Wie heil wäre Opels Welt, würde man für einen Augenblick die Wirklichkeit ausblenden? Keine sterbenskranke Mutter in Detroit, keine Bürgschaften aus Berlin zum Überleben, keine Versuche, sich aus der 80-jährigen Beziehung zu lösen und in neuer Formation weiter zu bestehen.
Modellpolitisch war der Rüsselsheimer Autobauer nie besser aufgestellt als heute. Von Absatzkrise keine Spur. Die Kunden rennen den Opelanern die Bude ein, nicht nur wegen der derzeitigen Abwrackprämie. Die Verkäufe im Januar und Februar nahmen gegenüber den vergleichbaren Vorjahresmonaten um 50 und 80 Prozent zu. "Opel surft auf einer Sympathie-Welle", sagt Vize-Präsident GM Europe Alain Visser, "die Loyalität unser Kunden ist unglaublich."
Jede Woche 4000 Insignia-Kunden
Besonders das Flaggschiff Insignia - von europäischen Fachjournalisten zum "Auto des Jahres 2009" gewählt und seit November auf dem Markt - scheint alle Rüsselsheimer Rekorde zu brechen. Über 80.000 Bestellungen sollen laut Hersteller bei den Händlern liegen. "Wöchentlich kommen rund 4000 hinzu", sagt Visser. Doch nur etwa 800 Einheiten können im Zweischichtbetrieb pro Tag hergestellt werden. Und mit dem jetzt anlaufenden Sports Tourer wird die Sache nicht besser. Auf mehr als 70 Prozent schätzt Opel die Kombi-Kaufrate. Es drohen längere Lieferzeiten. Um die so kurz wie möglich zu halten, werden für den Insignia ab Mai jeweils am Samstag Sonderschichten gefahren.
Opels Hoffnungsträger entpuppt sich zu einem Bestseller im Mittelklasse-Segment. In den ersten beiden Monaten 2009 war der Insignia in Europa das meistverkaufte Auto seiner Klasse, lag vor Passat und Mondeo. Dem eleganten Sports Tourer könnte es genauso ergehen. Einen schöneren Kombi hat Opel nie gebaut. Dass sich ein paar Traditionalisten daran gestoßen haben, dass er nicht mehr die Bezeichnung Caravan trägt (so hießen Opels Kombis seit 1953) tut dem Erfolg keinen Abbruch. Auch 1970 gab es mal einen Ascona Kombi, der Voyager hieß und 1989 einen Omega mit dem Namen Power Wagon.
Größer als der letzte Omega
Mit 4,91 Meter Länge überragt der Insignia Sports Tourer sogar den einstigen Omega Caravan, wirkt durch sein Design jedoch deutlich kompakter. Bei allem Sinn für Ästhetik haben die Opel-Entwickler nicht den Nutzwert aus den Augen verloren. Die ungewöhnlich gestylte Heckklappe (sie trägt beide Rückleuchten) gibt einen weiten Bereich zum Beladen frei. Der Kofferraumboden ist durchgängig eben, keine Federbeine engen die Breite ein. Die Rücksitzlehnen lassen sich mit einem Handgriff geteilt umlegen, erweitern das Volumen von 540 auf 1530 Liter. Ein gut durchdachtes Befestigungs- und Schienensystem sorgt für Ordnung im Gepäckabteil. Selbst bis zu 1,91 Meter lange Pakete von Ikea oder Bretter vom Baumarkt können trocken nach Hause gefahren werden und zur Not könnte der Kombi auch als Nachtquartier herhalten.
Neuer Biturbo-Diesel mit 190 PS
Mit dem Sports Tourer debütieren zwei neue Turbo-Motoren, ein 1,6-Liter-Benziner mit 180 PS sowie ein Zweiliter-Diesel. Letzterer wird sogar von zwei Turbinen beflügelt und leistet 190 PS und 400 Newtonmeter Drehmoment. Leider gehört er nicht zu den leisesten seiner Art und macht vor allem beim Beschleunigen recht deutlich auf seine Arbeitsweise aufmerksam. Obendrein ist er auch nicht der Sparsamste in seinem Segment. 6,7 Liter gibt Opel an. Zum Vergleich: Ein ähnlich großer Diesel in der neuen Mercedes E-Klasse (204 PS, 500 Nm) soll auf nur 5,3 Liter kommen. Besserung verspricht Opel mit einer für den Sommer geplanten Ecoflex-Version und 160 PS. Hier sind 140 Gramm CO2 das Ziel, was einem Verbrauch von ebenfalls rund 5,3 Litern pro 100 Kilometer entspricht.
Günstig ist der Selbstzünder-Spaß allerdings nicht. Bislang gibt es den starken Dieselmotor nur in Verbindung mit Allradantrieb zu einem Preis von 37.875 Euro. Als Automatik in der Topausstattung Cosmo kostet der Wagen sogar 42.910 Euro. Das sind Welten von der Einstiegsversion entfernt. Mit dem 115-PS-Benziner ist Opels Kombi-Flaggschiff schon ab 23.990 Euro zu haben.