Wirtschaftskrise Alle Reeder stehen still

Von Stephan Radomsky, Mark Krümpel und Ulf Brychcy
Die globale Wirtschaftskrise trifft die Seeschifffahrt mit voller Wucht. Preise und Nachfrage brechen ein, gewaltige Überkapazitäten bedrohen die Reeder in ihrer Existenz. Selbst Vorzeigefirmen wie Hapag-Lloyd geraten nun in Schwierigkeiten.

Die Seeschifffahrt glänzte in den vergangenen Jahren mit traumhaften Zuwachsraten, sie war die Wachstumsbranche schlechthin. Doch die globale Wirtschaftskrise trifft die Logistiker der Globalisierung mit voller Wucht. Preise und Nachfrage brechen ein, gewaltige Überkapazitäten bedrohen die Reeder in ihrer Existenz. Selbst Vorzeigefirmen geraten in Schwierigkeiten.

Nichts rührt sich auf der Hamburger Norderelbe. Träge dümpeln drei Containerschiffe inmitten des Stroms. Die Rümpfe der Frachter strahlen im frischen Anstrich in Blau und Grün. Über den Decks türmen sich die Aufbauten, hoch wie Mehrfamilienhäuser. Kein bisschen Rost befleckt den Stahl, alle drei Schiffe sind so gut wie neu, keines älter als vier Jahre. Trotzdem liegen sie hier, statt zwischen Bergen und Bilbao zu kreuzen.

Zuwachsraten von 20 Prozent

Auf den Decks herrscht gähnende Leere, dort wo sich Container wie bunte Legosteine bis knapp unter die Brücke stapeln sollten. Nicht ein einziger Mensch ist vom Ufer aus an Bord zu sehen. Dabei sind die Schiffe keineswegs leer. Mit voller Besatzung ankern sie hier, hoffen auf neue Arbeit und kosten ihre Besitzer Geld. Die drei Frachter, sogenannte Feeder, müssen warten. Darauf, dass sie eine der großen Reedereien anmietet, um Container aus Hamburg in den kleineren Häfen Europas zu verteilen. Darauf, dass der Warenstrom möglichst bald wieder so anschwillt wie in den vergangenen Jahren. Und vor allem darauf, dass die Frachtpreise wieder anziehen.

Jetzt liegen wieder Containerschiffe still: vor Hamburg, vor Singapur, vor vielen anderen großen Häfen der Erde. Das hat es seit zwei Dekaden nicht mehr gegeben. Kaum eine Branche profitierte in den vergangenen Jahren so von der Globalisierung wie diese. Der boomende Welthandel bescherte Reedern und Schiffbauern volle Auftragsbücher; zeitweise wuchs der Containertransport um 20 Prozent pro Jahr. Aber nun ist es plötzlich vorbei mit der Herrlichkeit: Mit voller Wucht trifft der weltweite Wirtschaftsabschwung die Schiffsbetreiber, verhagelt ihnen das Geschäft. Kaum eine Linienreederei werde im kommenden Jahr Gewinne machen, heißt es in der Branche. "Es wird sicher einige Reeder geben, die das finanziell nicht überleben", erwartet Burkhard Lemper vom Bremer Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL).

Es geht an die Reserven

Der erste große Krisenverlierer ist Klaus-Michael Kühne. Keine zwei Monate ist es her, da erwarb der Logistikunternehmer als Anführer eines Hamburger Konsortiums zwei Drittel von Hapag-Lloyd. 1,4 Mrd. Euro müssen Kühne und seine Mitstreiter für die Beteiligung an der Reederei hinblättern, dazu bürdet Alteigner TUI der Schifffahrtstochter noch einmal 2,4 Mrd. Euro Schulden auf. Damals wurde Kühne als Retter gefeiert. Jetzt zeigt sich: Er war zu früh dran, ähnlich wie die Familie Schaeffler mit ihrem Einstieg bei Continental. Würde Kühne den Deal heute abschließen, er bekäme Hapag-Lloyd wohl deutlich billiger. Das Unternehmen steht vor einer Durststrecke.

Offiziell machen die Containerreeder auf Optimismus. "Die Schifffahrt hat mehr Erfahrung im Umgang mit Wirtschaftszyklen als jede andere Branche auf der Welt", wiegelt Hapag-Lloyd-Chef Michael Behrendt ab. Doch hinter den Kulissen ist längst klar: Nur wer in den Boomzeiten reichlich Geld zurückgelegt hat, wird die mageren Jahre durchstehen. Gerade kleine Reedereien müssen um ihre Eigenständigkeit fürchten. "Der Konzentrationsprozess wird sich weiter beschleunigen", sagt Detthold Aden, Chef des Bremer Logistikers BLG und Präsident des Seehafen-Verbands ZDS. Denn jetzt geht es an die Reserven; zurzeit schreiben fast alle Anbieter Verluste.

Ein beinharter Preiskrieg

Am härtesten trifft es die Rennstrecke der globalen Schifffahrt: den Verkehr zwischen Asien und Europa. Die Frachtraten brechen ein, betroffene Reeder sprechen von einem Blutbad. "Auf dem Spotmarkt kostet der Transport eines Containers von Asien nach Europa teilweise nur noch 250 Dollar", sagt Aden. "Normal sind 2500 $."

Trotz des Preisverfalls lassen die Reeder die Schiffe weiterfahren. Sie müssen ihre hohen Fixkosten decken. Und so nehmen sie fast zu jedem Preis Ware mit. Hauptsache, ein bisschen Deckungsbeitrag kommt rein. Und pokert man zu hoch, macht ein anderer das Geschäft.

