Honda Aufstiegskandidat

Der neue Honda Legend will mit technischen Finessen in der Oberklasse punkten. Doch nicht alles überzeugt.

Honda hätte es schwer ohne Wunibald Kamm. Der war Professor in Stuttgart und erfand eine grafische Darstellung darüber, wie Allrad-Antriebskräfte während der Fahrt an den Autoreifen zerren und arbeiten. Dieser "Kamm'sche Kreis" ist ein verzwicktes Gebilde aus Pfeilen, Winkeln und Rechtecken im gezeichneten Rund. Für Laien etwa so prickelnd wie ein Schnittmusterbogen. 40 Jahre lebt Wunibald schon nicht mehr, doch jetzt braucht Honda dringend den Geometrie-Klassiker des Professors.

Denn ohne die Zeichen im Kreis könnte Walter Tief, Hondas oberster Techniker in Deutschland, die Vorzüge des neuen Allradantriebs namens SH-AWD nur schwer erläutern. Das Kürzel steht für Super Handling All-Wheel-Drive, der im ebenfalls neuen Modell Legend zu haben ist. Diese Technik verteilt die Antriebskraft nicht nur wie üblich zwischen Vorder- und Hinterachse, sondern zusätzlich auch zwischen den beiden Rädern der Hinterachse. Die Methode ist mutig, wirkt sie doch wie ein umgekehrtes ESP: Während elektronische Stabilitätsprogramme bei drohendem Kursverlust das durchdrehende Hinterrad abbremsen, gibt der Computer im großen Honda in brenzligen Kurven sogar noch Power drauf. Effekt: Er bleibt in der Spur, fährt dem drohenden Ausrutscher davon.

Technische Daten

Motor

Sechszylinder mit 3,5 Liter Hubraum und 217 kW/295 PS

Fahrleistungen

Höchsttempo 250 km/h, Beschleunigung 0-100 km/h in 7,3 Sek.

EU-Normverbrauch

11,9 Liter Super je 100 km

Gewichte und Abmessungen

Länge/Breite/Höhe: 4,96/1,85/1,45 Meter;
Leergewicht: 1920 kg;
Kofferraumvolumen: 452 l; max.
Zuladung: 390 kg

Preis

54 600 Euro

Mit derlei Fahrhilfe will Honda beim Spitzentrio der oberen Mittelklasse um Kunden und Markenwechsler buhlen. Die angepeilten Gegner heißen Audi A6, 5er-BMW und Mercedes E-Klasse. Jetzt ist der Legend im Rennen, ohne Aufpreisliste: Vollausstattung für 54 600 Euro.

Doch die Vorzüge des derzeit einmaligen Vierradantriebs dürften für die Kunden im Alltag zumeist nur von theoretischer Natur sein. Denn die flotte Technik wirkt erst bei hohem Tempo in engen Kurven. Außerhalb von Renn- und Erprobungspisten eine eher seltene Gangart. Zudem gibt es einen deutlichen Nachteil. Nicht zuletzt wegen der drei Verteilergetriebe an der Hinterachse (für die Antriebskraft) wiegt der Wagen 1920 Kilogramm - rund 250 Kilo mehr als der ebenfalls allradgetriebene BMW 530xi. Die üppigen Pfunde zusammen mit der museumsreifen Fünfgang-Automatik treiben den Verbrauch der amerikanischbequemen Reiselimousine zuweilen auf knapp 15 Liter Super je 100 Kilometer.

Dagegen ist CMBS wieder eine technische Pionierleistung. Hinter der Abkürzung für "Collision Mitigation Brake System" steckt ein elektronisches Assistenz-system, das vor Auffahrunfällen warnen und notfalls einen drohenden Crash automatisch verhindern soll. Dazu tasten Radarstrahlen ständig die Strecke vor dem Kühlergrill ab. Erfasst die Peilung ein Hindernis, reagiert CMBS je nach Abstand zum Vordermann in drei Stufen. Zuerst ertönt ein Warnsignal. Pennt der Fahrer, bremst der Honda von selbst leicht ab. Gleichzeitig zupft der Gurtstraffer als fühlbares Wecksignal kurz am Sicherheitsgurt. Nutzt das nichts, haut der Bordrechner automatisch in die Bremsen. Mit einer Wucht, die etwa zwei Dritteln einer Vollbremsung entspricht. So wird der drohende Crash verhindert oder zumindest deutlich gemildert.

Theoretisch. In der Praxis gibt's noch Kinderkrankheiten zu kurieren. Bei Testfahrten des stern auf einem abgesperrten Prüfgelände in der Nähe von Salzburg patzte die Radarortung. Der Legend mähte den simulierten Radfahrer, eine mobile Attrappe an einem Blechgestänge, in voller Fahrt nieder. Vorwarnung und automatische Notbremsung funktionierten erst nach mehreren Versuchen fehlerfrei. Allerdings auch dann nur, wenn der Personen-Dummy genau in der Mitte vor dem Auto auftauchte. Grund: Das Suchradar ist auf große Flächen wie Mauern oder Autohecks abgestimmt und strahlt in einem engen Winkel spitz geradeaus. Schmale Hindernisse rechts und links davon bleiben unerkannt.

Bei der Marktnische klappt die Zielerfassung besser. In der Klasse "Alternativ Premium" ist die große Honda-Limousine schon Spitzenreiter. Kein Wunder, denn dieses Segment schufen die Wortschöpfer im Legend-Marketing für sich selbst. Konkurrenten gibt es nicht.

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Peter Weyer