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Mängel an Neuwagen "Die Liebe der Fans droht zu erlöschen": Warum der Tesla-Anwalt den Autohersteller aus Sympathie mit Klagen überzieht

Rechtsanwalt Dr. Christoph Lindner vor seinem Tesla Model S
Er fährt Tesla, er mag Tesla, er verklagt Tesla: Rechtsanwalt Dr. Christoph Lindner.
© Solvejg Lindner
Tesla genießt weltweit den Ruf des Elektro-Pioniers. Völlig zurecht: Als andere Autohersteller noch im Dieseldelirium lagen, sah Firmenchef Elon Musk bereits Mobilitätswende anrollen. Doch langsam ist es an der Zeit, erwachsen zu werden, meint der Tesla-Anwalt Dr. Christoph Lindner.

Mit einem Gesamtwert von rund 906 Milliarden US-Dollar liegt Tesla mit gigantischem Abstand auf Platz Eins der wertvollsten Auto-Hersteller der Welt. Und doch bröckelt die Fassade allmählich, da alte Probleme auf eine gewisse Ignoranz des Herstellers treffen, der noch immer davon zehrt, eine riesige Fangemeinde um sich versammelt zu haben.

Gemeint sind vor allem Qualitätsmängel, die Tesla schon seit Jahren begleiten. Immer wieder gibt es Berichte über recht lieblos zusammengeschusterte Fahrzeuge, für die selbst den treuesten Anhängern inzwischen das Verständnis fehlt. So zum Beispiel auch bei den ersten Model Y, die vom eben erst eröffneten Werk in Grünheide stammen und liebevoll "SprEEwaldgurke" genannt werden. Gleich mehrere Erstkunden meldeten sich in den vergangenen Wochen und klagten über Kratzer, grobe Spaltmaße und teils fragwürdig verbaute Teile. 

Viele dieser Fälle landen bei Rechtsanwalt Dr. Christoph Lindner. Der selbsternannte Tesla-Anwalt hat sich darauf spezialisiert, Probleme mit Teslas (und anderen Elektroautos) vor Gericht zu klären. Vor allem, wenn Kunden mit freundlichen Bitten um eine kostenlose Reparatur im Rahmen der Garantie nicht weiterkommen. Im Gespräch mit dem stern erklärt Dr. Lindner, dass er sich eigentlich zum Ziel gesetzt hat, seinen Titel mittelfristig wieder loszuwerden – und Tesla durch seine Klagen insgesamt zu einer besseren Marke zu machen.

Herr Dr. Lindner, seit 2019 arbeiten Sie an Fällen rund um Probleme mit Elektrofahrzeugen. Inzwischen nennen Sie sich selbst Tesla-Anwalt. Wie kam es dazu?

In über 100 Fällen führt Tesla unsere Gegnerstatistik an. Bei Tesla beanstanden wir eine große Bandbreite von Problemen, sehr viele Fälle betreffen Mängel rund um die Akkukapazität und die Ladeleistung, defekte Antriebsteile, Software-Probleme insbesondere beim sogenannten "Autopiloten" und natürlich Verarbeitungsmängel an der Lackierung und Karrosserie.

Was unterscheidet Tesla von anderen Marken, deren Fahrzeuge auch nicht immer perfekt sind?

Tesla hat unserer Erfahrung nach leider erheblichen Lernbedarf, was die Behandlung der Kunden auf Augenhöhe betrifft. Es wird enorm viel versprochen, wenn man aber die Einlösung einfordert, reagiert Tesla pikiert. So zum Beispiel beim FSD, der Full Self Driving Capability, bei denen Käufer seit mehreren Jahren auf den zugesicherten Funktionsumfang warten.

Beginnt das Problem für Kunden von Tesla also schon bei der Kommunikation mit dem Hersteller?

Leider ja. Denn beliebt ist das Hin- und Herschieben rechtlicher Verantwortung zwischen Tesla Deutschland, Tesla Niederlande und Tesla USA. Was die meisten Käufer nicht wissen: Garantiegeberin ist laut den Bedingungen Tesla Niederlande, was viele von der Geltendmachung ihrer Rechte abschrecken dürfte.

Wir empfehlen generell vor dem Kauf eines neuen oder gebrauchten Elektrofahrzeugs den Abschluss einer Verkehrsrechtsschutzversicherung.

Schon seltsam. Dabei ist es ja eigentlich genau die direkte und dynamische Ansprache, die viele Menschen mit der Marke Tesla verbinden. Hat sich hinter den Kulissen vielleicht etwas verändert?

In meinen Augen ist Tesla sehr arrogant geworden, es wird eine Art Cowboy-Mentalität an den Tag gelegt. Tesla will die Regeln für den Wilden Westen der E-Mobilität selbst schreiben. Vielleicht hängt das mit dem Erfolg der Marke zusammen. Früher hat sich Tesla schnell um Probleme gekümmert, hatte ein großes Interesse daran, dass der Kunde sich wertgeschätzt fühlt. Das ist heute anders, wobei ich betonen muss, dass es sich um ein Management-Problem handelt, die normalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Service handeln auf Direktive von oben.

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Kann sich Tesla das leisten?

Zumindest nicht mehr lange, denn die Liebe der Fanboys- und -girls droht zu erlöschen. Wenn andere Hersteller, die in den Startlöchern stehen – bei den Newcomern halte ich derzeit Lucid und Fisker für am aussichtsreichsten – Qualitätssicherung und Customer Relations ernst nehmen, wird das Tesla spürbar Marktanteile kosten.

Machen wir das mal an einem Beispiel fest. Das Mobilitätsportal Efahrer berichtet von einem ihrer Fälle. Dort soll ein Gutachter an einem flammneuen Model 3 Long Rang Mängel und Defekte in Höhe von über 10.000 Euro gefunden haben. Klingt eigentlich unstrittig. Wieso liegt der Fall nun trotzdem in Ihrer Kanzlei? Und was macht Tesla?

Die erste Reklamation kurz nach der Abholung schmetterte Tesla ab. Es hieß, dass am Fahrzeug keine Mängel vorliegen würden, sondern dass das eben der "Tesla-Standard" sei. Das heißt nichts anderes, als dass Tesla der Ansicht ist, dass schlechte Verarbeitung eben bei Tesla "normal" sei und man das als Kunde so akzeptieren müsse. So wollte sich unser Mandant nicht abfertigen lassen und hat bei genauerer Untersuchung des Fahrzeugs über 20 Mängel festgestellt.

Mittlerweile hat ein gerichtlich bestellter Sachverständiger bestätigt, dass am  Fahrzeug Mängel vorliegen, deren Beseitigung über 10.000 Euro kosten wird. Tesla sieht das natürlich ganz anders und behauptet lieber, dass der vom Gericht beauftragte Gutachter fachlich eine Null sei und das Fahrzeug schon so passe. Daher wird der Fall jetzt durch das Gericht geklärt. Ich kann diese Verweigerungshaltung von Tesla juristisch nicht nachvollziehen. Und auch unternehmerisch ist das äußert unklug.

Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?

Tatsächlich wäre es mein Ziel, mich quasi selbst arbeitslos zu machen. Soll heißen: Mir ist viel daran gelegen, dass Tesla die Kurve kriegt und für Fehler einsteht. Um es einmal deutlich zu sagen: Ich bin selbst nach wie vor begeisterter Tesla-Fahrer und würde mich freuen wenn das Unternehmen auch in der Zukunft Erfolg hat – dazu muss aber die Behandlung der Kunden grundlegend umgedacht werden.

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