Der Wettbewerb in der weltweiten Containerschifffahrt ist beinhart - nicht erst seit dem Ausbruch der Krise. Um ihre Schiffe möglichst voll zu beladen, neigen Reeder dazu, sich gern gegenseitig zu unterbieten, selbst in guten Zeiten.

Der ausgeprägte Konkurrenzkampf bescherte den Linienreedern bereits 2006 ein mäßiges Jahr, obwohl der Welthandel da noch bestens lief. Angezettelt wurde der Preiskrieg von Branchenprimus Maersk, der nach der Übernahme des Konkurrenten P&O Nedlloyd verlorene Marktanteile zurückgewinnen wollte. Als die Dänen nach einigen Monaten dazu übergingen, wieder normale Tarife zu verlangen, zogen die Frachtraten zwischenzeitlich wieder an. Und ausgerechnet jetzt verhagelt der Konjunktureinbruch der Branche das Geschäft.

Neue Schiffe, die niemand braucht

Dabei wird die weltweite Frachtmenge trotz der Krise auch in diesem Jahr weiterwachsen - nur nicht schnell genug. Machte der globale Containerverkehr 2007 noch ein Plus von zwölf Prozent, werden es in diesem Jahr wohl nur noch acht Prozent sein. Für 2009 rechnet Ökonom Lemper auf Basis der Wirtschaftsprognose des Internationalen Währungsfonds nur noch mit vier Prozent Wachstum. Und das reicht bei Weitem nicht aus, um all die neuen Frachter zu füllen, die auf den Weltmeeren kreuzen sollen.

1350 Containerschiffe haben die Reeder nach Berechnungen des ISL bestellt - im festen Glauben, dass sich das rapide Wachstum der vergangenen Jahre fortsetzen werde. Allein 2009 werden 470 Frachter mit einer Kapazität von 1,8 Millionen Standardcontainern die Werften verlassen - das sind fast 15 Prozent der bisherigen Weltflotte. "Selbst für das ursprünglich angenommene Wachstum wären diese Kapazitäten zu groß gewesen", sagt Lemper. Nun droht dem Markt ein gewaltiges Überangebot.

Erste Strecken gestrichen

Wie prekär die Lage für die Eigner bereits jetzt ist, zeigt der Absturz der Charterraten. Rund die Hälfte der Container transportieren Linienreeder mit gemieteten Schiffen. Die Leihgebühren haben sich seit dem Frühjahr halbiert, die Frachtraten für Massengut sind seit Juni sogar um mehr als 90 Prozent gefallen. Mittlerweile nehmen die ersten Linienreeder Schiffe außer Betrieb, um nicht noch größere Verluste anzuhäufen. Erst gestern legte Maersk acht Frachter still. Und die Schifffahrtsallianz Grand Alliance, zu der auch Hapag-Lloyd gehört, strich Verbindungen zwischen Asien und den USA zusammen. "Wir haben in unserer Branche nie zuvor so schlechte Zeiten gesehen", sagt Ron Widdows, Chef von Neptune Orient Lines (NOL). Der Gewinn der siebtgrößten Reederei der Welt brach im dritten Quartal um 95 Prozent ein. Auch NOL hatte einmal großes Interesse an der Übernahme von Hapag-Lloyd. Doch angesichts der heranziehenden Krise zog sich das Unternehmen aus dem Bieterverfahren zurück - und überließ Hapag-Lloyd den Hamburgern.

Der Preis, den Kühne und Konsorten für die TUI-Tochter bezahlten, erschien schon damals ziemlich ambitioniert. Hapag-Lloyd wurde mit fast 4,5 Mrd. Euro bewertet. Das entsprach dem siebenfachen Gewinn vor Zinsen und Abschreibungen. Branchenprimus Maersk wurde an der Börse zu diesem Zeitpunkt nur mit dem 2,5-fachen Ebitda bewertet, NOL mit 3,6 - und erst danach begann die Abwärtsspirale richtig.

Magere Zeiten für Hapag-Lloyd

Ohne Steuergelder und die Unterstützung der TUI wäre die "Hamburger Lösung", die damals von Politikern enthusiastisch gefeiert wurde, kaum zustande gekommen. Mit fast 500 Mio. Euro beteiligte sich der Hamburger Senat an dem Konsortium, das Hapag-Lloyd nun übernimmt. Auch der TUI-Konzern bleibt noch mit einem Drittel an der Reederei beteiligt. "Mit diesen Eigentümern kann nichts passieren, die werden Hapag-Lloyd notfalls mit weiterem Kapital päppeln", heißt es in Hamburger Finanzkreisen. Aber die neuen Eigentümer müssen sich auf magere Renditen einstellen - wenn nicht gar rote Zahlen.

Von größeren Einschnitten will bei Hapag-Lloyd zurzeit offiziell niemand etwas wissen. Und doch könnten sie kommen. Erst kürzlich verriet der Koordinator der "Hamburger Lösung", der frühere Finanzsenator Wolfgang Peiner, man habe entsprechende Sparprogramme bereits in der Schublade liegen. Ob es einen Stellenabbau gibt und wie groß er wird, das weiß zurzeit niemand. 2008 werde die Reederei noch ein relativ gutes Ergebnis einfahren, verraten Konzerninsider. Eine Prognose für 2009 will aber niemand von ihnen wagen.

FTD