In Los Angeles ticken die Uhren anders als in Europa. Das liegt nicht nur an den neun Stunden Zeitunterschied und ganzjährig sommerlichen Temperaturen. Vielmehr sind die Einwohner von Los Angeles mit seinen bekannten Außenbezirken wie Hollywood und Beverly Hills den Anblick von teuren und seltenen Luxusmodellen gewohnt. Da muss es sich schon um einen ganz besonderen Hingucker handeln, wenn die auf dem Sunset Boulevard stolzierenden Dauer-Shopper ihr Smartphone zücken und den Schnappschuss sogleich zu ihrem Facebook-Profilbild machen. Dieser Tage wurden viele Profilbilder von Beverly Hills-Bewohnern ausgetauscht, denn Audi ließ seinem Konzeptfahrzeug Prologue, nach zwei harten Messetagen ein paar Stunden Auslauf. Das Resultat dieses seltenen Feldversuchs: Dank des neuen Designchefs Marc Lichte hat Audi die Chance zurückerhalten, in den kommenden Jahren das Straßenbild maßgeblich mitzugestalten.
Schon auf dem kleinen Messestand überstrahlte der Audi Prologue mit seiner bis dato unbekannten Außenhaut die restlichen Familienmitglieder. Die aus einem Stück gefrästen Aluminiumfelgen, der große Frontgrill und das markante Heck mit seinen 3D-Leuchten polarisieren - doch fühlt sich die Mehrheit zum Pluspol hingezogen. Der von einer Minderheit von Dauerunzufriedenen besetzte Minuspol verliert noch mehr an seinen Gegenspieler, wenn der 5,10 Meter lange Design- und Hoffnungsträger auf die sonnenüberflutete Straße gerollt wird. Schon mit den ersten Sonnenstrahlen, die sich auf der wie gemalten Karosserie brechen, wird klar, was Marc Lichte in seinen stets emotionalen Vorträgen versprach: "Ich will das Thema Allradantrieb, sprich Quattro, sichtbar machen." Geschafft hat er es durch weit herausgezogenen Radhäuser, in denen 22 Zoll große und 285 Millimeter breite Räder ruhen. Allerdings nur so lange, bis der 4,0 Liter große TFSI-Motor zum Leben erweckt wird.
Genau dann passiert etwas, was in Richtung optischer und akustischer Täuschung geht. Denn sein futuristisches und fast schon elektrisierendes Auftreten steht im vollen Kontrast zu seiner Soundkulisse. Mit einem kurzen Antippen der Start-Oberfläche, denn Knöpfe und Schalter suchen die maximal vier Insassen hier vergebens, beginnt der Neuling am Designer-Himmel völlig überraschend an zu blubbern, rotzen und röhren. Der Schein des potenziell lautlosen Zukunftsmodells wird von dem ungefilterten V8-Sound und seinen 605 Pferdestärken in Sekundenbruchteilen pulverisiert - und das ist auch gut so. So unbekannt solch einen Klang dem gemeinen Europäer ist, so bekannt und erregend ist er für die Amerikaner. Dass dieses dreckige, schamlos sportliche Blubbern aus dem Heck eines Designerschlittens rührt und nicht aus dem eines Musclecars ist auch für die Amerikaner neu. Denn auch sie sind in Zeiten von Tesla und Fisker schicke Stahlkleider gewohnt, allerdings geben die keinen Mucks von sich.
Die kleine Runde durch eine der nobelsten Ecken von Los Angeles sorgt für mehr Kopfverdreher und Schnappschüsse, als so mancher Filmdreh. Na gut, die ab und an lautgebende Polizeieskorte und der ständig in der Nähe fahrende Kamerawagen potenzieren den Auffälligkeitsfaktor. Doch sobald der Motor sich dazu überreden lassen hat, nun doch endlich mal das Gas anzunehmen, brechen ein akustischer Orkan und eine sportwagenähnliche Beschleunigung ans Tageslicht. Dass sowohl die städtische Höchstgeschwindigkeit, als auch das für ein Konzeptfahrzeug typisch hohe Gewicht den potenziellen 3,7-Sekunden-Sprint verwehren, stört heute mal nicht. Zu groß sind die Faszination über die Reaktionen der Schaulustigen und das eigene Hochgefühl, den Star an diesem Tag durch Hollywood und Beverly Hills zu chauffieren.
Die gleiche Faszination übermannt einen, wenn das Cockpit und seine futuristischen Oberflächen genauer unter die Lupe genommen werden. Über allem schweben dabei die Worte von Marc Lichte "Sowohl beim Außendesign als auch im Interieur ist unser Team neue Wege gegangen." Die herausstechendste Neuheit hat die Autowelt jedoch dem Drängen von Audi-Entwicklungschef Ulrich Hackenberg zu verdanken: das flexible OLED-Touch-Display in der Mittelkonsole. Im Ruhezustand ist es flach und unscheinbar in die Mittelkonsole integriert. Beim Starten des Autos richtet es sich auf. Eine weitere, ebenfalls von Ulrich Hackenberg geforderte Neuheit spart sich Audi für den nächsten Prototypen auf dem Genfer Salon auf: den absenkbaren Heckdiffusor. Bis dahin bleiben Marc Lichte und seinem Team viel Zeit, das Potenzial des Audi Prologue auf die kommenden Serienfahrzeuge zu projizieren. Spätestens der nächste Audi A8, oder vielleicht auch ein ganz neues Familienmitglied wie ein A9, werden dann für weitere Schnappschüsse und Profilbild-Änderungen sorgen.