Es war Anfang Januar in Neu-Delhi, und es war eine Sensation. In Halle 11 der indischen Auto-Expo rollte ein besonders putziger Kleinstwagen auf die Bühne, und dem nur 3,10-Meter-Vehikel entstieg Ratan Tata, Indiens Industrie- Tycoon. Er werde, verkündete der mächtige Mann, den Nano für 100.000 Rupien unters Volk bringen. Die Autowelt hielt den Atem an: unglaublich, ein Wagen für umgerechnet etwa 1700 Euro! Und nach dem Staunen kam schnell die Frage: Warum zahlen wir eigentlich so viel für unsere Autos?
Seither ist es still geworden um das Wägelchen. Die Produktion müsste längst auf Hochtouren laufen, wenn er wie geplant im Winter ausgeliefert werden soll. Weil die jedoch nicht so recht in Schwung kommt, nutzt die Konkurrenz die Gelegenheit, um ein paar Kratzer im Lack des Nano zu hinterlassen. "Unmöglich, dass der die versprochenen 100 km/h machen kann", nölt der Manager eines Wettbewerbers. Ein anderer, der natürlich genauso wenig genannt werden will, verspottet die Sitze als "Campingmöbel".
Mit dem Nano, Griechisch für Zwerg, soll das indische Volk ähnlich motorisiert werden wie einst die Deutschen mit dem VW Käfer. Endlich umsteigen von zwei auf vier Räder, das ist der Traum vieler Inder. Sie sind gewohnt, ihre ganze Familie auf dem Motorrad zu transportieren, die Kinder vor und hinter sich eingeklemmt, ohne Helme und ohne festen Halt. Da ist der Nano unbestreitbar ein Fortschritt. Und der Wagen hat sogar einen Katalysator.
Was die Technik anbelangt, hat die Konkurrenz dennoch Grund zur Gelassenheit. Denn es dürfte Jahre dauern, bis Autos wie der Nano europäischen Maßstäben genügen - vor allem bei der Sicherheit. So soll zwar ein Crashtest durchgeführt worden sein, unklar ist bloß, nach welcher Norm. Experten gehen davon aus, dass der Nano den in Europa gültigen Test schon wegen fehlender Airbags nicht bestünde.
Renault-Nissan zieht nach
Trotzdem ist die Branche nervös. Nicht nur, weil das Konzept des Wagens mit dem Know-how abgeworbener Ingenieure im konzerneigenen Entwicklungszentrum in England erarbeitet worden sein soll und auch deutsche Zulieferer assistierten: Bosch liefert die Einspritztechnik, Bremszylinder und Teile der Elektrik, Freudenberg die Dichtungen, Mahle die Nockenwelle, Sekurit die Scheiben und ZF Friedrichshafen die Spurstangen.
Unruhe herrscht vor allem, weil es um die milliardenschweren Märkte der Zukunft geht, um die Motorisierung der Bevölkerung in den aufstrebenden Riesenreichen Asiens. Die westlichen Hersteller bringen derzeit ihre Produkte in Indien in Stellung, um vom erwarteten Autoboom auf dem Subkontinent zu profitieren. Da stört ein einheimischer Billigwagen natürlich, der mit äußerst niedrigen Lohnkosten hergestellt werden kann. Renault-Nissan zieht immerhin nach und wird gemeinsam mit dem indischen Dreiradproduzenten Bajaj einen Mini bauen - vermutlich für etwa 2000 Euro.
Andere Branchenvertreter verlegen sich vorerst darauf, den indischen Zwerg wegen angeblicher oder tatsächlicher konzeptioneller Schwächen mieszumachen. So sei er aus sehr dünnem Stahl gefertigt, was heißen soll, dass er nicht viel aushält. Als Steuersäule diene ein simples Rohr, nicht zu vergleichen mit den Sicherheitskonstruktionen europäischer Hersteller. Und dort, wo andere Autos Schrauben und Nieten haben, würden Plastikdübel und Klebstoff die Einzelteile zusammenhalten.
Und, um die verwöhnte Kundschaft in Europa gleich abzuschrecken, noch dies: Für die Autobahn sei der Nano kaum geeignet. Dem 600-Kubikzentimeter-Maschinchen mit zwei Zylindern und 33 PS (Diesel 28 PS) gehe schnell die Puste aus. Voll besetzt mit vier Leuten, seien höchstens 80 Sachen drin. Und auch das nur bergab. Für Indien reicht dies jedoch dicke. Denn dort ist der Privatwagen bisher ein reines Stadtfahrzeug, und da kann der Nano locker mit den Auto-Rickschas mithalten, die nur 45 km/h schaffen.
Haltbarkeit? Angesichts der schlechten Straßen prophezeien Konkurrenten dem etwa 600 Kilogramm leichten Zwerg erhebliche Probleme mit Motor und Federung, bevor er auch nur 100.000 Kilometer absolviert hat.
Wenigstens ein geglücktes Design
Nicht überraschend ist, dass ein Auto mit dem Preis eines gehobenen europäischen Tourenfahrrads nur vorn Scheibenund hinten Trommelbremsen hat, dass allein der Fahrersitz verstellbar ist und dass die Aircondition aus der Betätigung der Fensterkurbel besteht. Eher schon verblüfft, dass die Ingenieure es offenbar nicht geschafft haben, dem Motörchen ein passendes Trinkverhalten anzuerziehen, denn sein Durst ist mit 4,5 Litern auf 100 Kilometern (Werksangabe) ziemlich hoch. Dafür bescheinigen dem Nano auch die Kritiker ein geglücktes Design und einen erstaunlich geräumigen Innenraum.
Noch rollt keiner dieser Zwerge über Indiens Straßen. Doch Ratan Tata hat versprochen, Ende des Jahres werde es so weit sein. Spätestens dann dürfte es Streit um den angepeilten Preis von 100.000 Rupien geben. Denn das ist ein Nettowert. Hinzu kommen Steuern und Überführung, sodass brutto umgerechnet mindestens 2500 bis 3000 Euro zu zahlen sein werden.
Bis Dezember sollen 15.000 Nanos produziert werden - für einen echten Volkswagen sehr wenig. Für 2009 sind 250.000 Stück geplant. Der Grund für den spärlichen Ausstoß bis zum Jahresende: Das Werk in Singur bei Kalkutta ist noch nicht fertig. Damit Ratan Tata sein Gesicht wahren kann, werden daher bis auf Weiteres Nano-Einzelteile im Tata-Werk Pune nahe Mumbai lackiert, fast 2000 Kilometer ostwärts durch Indien gekarrt und dann in Singur montiert.