Im Bereich um 200 km/h dieseln Außendienstler und Familienväter um die Wette, an 250 km/h reichen die Fahrzeuge der Jungen nicht mehr heran und wer einen entsprechenden Dienstwagen kutschiert, lässt es meist langsamer angehen. Oberhalb von 250 km/h wird die Luft auch auf deutschen Autobahnen dann sehr, sehr dünn. Im klaren Höhenflug jenseits aller Begrenzer atmet die Corvette erst richtig durch.
Technische Daten
Motor: V 8
Hubraum: 5967 ccm
Leistung: 404 Ps
Drehmoment: 546 Nm
Höchstgeschw.: 300 km/h
0-100 km/h: 4,1 sec
Preis: 65.950 Euro (Automatik)
Jenseits von 220 km/h geht bei Vollgas ein gewaltiges Schütteln durch die Maschine und sie springt voran, als gäbe es kein Ende. Das ist in der Tat erst bei 300 km/h in Sicht und kann auf nicht abgesperrten Straßen nur für Minuten erreicht werden. Mehr Leistung und mehr Sport als der amerikanische Schlaganfall bietet niemand für den Preis ab 62.800 Euro.
Formvollendete Eleganz
Außen fließen die Formen mit italienischer Eleganz. An das alte, opulente Image erinnert allein der mächtige Heck-Schinken mit den traditionellen Doppel-Rückleuchten. Aus dem Sidepipe-hungrigen Monster von einst ist ein Sportwagen von klassischer Eleganz geworden.
An das liebgewordene, altbekannte Corvette Klischee vom Loddel-Hobel erinnert nichts. Schön und rein geriet die Form der Kunststoffkarosserie. Fast wünschte man sich etwas schmückenden Zierrat, um Akzente zu setzen. Eine Einfassung der Scheinwerfer, Metallapplikationen an den Seitenkiemen oder Ähnliches. Auch ohne Schmuck bebt die Vette aufregend genug durch die Straßen. Lasziv sammelt sie die Ovationen ein, die einer Supersportlerin gebühren. Steigern lässt sich der mächtige Eindruck der gewaltigen Amerikanerin noch mit einem Fahrerwechsel. Bändigt eine Frau die Kraftmaschine, geraten alle Männer am Straßenrand in akute Herznot.
Gnadenloser Hammer
Die Vette verströmt den schönen Schein, aber sie lebt nicht davon, ihr Lebensnerv schlägt im exzellenten Fahrwerk und im Sechsliter-Small-Block. 400 PS und 540 Nm Drehmoment plus konsequenter Leichtbau führen die Corvette an die Leistungsspitze.
Lachen ist nicht erlaubt. Und es lacht auch niemand. Inzwischen ist beim interessierten Publikum ankommen, dass dieser Hecktriebler kein Posing-Fahrzeug ist. Wer die Vette in die Schranken fordern will, findet tatsächlich kaum einen Untersatz, dem dieses Manöver zuzutrauen ist. Um sie herum, weht die Einsamkeit wahrer Klasse. Auf Herausforderer an der Ampel oder auf der Autobahn kann man lange warten.
Werte wie Tempo 100 in 4,1 Sekunden sprechen eine deutliche Sprache, der erstaunlich drehfreudige Achtzylinder schwächelt bis zum Ende nicht. Das Fahrwerk rückt den Ruf us-amerikanischer Ingenieurskunst in ein positives Licht. Solange Laub und Regen nicht den Asphalt schmieren, bringen die mächtigen Walzen den ungestümen Anzug immer klaglos auf die Fahrbahn. Im Spitzenbereich oberhalb von 270 km/h lässt das sichere Gefühl nicht nach, im Gegenteil, die Vette saugt sich dann erst recht an der Fahrbahn fest.
Die sonst eher kommode Dämpfung gewinnt mit mehr Geschwindigkeit immer mehr Härte. ESP Eingriffe sind im Straßenverkehr eigentlich nur mit Absicht herbeizuführen. Bei normalem Untergrund folgt die Corvette jeder Kurve präzise, der Grenzbereich lässt sich nur auf der Rennstrecke erkunden.
Wenig Feinschliff
Die Corvette investiert den Euro in den Fahrspaß, für Edelambiente bleibt wenig übrig. Innenraumfetischisten, die sich im Mercedes SL AMG standesgemäß untergebracht fühlen, mag es grausen. Meckern wird verboten: Die Corvette gibt es zum unschlagbaren Kampfpreis und dafür wird im Interieur solide Mittelklasse geboten.
