Ausgerechnet der sonst so akribische Finanzminister war im Umgang mit den Banken erstaunlich nachlässig. Wolfgang Schäuble muss vor einem Untersuchungsausschuss die Frage beantworten: Warum unterband er nicht frühzeitig Steuertricks von Firmen?
Es geht um vier Seiten. Vier Seiten mit kryptischen Begriffen wie "Naked-Short-Sales" oder "schuldrechtlichem Verpflichtungsgeschäft". Doch es sind vier Seiten, die dem deutschen Staat viele Milliarden Euro hätten bringen können. Jahr für Jahr. Ein Referent im Bundesfinanzministerium hat sie geschrieben. Doch der oberste Chef hat die Vorlage vermutlich ignoriert. Dabei gilt der Jurist eigentlich als akribischer Mann, bei den Wählern ist er beliebt, für die Bundesregierung eine der wichtigsten Stützen. Es ist: Wolfgang Schäuble.
An diesem Donnerstag muss der CDU-Politiker dazu Fragen beantworten: Warum wollte er die Milliarden nicht haben?
War es einer der teuersten Fehler in der Geschichte der Finanzpolitik? Gar Absicht? Kuschte er vielleicht vor der Bankenlobby? Ein Untersuchungsausschuss des Bundestags hat den Minister vorgeladen. Die Abgeordneten wollen wissen, warum er komplizierte Wertpapierdeals nicht frühzeitig unterbunden hat, die dem Staat massiv schadeten. Aus internen Papieren des Finanzministeriums, die dem stern vorliegen, ergibt sich ein blamables Bild: Schäuble war kein forscher Aufklärer in Sachen Steuertricks. Obwohl seine Mitarbeiter von den umstrittenen Geschäften spätestens seit 2010 wussten, unterband der Minister sie erst Ende 2015.
War es einer der teuersten Fehler in der Geschichte der Finanzpolitik? Gar Absicht? Kuschte er vielleicht vor der Bankenlobby? Ein Untersuchungsausschuss des Bundestags hat den Minister vorgeladen. Die Abgeordneten wollen wissen, warum er komplizierte Wertpapierdeals nicht frühzeitig unterbunden hat, die dem Staat massiv schadeten. Aus internen Papieren des Finanzministeriums, die dem stern vorliegen, ergibt sich ein blamables Bild: Schäuble war kein forscher Aufklärer in Sachen Steuertricks. Obwohl seine Mitarbeiter von den umstrittenen Geschäften spätestens seit 2010 wussten, unterband der Minister sie erst Ende 2015.
Die Opposition hält das für ein schweres Versagen: "Wir gehen davon aus, dass der Staat in den letzten fünf Jahren jährlich bis zu fünf Milliarden Euro verloren hat, und das liegt auch an Wolfgang Schäuble", sagt der grüne Finanzexperte Gerhard Schick. Ähnlich urteilt sein Kollege Richard Pitterle von den Linken, für den Schäuble "die volle Verantwortung für den Milliardenschaden trägt".
Banken nutzten eine Gesetzeslücke
Es geht um sogenannte Cum-Cum-Geschäfte. Cum ist lateinisch und bedeutet "mit". Ausländische Firmen sichern sich dabei Steuervorteile, die ihnen im Grunde nicht zustehen. Konkret läuft die Sache so: Deutsche Konzerne schütten jedes Jahr Dividenden aus, für die ausländische Großaktionäre Kapitalertragsteuer zahlen, meist 15 Prozent. Doch das wollen sie vermeiden und nutzen eine Gesetzeslücke. Denn inländische Banken zahlen die Steuer nicht, sie können etwa eine Gutschrift beim Finanzamt beantragen. Bevor die Dividende fällig wird, verleihen ausländische Firmen ihre Papiere an inländische Institute. Sie kassieren die Dividende, holen sich die Steuergutschrift, leiten die Papiere ins Ausland zurück, und am Ende teilen sich beide den Gewinn. Jährlich soll eine Handvoll Banken, die Commerzbank etwa oder die Hypovereinsbank, den Staat ausgetrickst haben. Den Schaden schätzt Christoph Spengel, Wirtschaftsprofessor an der Universität Mannheim, auf fünf bis sechs Milliarden Euro. Pro Jahr.
Referent machte Vorschläge, die Praxis zu stoppen
Von den Praktiken wussten Schäubles Beamte schon seit 2010. Das lässt sich aus einer Mail des Bundesfinanzministeriums schließen, die dem stern vorliegt. Darin geht es um ausländische Aktiendeals rund um den Dividendentag, wie es bei Cum-Cum-Geschäften üblich ist. Diese "Problematik" gebe es aber nicht nur im Ausland, heißt es in der Mail, sondern "auch in der Bundesrepublik". In der denkwürdigen Vier-Seiten-Vorlage beschreibt der Referent sogar, wie sich ein Schaden verhindern lässt, wenn man bestimmte Wertpapiergeschäfte eindämmt. So könnten "die auf dem Markt vielfältig vorhandenen Instrumente steuerlich unattraktiv gemacht" werden, heißt es.
Eine gute Idee. Doch sie wurde nicht aufgegriffen, wie Schäuble auch andere Hinweise ignorierte.
Bis heute gibt es zahlreiche Ausnahmen
Anfang 2015 berichteten Medien über die dubiosen Cum-Cum-Geschäfte. Doch das Ausmaß der Misere will man in Schäubles Haus (BMF) verschleiern. In einer Mail an die Ministeriums-Pressestelle heißt es, gegenüber Journalisten "sollte keine explizite Aussage getroffen werden, dass BMF Einzelfälle kennt". In Wirklichkeit hatte ein Referent in einer anderen Mail geschrieben, dass "dem BMF Einzelfälle bekannt sind, in denen versucht wurde, die Kapitalertragsteuer zu umgehen".
Und warum – auch diese Frage wird Schäuble beantworten müssen – treibt er den aufgelaufenen Schaden von bis zu 20 bis 25 Milliarden Euro heute nicht konsequent ein? Der Minister ließ zwar ein Rundschreiben an die Finanzämter verschicken, doch der Grünen-Abgeordnete Schick hält es für unzureichend. "Das Schreiben enthält so viele Ausnahmen, dass die meisten Altfälle der Banken nicht betroffen sind", sagt er. Auch Wirtschaftsprofessor Spengel beurteilt das Rundschreiben als "fragwürdig".
Das Finanzministerium weist die Vorwürfe zurück. Dort verweist man auf "europarechtliche Gesichtspunkte", die den Kampf gegen Cum-Cum-Geschäfte erschwert hätten. Dass es für Schäuble schwierig werden könnte, zeigte am vergangenen Montag der Auftritt seines Staatssekretärs Michael Meister. Er wurde eine gute Stunde im Ausschuss gegrillt und räumte ein, dass ein "Steuerschaden entstanden" sein könnte.