Natürlich wusste ich vorher, wie sie reagieren würde. Mit Häme. Am liebsten hätte ich meiner Frau gar nicht erzählt, was ich in England machen wollte. "Ist ja suuuuper", sagte sie lächelnd. "Endlich darfst du mal nicht fluchen hinterm Steuer. Nicht drängeln. Nicht zu schnell fahren." Und als hätte ich sie überhört, schob sie noch ein "Weißt du das eigentlich?" hinterher.
Natürlich wusste ich es. Ich hatte mich ja um die Teilnahme an dem Chauffeurstraining bemüht, das sie bei Rolls-Royce nur "White Gloves Programme" nennen. "Die weißen Handschuhe stehen für die penible Beachtung sämtlicher Details", sagt Andi McCann, der den Lehrplan für Rolls-Royce-Kunden und deren Personal nicht nur entwickelt hat, sondern geradezu verkörpert. Haltung, Kleidung, Schuhe, Haarschnitt – Andi ist der perfekte Trainer; ein Mann von vollendeter Höflichkeit.
Rennfahrer in Pension
Was ich nicht wusste: Es würde bei diesem Training nicht darum gehen, aus mir einen fahrenden Butler zu machen. "Sei nicht unterwürfig", sagt Andi. "Du bist ein professioneller Fahrer." Ideale Kandidaten für eine zweite Karriere als Chauffeur seien übrigens ehemalige Rennfahrer, so McCann. Der Grund für diese überraschende Tatsache ist simpel: Bei Auto rennen geht es um einen möglichst flüssigen Fahrstil, beim Chauffieren ist es genauso. Was so einfach klingt, ist eine nur schwer zu erlernende Fähigkeit. "Es ist leichter, einem Rennfahrer das Binden eines doppelten Windsorknotens für die Krawatte beizubringen", sagt Andi, "als einem gewöhnlichen Autofahrer eine überdurchschnittliche Fahrzeugbeherrschung."
Watteweiche Steuerung
Andi bewegt den beinahe drei Tonnen schweren Rolls-Royce Phantom mit verlängertem Radstand zügig über die schmalen Landsträßchen rund um Goodwood in West Sussex, wo sich seit dem Jahr 2003 der Hauptsitz von Rolls-Royce befindet. "Es ist wirklich wichtig, nicht zu langsam zu fahren", sagt Andi. Zeit ist schließlich Geld, und die hochmögende Kundschaft weiß beides zu schätzen. Er lenkt wie ein Rennfahrer – stets mit beiden Händen, und zwar in der 3.45-Uhr-Position, weil so die Bewegungen in beide Richtungen besonders sanft ausfallen. Im Unterschied zu einem Rennfahrer, der meist beherzt zupackt und im Grenzbereich blitzschnelle Bewegungen macht, steuert Andi den dahinschwebenden Rolls-Royce allerdings watteweich mit den Fingerspitzen. Er schneidet die Kurven sachte und beschleunigt das mehr als sechs Meter lange Ungetüm unmerklich, aber zügig. Die ungewohnten Dimensionen einer Rolls-Royce- Limousine beschreibt er so: schmaler als ein Transporter, also kein Problem auf engen Straßen – wobei die Kühlerfigur als Peilmarke dient, um die Limousine in der Mitte der Straße zu halten.
Vorauschauender Fahrstil
Das Wichtigste beim Fahren ist das Vorausschauen. Andi scannt alle anderen Verkehrsteilnehmer permanent, um hektische Manöver zu vermeiden. Den Lastwagen vorn auf der anderen Fahrspur hat er ebenso im Blick wie den Motorradfahrer, der plötzlich im Rückspiegel auftaucht. Um den Komfort möglichst nicht zu beeinträchtigen, bremst er bereits 300 Meter vor dem nächsten Kreisverkehr ganz leicht und kaum spürbar. "Zu spät und dann zu heftig zu bremsen ist nicht akzeptabel", sagt der Trainer streng. Kommt es im Verkehr zum Stillstand, hält Andi eine Wagenlänge Abstand zum Vordermann. "Damit nicht das Auto vor uns unser Fahren bestimmt." Ein paar Meter Luft zu lassen hat viele Vorteile: Man hält nicht direkt in einer Abgaswolke, und die Lücke wirkt beruhigend auf die Fahrgäste. Zudem lässt sie die Möglichkeit für einen Spurwechsel, sollte der nötig sein. Der gelingt nämlich nicht, wenn man am Heck des Vordermanns klebt. Bevor ich überhaupt ans Steuer darf, erhalte ich eine theoretische Einweisung. Natürlich muss der Chauffeur sämtliche technischen Details zu seinem Auto kennen. Wie peinlich, wenn er nach dem Hubraum des Zwölfzylinders gefragt werden würde, aber nur mit einem Schulterzucken antworten könnte.
