor bekannten Namen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht zurück.
Jetzt wurde bekannt, dass Dutzende Politiker im ganzen Land überprüft werden. Es geht nicht nur um Steuerhinterziehung. Im Raum steht auch der Verdacht auf illegale Bereicherung und Geldwäsche. Nach Angaben der seriösen Zeitung "Kathimerini", die sich auf amtliche Quellen beruft, beläuft sich die Zahl der betroffenen Politiker auf mindestens 60. Darunter sollen drei Entscheidungsträger in der Regierung sein sowie zahlreiche aktive und ehemalige Parlamentarier.
15.000 Griechen können Auslandsvermögen nicht erklären
Das Finanzministerium hatte jüngst angekündigt, sich Auslandsüberweisungen von insgesamt rund 22 Milliarden Euro anzuschauen. Der Zeitung "To Vima" zufolge beantragte die Steuerfahndung bisher für insgesamt 5000 Konten von Einzelpersonen, Firmen und anderen juristischen Konstrukten die Datenfreigabe. Schon jetzt seien 15.000 Menschen ermittelt worden, die ihre Auslandsguthaben nicht rechtfertigen könnten, zitierte das Blatt der Nachrichtenagentur DPA zufolge einen hohen Beamten des Ministeriums.
Darüber hinaus wollen die Steuerfahnder knapp 2000 Griechen überprüfen, die als Inhaber Schweizer Konten gelistet sind. Eine Datei war erst jetzt wieder aufgetaucht. Wie es heißt, hatte sie die damalige französische Finanzministerin Christine Lagarde 2010 ihrem Athener Kollegen Giorgos Papakonstantinou übergeben, der heute ebenfalls nicht mehr im Amt ist. Die Daten wurden zu jener Zeit nicht genutzt, sie verschwanden, ehe sie nun wieder ans Tageslicht kamen.
Lagarde, inzwischen Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), hatte im Mai in Griechenland für Aufregung gesorgt, weil sie mit drastischen Worten die Steuermoral der Hellenen als anhaltend schlecht kritisierte. Der Leiter der Steuerfahndungsbehörde des Landes, Nikos Lekkas, stellte sich auf die Seite der Französin: "Die Steuerflucht in Griechenland erreicht zwölf bis 15 Prozent des Bruttosozialprodukts. Das sind 40 bis 45 Milliarden Euro im Jahr."
Eine im August bekannt gewordene US-Studie der Chicago Booth School of Business ergab: Allein wenn die griechischen Freiberufler und Selbstständigen für ein Jahr normal ihre Steuern abführen würden, bräuchte Hellas kein neues Sparprogramm. Die Experten stellten laut "Kathimerini" fest, dass die tatsächlichen Einkommen zum Beispiel von Ärzten, Rechtsanwälten und Ingenieuren um 1,92 Mal höher seien, als diese offiziell angegeben hätten. Dadurch entgehen dem Staat der Studie zufolge 11,2 Milliarden Euro. Das jüngste Sparpaket, das die Regierung in Athen mit den internationalen Geldgebern vereinbaren musste, hat ein Volumen von 11,5 Milliarden Euro. Allerdings ist schon absehbar, dass der Umfang der Kürzungen auf Dauer nicht ausreichen wird, die Lücken zu schließen, weil die Rezession tiefer ist als bisher angenommen.
"Liste der Schande"
Besonders negativ fielen bei der Studie die Ärzte auf: Sie sollen demnach im Durchschnitt mindestens ein jährliches Einkommen in Höhe von 29.343 Euro nicht angegeben haben. An zweiter Stelle folgen der Untersuchung zufolge die Ingenieure mit 28.625 Euro.
Bei Stichproben Anfang August wurden innerhalb von vier Tagen 604 Restaurants, Bars und Tavernen sowie andere touristische Unternehmen kontrolliert. Dabei wurden nach offiziellen Angaben mehr als 2000 Unregelmäßigkeiten festgestellt.
Im Januar hatten diverse griechische Zeitungen eine "Liste der Schande" gedruckt, auf der die Regierung auf 170 Seiten die Namen von 4000 Steuersündern nannte, die dem Staat knapp 15 Milliarden Euro schuldeten. Das löste Zorn und Wut im Volk aus, zumal das Dokument Namen vieler Reicher und Schöner enthielt, darunter prominente Sänger, Unternehmer, Sportler. Auf dem Gipfel des Eisbergs stand Schlagersänger Tolis Voskopoulos, dessen Frau als stellvertretende Tourismusministerin zurücktreten musste.