Stolz auf das "Jahrhundert-Bauwerk" hatten Königin Elizabeth II. und der damalige Staatspräsident François Mitterrand mit salbungsvollen Worten das blau-weiß-rote Band durchschnitten. "Erstmals sind sich die Staatschefs beider Länder begegnet, ohne ein Boot oder das Flugzeug nehmen zu müssen", sagte die Queen am 6. Mai 1994 im französischen Küstenort Coquelles. Doch zehn Jahre nach der pompösen Eröffnung des Eurotunnels, der einzigen Landverbindung zwischen der britischen Insel und dem europäischen Festland, gibt es keinen Grund zum Feiern. Denn das britisch-französische Unternehmen wird von neun Milliarden Euro Altschulden erdrückt, und Licht am Ende des Tunnels ist nicht in Sicht.
Debakel begann unter Maggie Thatcher
Begonnen hatte das ganze Debakel mit der "Eisernen Lady" Margaret Thatcher. Die Premierministerin und überzeugte Anhängerin der freien Marktwirtschaft hatte 1986 beim Abschluss des Eurotunnelvertrages mit Frankreich durchgedrückt, dass nicht ein Penny aus der Staatskasse an das neue Unternehmen fließt - und daran hat sich bis zum heutigen Tag nichts geändert. So wühlten sich bis zu 13.000 Arbeiter und Ingenieure in siebenjähriger Bauzeit unter dem Ärmelkanal gut 50 Kilometer zwischen Calais und Folkestone durch das Erdreich. Die Finanzierung der Kosten in Höhe von damals zehn Milliarden Pfund trugen 200 Banken und mehr als 600.000 Kleinaktionäre, die - vergeblich - auf einen Gewinn hofften.
Seitdem fahren jährlich zwar Millionen Zugreisende durch den Tunnel und erreichen etwa von London aus Paris oder Brüssel in rund zweieinhalb Stunden, doch kam das Unternehmen durch die enormen Baukosten trotzdem nie auf die Beine. Auch gingen die Hoffnungen auf einen Niedergang der Konkurrenz nicht in Erfüllung, im Gegenteil. Die günstigeren Autofähren über den Kanal gibt es immer noch, und die Preise der zwischenzeitlich wie Pilze aus dem Boden geschossenen Billigfluglinien sind ohnehin nicht zu unterbieten.
Rebellion der Aktionäre
Und so nahm das Schicksal seinen Lauf: Anfang April dieses Jahres stürzten rebellierende Kleinaktionäre in einer beispiellosen Aktion das Management des börsennotierten Unternehmens - zehn Jahre nach dessen Geburtsstunde. Dem "Putsch" fiel der bisherige Chef, der Brite Richard Shirrefs, zum Opfer, der durch den Franzosen Jacques Maillot ersetzt wurde, früherer Leiter des Reiseriesen Nouvelles Frontières. Er kündigte die Lösung der Schuldenfrage an und will dabei den Staat um tatkräftige Unterstützung bitten. Doch ob diese Rechnung aufgeht und sich das Blatt für Eurotunnel noch wendet, ist fraglich.
Erste Gespräche zwischen dem neuen Management und der französischen Regierung schlugen fehl. Auch an Eurotunnel beteiligte Investoren bissen mit ihren Bitten um Staatsgelder in London und Paris bisher auf Granit. Wenn sich aber nicht bald eine Lösung ergibt, könnte es für die 3.000 Eurotunnel-Mitarbeiter eng werden. Denn im Jahr 2006 endet ein Vertrag, der dem Unternehmen Mindestgebühren der Bahnbetreiber für die Tunneldurchfahrt sichert, und ein weiteres Jahr später wird sich die Firma neben den laufenden Zinszahlungen auch Forderungen nach Kapitalrückzahlungen gegenübersehen.
Verkauf an Frankreich?
Nach Berichten aus London wollen nun Eurotunnel-Kreditgeber, die dem neuen, komplett französischen Spitzenmanagement kritisch gegenüberstehen, Gespräche über einen Verkauf an die französische Staatsbahn SNCF beginnen. Die ist ohnehin bereits an der Eurostar-Gruppe beteiligt, die mit ihren Zügen durch den Kanaltunnel fährt. Doch dagegen könnte die Regierung in London Einspruch erheben, denn dies käme einer Nationalisierung des Eurotunnels durch Frankreich gleich. Außerdem würde sich die Frage nach illegalen Beihilfen von Vater Staat stellen, denn schließlich sollte dieser laut Gründungsvertrag ja seine Finger bei dem Tunnelprojekt aus dem Spiel lassen.