Der Kunde darf nie warten
Ernst wird es bei der Begegnung mit dem Fahrgast. "Wenn du pünktlich bist, bist du zu spät", sagt Andi streng. "Der Kunde darf nicht auf dich warten, das wäre ein absolutes No-Go." Die Liste der No-Gos ist scheinbar endlos. Das Gepäck abzustellen, um dem Fahrgast die Tür zu öffnen? No-Go. Zu groß die Gefahr, dass die wertvollen Koffer und Taschen vom Gehsteig geklaut werden. Außerdem könnten sie von unten verschmutzen, und dann gelangt der Dreck später auf den Teppich, womöglich gar an die Bettwäsche. Also erst das Gepäck in den Kofferraum. Dem Fahrgast die Hand geben? "Nur, wenn er sie dir reicht", sagt Andi. Also abwarten. Den Fahrgast im Rückspiegel beobachten? No-Go. Sind die notwendigen Worte über die Route und die ungefähre Dauer der Fahrt gewechselt, dreht Andi den Innenspiegel leicht gen Dachhimmel, damit sich die Kundschaft nicht beobachtet fühlt.
Mein Freund: die Fusselrolle
Mein wichtigstes Utensil als Chauffeur ist die Fusselrolle. Das Auto muss sauber, vollgetankt und angenehm klimatisiert sein. Im Winter geheizt, im Sommer gekühlt. Es dürfen keine Gegenstände herumliegen, keine Landkarten und auch kein Ladekabel. Sitze parallel, Luftdüsen gerade. Das Mobiltelefon ist spätestens dann abzuschalten, wenn der Fahrgast kommt. "Immer parallel zur Umgebung parken", sagt Andi, also keinesfalls schräg zum Gebäude oder zum Bordstein. "Die Räder gerade."
Und dann kommt die Übung mit der Tür, eine kleine Choreografie. Ich stehe hinten links am Wagen, um dem Fahrgast mit der rechten Hand den Schlag zu öffnen. Sobald ich am Griff ziehe, muss ich mit dem linken Bein einen Schritt zurück machen. Möglichst synchron. Doch mal ist der Schritt zu lang, mal ist der Arm zu sehr angewinkelt. Ich komme mir vor wie im Tanzkurs für den Abiball. Andi lächelt geduldig, denn es gibt noch zwei höhere Schwierigkeitsstufen. Die eine ist, einer Dame aus dem Wagen zu helfen, ohne dass sie über mich fällt wie über einen Holzklotz. Hat sie obendrein einen kurzen Rock an, muss ich den Schirm zu Hilfe nehmen, um sie vor den Paparazzi zu schützen.
Kunst der Champagnerbremse
Ein absolutes Kunststück ist die Champagnerbremse – so genannt, weil sie vermeiden soll, dass der Fahrgast seinen Schampus verschüttet, wenn das Auto mit einem Ruck zum Stillstand kommt. Anfänger wie ich schaffen zunächst nur die Whiskeybremse – weil das Glas dabei eben kaum halb voll ist.
Bei der Champagnerbremse, die absolut keinen Ruck kennt, beginnt der Fahrer früh, aber unmerklich das Tempo zu verzögern und reduziert den Druck auf das Pedal mit abnehmender Geschwindigkeit, sodass er die Bremse auf den letzten Zentimetern vor dem Halt fast vollständig löst. Das muss man üben, üben, üben, und Andi kann sich die Bemerkung nicht verkneifen, dass diese Art der Fahrkunst erstens mit Fahrzeugen seiner Marke am besten funktioniert und zweitens mit manch anderen Konkurrenzmodellen gar nicht.
Meine Frau findet die Champagnerbremse jedenfalls suuuper. Ich soll jetzt immer so fahren, sagt sie. Und ich finde, wir könnten uns einen Rolls-Royce kaufen. Einen gebrauchten vielleicht.