Gigaliner Die Monster-Trucks drängen auf die Straße

Gegner beschimpfen sie als Monster-Trucks, Spediteure sprechen von Gigalinern oder EuroCombis. Auf der Nutzfahrzeugmesse IAA können die Kolosse aus nächster Nähe bestaunt werden. Anfang 2011 sollen die 60-Tonnen-Lastzüge trotz massiver Kritik in einer neuen Testphase die deutschen Straßen erobern.

Männer lieben Bagger und hassen Brummis. Auch auf der Nutzfahrzeugmesse IAA in Hannover werden die größten Entwicklungen in der Lkw-Industrie, die sogenannten Gigaliner, keine Publikumsmagneten sein, sondern nur die Fachwelt interessieren. Ausweichen wird man den Monster-Lkw aber nicht - schon im nächsten Jahr sollen sie probeweise auf deutschen Straßen unterwegs sein. Die Bundesregierung plant einen landesweiten Feldversuch. Anfang 2011 werden die ersten Gigaliner durch die Republik geschickt. Das Ziel: eine Erleichterung für den Güterverkehr schaffen, wie Andreas Scheuer, CSU-Staatssekretär im Verkehrsministerium, erläutert.

Zweiter Anlauf für die Transport-Riesen

Mit 60 Tonnen Gesamtgewicht und 25 Metern Länge sind die Super-Lkw sieben Meter länger und 20 Tonnen schwerer als bisher zugelassene Transporter. Auf europäischer und nationaler Ebene wird seit einigen Jahren über die Zulassung von Gigalinern diskutiert. Nachdem mehrere deutsche Bundesländer Pilotprojekte durchgeführt hatten, entschied sich die Verkehrsministerkonferenz von Bund und Ländern im Oktober 2007 gegen den Einsatz überlanger Lkw in Deutschland und damit auch gegen neue Modellversuche. Doch trotz des negativen Votums soll nun ein erneuter Feldversuch gestartet werden. Er soll feststellen, ob die Langlaster ökonomischer sind, ohne Umwelt und Straßen stärker zu belasten oder die Verkehrssicherheit zu gefährden. Für diesen Probelauf erteilte die schwarz-gelbe Regierung eine generelle Ausnahmeverordnung.

Das Pilotprojekt ist umstritten. Kritiker versuchen, die Testphase aufgrund der fehlenden Rechtsgrundlage zu stoppen. Laut eines Gutachtens, das das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) im Auftrag des Deutschen Städtetags, der Allianz pro Schiene und des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) angefertigt hat, ist die Genehmigung der Testfahrten ohne parlamentarische Beteiligung rechtswidrig. Vermutlich ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis die Gesetzeslücke geschlossen wird, und die Transport-Riesen dann zumindest probeweise auf deutschen Straßen fahren.

Neue Perspektiven fürs Speditions-Geschäft

Laut Staatssekretär Scheuer haben bereits 300 bis 400 Unternehmen Interesse an einer Beteiligung des Feldversuches geäußert. Spediteure und Logistiker erhoffen sich dank des wesentlich größeren Ladevolumens neue Perspektiven für ihr Geschäft. So könnten Ladungen, für die vorher sechs Fahrten eingeplant wurden, mit dem Gigaliner in nur vier Fahrten transportiert werden. Auf diese Weise soll das Verkehrsvolumen verringert und Dieselkraftstoff eingespart werden. Das würde zu einem geringen CO2-Ausstoß führen. Der wichtigste Aspekt für die Forderung nach den Riesen-Lkw dürften aber die geringeren Transportkosten vor allem wegen der Ersparnis an Lohnkosten sein. Das sehen auch Kritiker der Riesen-Trucks. "Die Transportkosten werden um 20 bis 25 Prozent günstiger sein als bislang", sagt Pro-Schiene-Experte Andreas Geißler. Das ist für den Bahn-Lobbyisten allerdings kein gutes Zeichen. Er befürchtet, dass damit der Transport auf der Straße noch attraktiver wird und sich der Güterverkehr von der Schiene zurückverlagert.

Mögliche Nachteile für den Konkurrenten Bahn allein dürfen nicht gegen die Gigaliner sprechen. Als negativer Faktor gilt die stärkere Belastung von Straßen und Brücken durch die 60-Tonner. Auch das Unfallrisiko der Gigaliner wird als höher eingeschätzt. Der ADAC hatte die Gigaliner schon 2007 kritisiert und vor Gefahren im Straßenverkehr gewarnt. Unter anderem ist die Aufprallenergie eines 60-Tonners deutlich höher als die herköömlicher Lkw. Gigaliner sind für den Fernverkehr konzipiert, am Anfang und Ende der Tour werden sie die Autobahnen aber verlassen müssen. Als problematisch gelten auch unübersichtliche Überholvorgänge durch Personenwagen. Das Durchfahren von Kreisverkehren und Ortsdurchfahrten wird zu gefährlichen Engpässen führen.

Kostspielige Umbaumaßnahmen für den Gigaliner

Die klammen Kommunen fürchten zudem, dass die überlangen Lkw für sie eine kostspielige Angelegenheit werden. Sollten die Super-Brummis als normales Verkehrsmittel erlaubt werden, müssten Brücken, Tunnel, Leitplanken, Parkplätze und Bahnübergänge für die 25-Meter-Kolosse umgerüstet werden. Die Infrastrukturkosten, die allein beim Ausbau von Brücken für Lkw über 40 Tonnen entstehen, schätzt das Bundesverkehrsministerium auf bis zu acht Milliarden Euro. Hinzu kommen unabsehbare Kosten für Reparaturen im gesamten Straßennetz, weil Gigaliner den Verschleiß der Fahrbahnen beschleunigen. Unterschwellig herrscht die Befürchtung, dass die öffentliche Hand die gewaltigen Kosten für Umbau und Schäden nicht durch Mehreinnahmen bei den Spediteuren wieder hereinholen kann.

Die Experten sind geteilter Meinung. Die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen führte zusammen mit dem TÜV Rheinland eine Studie während eines Feldversuchs in Nordrhein-Westfalen durch. Das Ergebnis dieser Studie: Gigaliner sind umweltfreundlicher und sicherer als normale Lkw. Eine Untersuchung des Bundesverkehrsministeriums zieht ganz andere Schlüsse: die Einführung der Gigaliner würde zu einer Verkehrsverlagerung von der Schiene zurück auf die Straße führen. Dadurch gäbe es beim Straßenverkehr keine Entlastung, sondern eine zusätzliche Belastung, heißt es in der Analyse. Das Karlsruher Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) kommt in ihrer Studie für die EU zu demselben Schluss. Verkehr und Umwelt würden zwar kurzfristig entlastet werden, langfristig würde sich jedoch eine Verlagerung von der Schiene auf die Straße abzeichnen. Der Umweltvorteil der Riesen-Trucks wäre damit dahin.

Außer den Spediteuren, haben die Gigaliner wenig Freunde. Nicht nur Stadtkämmerer und Umweltschützer sind gegen die Riesen-Lkw. Auch Pkw-Fahrer sind nicht begeistert vom Wachstumsschub der Lkw. Eine Umfrage des Auto Club Europa (ACE) hat ergeben, dass 86 Prozent der Befragten den geplanten Testlauf ablehnen.