Die Verarbeitung stimmt, das Lenkrad ist ein wenig groß geraten und die Kunststoffe wirken solide und strapazierfähig. Wem das nicht ausreicht, hat bei der Anschaffung genügend gespart, um den Wagen entweder in Richtung Sport kompromisslos zu strippen oder entsprechend luxuriös aufledern zu lassen. Angesichts des Preisniveaus überzeugt das Gebotene allemal.
Hübsche Überraschungen
Das Coupé wird stets und ohne Aufpreis mit Targa-Dach geliefert. Auf Wunsch öffnet sich der freie Himmel. Die Handhabung geschieht allerdings nach alter Väter Sitte: Solide Handarbeit ist gefragt. Zu zweit kein Problem, aber versucht sich eine Fahrerin daran, den Sonnenschein allein hereinzulassen, sollte sie nicht zu zierlich sein, damit sie das Mittelstück ohne Schrammen vom Dach wuchten kann. Praktisch: Der Dachabschnitt lässt sich im Kofferraum verstauen. Dem Rennsportler im Geiste wird das justierbare Head-Up-Display erfreuen, kein Auge muss mehr von der Straße weichen, um neue Höchstmarken der Beschleunigungskraftanzeige abzulesen. Bei der C 06 kostet dieses Feature allerdings extra. Es ist im Rahmen des - notwendigen - Luxus-Pakets für 2.750 Euro zu bekommen.
Erstaunlich praktisch und sparsam
Große Überraschung: Die Corvette nimmt genügend Gepäck für den Urlaub zu zweit mit an Bord. 634 Liter Stauraum sind enorm und liegen weit oberhalb der Werte aus der Golfklasse. Ebenso erstaunlich ist der Verbrauch. Auf der normalen Autobahn, die nicht nur Tempo 200 plus zulässt, wurden elf Liter konsumiert. Im Großstadt-Zyklus blieb der Durst unter 14 Litern. Das sind extrem niedrige Werte für einen Wagen dieser Leistungsklasse. Sobald man verinnerlicht hat, wie mächtig die Corvette tatsächlich ist, kommt man in der City erstaunlich gut mit dem Geschoss über die Runden. Kantsteine sind zu meiden und die Sicht nach hinten muss durch Gespür für die Maße des Wagens ersetzt werden. Nur wer meint, eine Maschine mit der Anzeige von Querbeschleunigungskräften lenken zu müssen, sollte auch sonst ein wenig vertraut mit dem Gefährt sein. Dafür murrt und muckt die Vette selbst im Stau nicht, sondern gleitet erstaunlich klaglos im Schritttempo dahin. Dann lässt die Servo-Unterstützung merklich nach, der Fahrer fand es anregend sportlich, auch mal fest zugreifen zu müssen. Im Praxistest stellte sich die Corvette allen Aufgaben und gab keinen Anlass zur Klage. Dass sie ein zu heißes Gerät für den täglichen Trott im Stopp-and-Go ist, versteht sich von selbst, dennoch lässt sie sich die Zumutung gefallen. Werner P. Röser vom Importeur Kroymanns Deutschland GmbH übertreibt nicht, wenn er sagt: "Die Corvette C6 ist ein Statement für sinnvoll angewandte Technologien zu einem unschlagbaren Preis. Fahrverhalten, Leistung und Produktpersönlichkeit eines Supersportwagens vereinen sich mit günstigen Verbrauchswerten und einem 634-Liter-Kofferraum im Alltag."
Power-Schnäppchen
Wie wahr, die Corvette führt ihren Besitzer in das Reich der Supersportler und das ab 62.000 Euro. Wer sich für die kraftschonende Automatik, das Luxus-Paket und das elektronische Fahrwerk mit variabler Dämpfung entscheidet, liegt etwas über 70.000 Euro. Damit kommt der Liebhaber immer noch 40.000 bis 70.000 Euro günstiger weg, als bei anderen Rennern mit vergleichbarer Leistung. Dass die Innenraum-Gestaltung nicht das Level einer Edelboutique erreicht, kann so betrachtet, nicht beweint werden. Auch ein Imageproblem konnte mit der US-Beauty nicht festgestellt werden. Man weiß, was die Vette kann und zeigt den verdienten Respekt. Neben den sportlichen Fähigkeiten verblüfft ihre Willigkeit, auch den drögen Normalbetrieb zu absolvieren. Mit dem Power-Girl kann man nicht nur die Höhepunkte auf der Rennstrecke, sondern auch den Alltag zwischen Büro und Tennisplatz erleben. Und der gehört zur wahren Liebe auch dazu.
Gernot Kramper