Im BMW-Werk Leipzig nannten sie ihn nur den "Sensenmann". Er - das war der Personal-Mann von der Zeitarbeitsfirma I.K Hofmann. Und die Nachricht, die er im Oktober 2008 seinen Leuten überbrachte, empfanden sie wie einen Todesstoß. Matthias Wagner* erinnert sich genau: "Wir wussten ja, dass wir Leiharbeiter die ersten sein würden, die in der Krise gehen müssen. Was ich schlimm fand war, dass es so schnell ging, dass es einfach hieß: 'morgen brauchste nicht mehr kommen', das war hart, ich habe fast zwei Jahre bei BMW am Band gestanden."
Comeback der Zeitarbeit
Matthias Wagner ist einer von über 300.000 Leiharbeitern, die seit Ausbruch der Krise gefeuert worden sind. Noch im Juni 2008 verzeichnete die Branche, die als "Jobmotor" gefeiert wurde, mit 823.000 Beschäftigten einen historischen Rekord. Doch nur sechs Monate später war die Zahl auf 500.000 geschrumpft. Doch Detlef Wetzel, Vize-Chef der IG Metall, erwartet, dass die Zeitarbeit vor einem gewaltigem Comeback steht: "Die Arbeitgeber haben gesehen, wie einfach und billig sie sich in der Krise von Leiharbeitern trennen können. Es muss kein Sozialplan ausgehandelt werden, es gibt keine Abfindungen. Das ist ein starker Anreiz, Stammbelegschaften durch Leiharbeiter zu ersetzen, sobald der Aufschwung kommt."
Tatsächlich zeigt eine Studie des Sozialwissenschaftlers Klaus Dörre von der Universität Jena, dass die Leiharbeit nicht nur dazu genutzt wird, um Auftragsspitzen abzupuffern, sondern zunehmend "strategisch" eingesetzt wird. Strategisch bedeutet: Die Personalkosten sollen sinken, um die Rendite abzusichern. Detlef Wetzel erwartet, dass es mittelfristig bis zu 2,5 Millionen Leiharbeiter in Deutschland geben könnte. Das wären ungefähr neun Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten! Wie soll es weitergehen mit der Zeitarbeit in Deutschland?
2004 wurde die Branche unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung radikal liberalisiert. Am 1.1 2004 trat das neue Gesetz zur Arbeitnehmerüberlassung (AÜG) in Kraft.
Die wichtigsten Regelungen:
- Zeitarbeiter dürfen unbefristet im selben Betrieb eingesetzt werden.
- Wegfall des Synchronisations-Verbots. Das heißt die Zeitarbeits-Firma muss den Leiharbeiter nur so lange beschäftigen, wie er beim Kunden eingesetzt ist. Damit wälzt sie das Risiko der verleihfreien Zeit auf den Arbeitnehmer ab.
- Entgelt: Eigentlich schreibt das AÜG "equal treatment" vor, das heißt, die Leiharbeiter müssen zu gleichen Kondi-tionen arbeiten wie die Stammbelegschaften. Es sei denn, Tarifverträge regeln das anders. Noch bevor das Gesetz in Kraft trat, schlossen die Zeitarbeitsfirmen Tarifverträge mit den christlichen Gewerkschaften ab (Einstiegsgehalt 6,53 Euro) und mit dem DGB (Einstiegsgehalt 7,38 Euro).
Nur zehn Prozent werden fest übernommen
Seitdem wächst diese Beschäftigungsform so stark wie keine andere in Deutschland. Das "Jobwunder" der Jahre 2005-2008 geht zum größten Teil auf das Konto der Zeitarbeit. Andererseits spaltet diese Branche die Gesellschaft gnadenlos - in gut abgesicherte Stammbelegschaften und jederzeit aus-tauschbare Randbelegschaften. In Menschen, die gelassen in die Zukunft schauen können und Menschen, die nie wissen, was übermorgen kommt. In solche, deren Arbeit immer mehr wert wird und solche, deren Arbeit systematisch entwertet wird: Das Einstiegsgehalt für einfache Tätigkeiten liegt je nach Tarifvertrag bei 7,38 Euro oder sogar nur 6,53 Euro. Im Osten sind die Löhne noch niedriger. Und auch der angebliche "Klebeeffekt" wird schön geredet: Nur etwa zehn Prozent der Leiharbeiter werden von der Firma, an die sie vermietet sind, fest übernommen.
Die Gewerkschaften wollen den Missbrauch der Leiharbeit nicht länger hinnehmen und fordern eine politische Debatte. "Das Schweigen der Kanzlerin zu dem Schicksal von Hunderttausenden Menschen ist unerträglich", kritisiert Detlef Wetzel.
Frankreich mit Vorreiterrolle
Doch CDU, FDP und Arbeitgeber haben kein Interesse, die Zeitarbeit wieder an die Kette zu legen. Für Martin Kanne-giesser, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, stellt sie eine "Brücke in den Arbeitsmarkt" dar, vor allem Langzeitsarbeitslose profitierten davon. "Von Verdrängung der Stammbelegschaften kann keine Rede sein", sagt Kannegiesser. Zudem bräuchten die Unternehmen die Flexibilität.
Die sollen sie auch haben. Aber nicht länger zum Schnäppchenpreis. Eine Studie des Instituts für Arbeit und Qualifikation zeigt: Fast alle anderen westeuropäischen Nationen haben Leiharbeit fairer geregelt als Deutschland. Besonders interessant ist Frankreich. Hier gilt tatsächlich "equal payment". Zusätzlich erhalten Leiharbeiter eine "Prekaritätsprämie" in Höhe von zehn Prozent der Bruttolohnsume, weil ihre Beschäftigung so unsicher ist. Zusätzlich müssen die Zeitarbeitsunternehmen Geld in einen Weiterbildungsfonds zahlen. In Frankreich werden die Leiharbeiter also für ihre Flexibilität belohnt - und nicht mit schlechten Löhnen bestraft wie in Deutschland. In Holland steigen Leiharbeiter mit 8,24 Euro ein. Zudem haben sie einen Anspruch darauf, nach 6,5 Monaten, fest eingestellt zu werden.
Zeitarbeit boomt europaweit
In Österreich liegt der Stundenlohn für einfache Tätigkeiten bei 7,63 Euro die Stunde. In Hochlohn-Branchen wie der Metall- und Chemieindustrie erhalten österreichische Zeitarbeiter Zuschläge, damit der Lohnabstand zur Stammbelegschaft verringert wird. Sie profitieren auch von Tariferhöhungen der Stammbelegschaften.
In Schweden und Dänemark haben die Gewerkschaften sehr starke Tarifverträge ausgehandelt, die Leiharbeiter den Stammbelegschaften fast gleich stellen. Für den Sozialwissenschaftler Klaus Dörre ist vor allem die französische Variante interessant. "Eine harte, aber faire Lösung. Die Beschäftigung ist unsicher, wird aber sehr gut bezahlt." Und auch die Zeitarbeits-Unternehmen verdienen prächtig: So machte der Branchen-Primus Adecco 2008 ein Drittel seines Umsatzes und Gewinns in Frankreich. Der deutsche Markt trug gerade mal 16 Prozent bei.