"Das ist ein ganz tolles Erlebnis", strahlt Brigitte Gebauer aus Berlin, die mit ihrem Sohn Christian und dessen zwei Kindern schon am Vorabend aus Berlin angereist war, um ihren knallroten BMW X3 in der neuerstellten BMW-Welt abzuholen, dem frischestem Tempel teutonischer Automobilkultur, einem Bauwerk, das in seiner Aufteilung mit Halle und Doppelkegel doch sehr an die Kirche im Dorf erinnert, und es drängt sich der Eindruck auf, als sei die Parallele nicht ganz ungewollt. Früher kam der Anruf vom Händler, das Auto sei da, heute hat die Auslieferung eines schnöden Fortbewegungsmittels Formen erreicht, in denen nur noch etwas Weihrauch fehlt. Etwas Religiöses will Frau Gebauer hingegen nicht entdecken, obwohl sie zugibt, dass die Abhol-Show vorort in München weit mehr Spass macht, als die schnöde Auslieferung im Hof des heimischen Händlers. "Das macht schon was her!"
Kathedralen nennt sie der amerikanische Journalist und Pullitzer-Preis Gewinner Dan Neill, der für die renommierte Los Angeles Times über die neuen Paläste der deutschen Autoindustrie berichtete, wahre Tempel des Vrooms, heilige Schreine in einem Land, für das das Automobil zum modernen Gott geworden sei. Kräftiger Tobak, aber ein wenig Sakrosanktes haftet ihnen halt an, BMW’s neuer Welt, oder Daimler’s Doppel-Helix-Automuseum in Stuttgart, dem Audi-Forum in Ingolstadt und in Wolfsburg gar einer ganzen Autostadt. Und spezifisch deutsch mag er auch sein, der Trend zum Religionseifer.
Mythologische Übersprungshandlung
In welcher anderen Gesellschaft prägt sonst ein automobilistisches Logo eine ganze Innenstadt wie in Stuttgart? Wo sonst wird mit säkularem Eifer jahrelang darum gefochten, ob eine Automarke höher bauen darf als der Dom in der Stadtmitte - wie vor kurzem in München? Um möglichst viele Autos möglichst teuer zu verkaufen - und das an eine Käuferschar, denen der Kauf eines Transportmittels zur mythologischen Übersprungshandlung mutiert ist - bietet es sich fast an, fahrbare Untersätze und deren Herkunft ideologisch zu verbrämen.
Die atemberaubende BMW-Welt zwischen dem Münchner Olympia-Park und dem Zeltdach des alten Stadions will deshalb mehr sein als nur ein aufgedonnerter Pick-Up-Joint für den X3 oder den 1er. Ein Statement musste es sein, das der österreichische Star-Architekt Wolf D. Prix an den Münchner Ring stellte - zwischen dem Wahrzeichen des unter Denkmalschutz stehenden Vierzylinder-Haupthauses und dem respektlos "Teetasse" genannten (und bald umgebauten) Museum der Bayrischen Motoren Werke - eine Leistung, die der Österreicher vollkommen unbescheiden mit den Werken von Le Corbusier und Oscar Niemeyer vergleicht.
Immerhin, es funktioniert
Seit der Eröffnung vor drei Wochen haben mehr als eine Viertelmillion Besucher das Bauwerk bestaunt, samstägliche Verkehrsstaus am Mittleren Ring werden dem Besucherstrom zugeschrieben, 1.500 BMWs (keine Minis und keine Rolls Royce!) wurden bisher persönlich - und gegen Bezahlung von 475 Euro - abgeholt, 45.000 sollen es pro Jahr einmal werden. Bajuwarische Marketingexperten freuen sich, dass die durchaus positive Publicity um den spektakulären Bau mit Geld nicht mehr zu bezahlen ist, und wer durch die hehren Hallen am Petuelring schreitet, dem entgeht eben nicht jenes fast andächtige, stille Staunen, das jedem einzelnen der Besucher ins Gesicht geschrieben steht. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer grenzt an katholische Wallfahrten. Laut wird hier nicht geredet, respektvolles Flüstern ist der Ton der BMW Welt.
"Religiöse Surrogate"
Sie wehre sich etwas gegen kirchliche Vergleiche, lächelt Professor Dr. Karin Wilhelm, Professorin am Institut für Bau- und Städtebaugeschichte an der Technischen Universität Brauschweig. Auch dass dem Bauwerk-Wettbewerb so etwas anhafte wie den Wettkämpfen um die gewaltigste Kathedrale unter den mittelalterlichen Stadtstaaten vergangener Jahrhunderte, wollte sie nicht ganz so stehen lassen. Allerdings: "Es hat etwas von religiösen Surrogaten", lenkt die Professorin ein und erklärt den Tempel-Trend damit: "Die Gesellschaft hat mehr oder weniger feststehende Rituale verloren, für die früher die Kirche zuständig war."
Kampf ums automobilistische Marketing
Nun ist es ans ich nichts Neues, wenn sich Automobilkonzerne architektonische Denkmäler setzen, selbst die Industrie-Barone der vergangenen Jahrhunderte markierten ihr Territorium mit mehr oder minder gelungenen Bauten. Und warum sollte das heute anders sein. Das Technical Center des US-Riesen General Motors in Warren, Michigan, wurde von Star-Architekt Eero Saarinen erbaut, Ferraris modernistische Windtunnel-Anlage in Maranello ist das Werk von Pritzker-Preis Gewinner Renzo Piano. Der Renn-Tempel, den sich der britische McLaren Rennstall vom Architektur-Papst Sir Norman Foster in Grüne setzen ließ, wurde gar von der Queen höchstpersönlich eingeweiht.
Aber nur in Deutschland, dem Land des Hermanns-Denkmals und der Frauenkirche, scheint ein echter Kampf ausgebrochen zu sein, wer denn automobilistisches Marketing am besten, am teuersten und am spektakulärsten in Glas, Stein und Stahl setzen kann. "Da ist sicherlich ein wenig ‚Keeping up with the Joneses’ dabei", erklärt Dr. Wilhelm den Drang zur Kultur-Autobahn. Das Mithalten um jeden Preis, um nicht der letzte arme Dünne in der Straße zu sein, sei zu einem treibenden Faktor geworden in einer Zeit, in der Autos nicht mehr über ihre technischen Fähigkeiten verkauft werden können, sondern über Image und Style.
Fünfzehnstöckiger, post-moderner Pfannkuchen
Dass Konkurrenzdruck eine Rolle in der Konzipierung der BMW Welt durchaus eine Rolle gespielt hat, wird in München hinter einer nicht allzu vorgehaltener Hand zugegeben. Die Latte liegt da prestige-mässig gesehen allerdings hoch - in jeder Beziehung: Das vom niederländischen Architektenteam Ben van Berkel and Caroline Bos erbaute Daimler Museum verglich Dan Neil mit einem fünfzehnstöckigen, post-modernen Pfannkuchen.