Nachtsichtgerät Durchblick auf Knopfdruck

Der letzte Schrei bei Luxuslimousinen ist ein nachtsichtgerät. Ein stern-Test zeigt, was der Mensch und was das Technik-Adlerauge sieht.

Kurz vor 22 Uhr auf einer einsamen Landstraße bei Kassel: stern-Reporter packen ihre Kameras aus, Mercedes-Ingenieure bringen die neue S-Klasse in Position und stellen am Straßenrand Schaufensterpuppen auf. Drei Stück im Abstand von jeweils zehn Metern. Die erste steht rund 60 Meter vor der Limousine, die letzte ist 90 Meter entfernt. Gleich wird ein Nachsichtgerät getestet, das neben Mercedes inzwischen auch andere Hersteller für ihre Spitzenmodelle anbieten. Was sieht es? Erkennt es mit seinem angeblichen Weitblick nachts tatsächlich viel mehr als der Mensch?

Matthias Reichmann, Ingenieur im Sindelfinger Entwicklungszentrum von Mercedes, schaltet das Abblendlicht der Limousine ein. Ergebnis: Trotz guter Scheinwerfer ist keine der Schaufensterpuppen zu sehen, weder an der 60-Meter-Marke noch an der 90-Meter-Marke. Kurz darauf ein weiterer Knopfdruck an der Instrumententafel: Das Cockpit-Display, auf dem normalerweise der Tacho zu sehen ist, schaltet um und zeigt nun ein gestochen scharfes Schwarzweißbild der Szene weit vor dem Auto. Alle Puppen sind deutlich zu erkennen.

Diese Adleraugen (Aufpreis 3514,80 Euro, nur in Verbindung mit Bi-Xenon- und Abbiegelicht) ergänzen die Scheinwerfer. Verkehrsschilder, Kurven, Fußgänger, Radfahrer, Tiere, verlorene Ladung oder andere Gefahrenstellen auf der Straße, die das Abblendlicht lange im Dunkeln lässt, werden dank Nachtsicht-Assistent früher sichtbar, sodass Autofahrer rechtzeitig bremsen oder ausweichen können.

"Das System bietet permanent die Sichtweite des Fernlichts, aber ohne den Gegenverkehr zu blenden", sagt Mercedes-Ingenieur Reichmann. Möglich wird das durch zwei zusätzliche Infrarotscheinwerfer, die rund 200 Meter weit strahlen - fürs bloße Auge unsichtbar. Ebenso wie unsere Ohren Geräusche nur in einem bestimmten Frequenzbereich hören, ist auch das Leistungsvermögen der Augen begrenzt. Sehen können wir nur, wenn die Wellenlänge des Lichts zwischen 380 und 780 Nanometer beträgt. Dieses Manko der Augen nutzt der Nachtsicht-Assistent. Seine Scheinwerfer arbeiten mit einer Wellenlänge jenseits des sichtbaren Lichts. Deshalb blenden sie nicht.

Buchtipp

Mehr über den Nachtsicht-Assistenten steht in dem Buch "S-Klasse - Meisterstück auf Rädern", Delius Klasing Verlag, 182 Seiten, 39,90 Euro.

Eine kleine Kamera an der Innenseite der Frontscheibe "sieht" das Infrarotlicht und leitet das Bild ans Display im Cockpit weiter. "Man nutzt den Nachtsicht-Assistenten quasi wie den Rückspiegel", sagt Reichmann. "Ein kurzer, regelmäßiger Blick auf das Display genügt, und der Fahrer erkennt, was sich im Dunkeln weit vor ihm auf der Fahrbahn abspielt." Auf den Tacho und andere wichtige Informationen muss man dabei nicht verzichten: Das gefahrene Tempo erscheint als farbiger Balken am unteren Bildrand, und die üblichen Kontrollleuchten werden bei Bedarf eingeblendet.

Selbst auf dem gut beleuchteten Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor in Berlin zeigte das System Passanten auf der Fahrbahn, die sonst trotz Straßenlaternen und Autoscheinwerfern aus dieser Entfernung nicht zu sehen wären. Eine typische und zugleich gefährliche Autopanne inszenierte das stern-Team am Gelsenkirchener Nordsternpark: Ein Mann kniet neben seinem Wagen, um einen platten Reifen zu wechseln. Die Scheinwerfer des Autos sind zwar eingeschaltet, blenden aber so stark, dass entgegenkommende Fahrer fast nichts sehen können - vor allem die Person neben dem Pannenauto nicht. Nur der Nachtsicht-Assistent blickt durch. Seine Elektronik schwächt den Blendeffekt ab und zeigt aus großer Entfernung alle Details - vor allem auch den Mann beim Reifenwechsel.

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Christof Vieweg