Das Projekt ist einmalig in der Männerbranche. Bei Volvo durften Frauen ein Auto bauen. Komplett, vom Entwurf an. Die Überraschung: Der Sportflitzer, auf dem Genfer Autosalon erstmals gezeigt wird, ist ziemlich maskulin geraten. Jedenfalls außen.
Männer entwickeln nach Lastenheft, ...
Wenn Männer ein Auto entwickeln - was meistens der Fall ist - dann gehen sie strikt nach Plan vor. Dieser Plan heißt "Lastenheft". Darin steht alles geschrieben, was das Auto einmal haben soll: Die Art des Motors und seine PS-Zahl, Fahrleistungen, Anzahl der Türen, das komplette Programm, das Männer halt so interessiert. Das neue Auto muss natürlich geiler sein als die Modelle der Konkurrenz, auch das steht geschrieben ("Beschleunigung besser als Modell xy, Federung sportlicher als Modell yz"), schließlich wollen Männer, die das Auto kaufen sollen, damit auch am Stammtisch eine gute Figur machen.
... Frauen denken an die Kundin
Wenn Frauen ein Auto entwickeln - was nun erstmals der Fall ist - dann gehen sie strikt nach Gefühl vor. Sie malen sich zunächst eine passende Kundin dafür aus, wie jetzt bei Volvo geschehen. Die Dame heißt Eve. Diese Eve soll super aussehen, genug Geld verdienen, Single sein, immer geschäftig, mittags zum Einkaufen flitzen und abends zum Yoga. Das neue Auto soll Eves Bedürfnissen entsprechen, es braucht also viel Platz für Sportzeug und Prada-Tüten. Es darf nicht trutschig oder nach Familie aussehen, schließlich will eine Crémeschnitte wie Eve beim Flirt an der Ampel eine gute Figur darin abgeben.
Keine Scheidung, aber sieben Schwangerschaften
Die Frauen, die sich Eve ausgemalt haben, sind allerdings fast alle verheiratet und Mütter, und sie fahren Volvo-Kombis. Nun sitzen sie in diesem Herrenhaus südlich von Göteborg auf hellen Sesseln und erzählen bei Kaffee und Kerzenlicht, wie das war, ein Auto für Eve zu entwickeln. "Es gab viel Kuchen, irgendeine hatte immer gebacken", sagt Maria Widell Christiansen, 44, braune Locken bis zum Kinn, Jeans-Rock mit der Aufschrift "Born to be wild". Sie ist die Design-Koordinatorin und eine von fünf Projektleiterinnen. "Obwohl die Arbeit sehr zeitintensiv war, gab es keine Scheidung, aber sieben Schwangerschaften!", sagt sie und lacht.
Frauen-Auto statt fahrender Lippenstift
Das gemeinsame Baby heißt "Your Concept Car"; ein Concept Car ist eine Studie, an der die Reaktion der Öffentlichkeit getestet werden soll. Volvo wird diese Studie auf dem Genfer Salon nächste Woche präsentieren, vermutlich als etwas ganz Revolutionäres, weil reine Frauen-Kiste. Und die Herren der Branche, die sich davon einen fahrbaren Lippenstift oder eine Einbauküche auf Rädern versprechen, werden ziemlich erstaunt sein, wenn sie dieses Auto zu Gesicht bekommen.
Zitat
"Wir wollten ein Auto bauen, bei dem man das Gefühl kriegt: Wow, ich will das, weil es so geil aussieht! Und dann: Wow, ich brauche das, weil es so praktisch ist!" Exterieur-Designerin Anna Rosén
Es sieht nämlich aus wie so eine Rakete aus einem James-Bond-Film: "Your Concept Car" ist ein silbergrauer Sportwagen mit lässigen Flügeltüren, fetten Reifen, kantigen Scheinwerfern und scharf abgeschnittenem Heck. Denn Frauen, das wissen die Damen von Volvo, wollen keine typischen Frauen-Autos mit Kulleraugen-Scheinwerfern und XXL-Stoßstangen, die ihnen suggerieren: Ihr mögt es niedlich und seid zu blöd zum Einparken.
"Wow, ich will das, weil es so geil aussieht!"
"Wir wollten ein Auto bauen, bei dem man das Gefühl kriegt: Wow, ich will das, weil es so geil aussieht!", sagt die Exterior-Designerin Anna Rosen, 27, die am Art Center College of Design in Pasadena, Kalifornien, studiert hat. "Und dann: Wow, ich brauche das, weil es so praktisch ist!"
Irre pfiffige Sachen
Bei einem Workshop im Oktober 2001 war die Amerikanerin Martha Barletta, Expertin in Sachen Marketing für Frauen, bei Volvo zu Gast und fragte: Wie würde ein Auto aussehen, das Frauen entwickeln? "Und dieser Gedanke ließ uns nicht mehr los", sagt Maria Widell Christiansen. Sie ist seit 17 Jahren bei Volvo mit der Ausstattung von Autos beschäftigt, aber "Your Concept Car" nennt sie "die Herausforderung meines Lebens". Das ist vielleicht etwas dick aufgetragen, denn sie hat zwei Töchter, drei und sieben, und Kinder aufzuziehen ist ja auch nicht ohne. Aber die Frauen hier wirken alle ein bisschen überdreht, sie reden ohne Punkt und Komma. "Das ist wie eine Therapie-Stunde für uns", sagt Widell Christiansen und lacht. "Wir hatten ein Geheimnis - nun dürfen wir endlich darüber sprechen." Und dann erzählt sie von all den irre pfiffigen Sachen, die sich hinter diesem Geheimnis verbergen.
Einfach Knöpfchen drücken
In ihrem Wagen kommt die Luft am Armaturenbrett aus zarten Rillen und nicht aus dicken Düsen, die mit ihrem Getöse die Frisur verwehen. Es gibt einen Laptop, der die Einstellung von Sitz, Seiten- und Rückspiegel individuell speichert, damit man nicht lange rumruckeln muss, wenn sich vorher der 1,98 Meter große Lover am Steuer breit gemacht hatte: einfach Knöpfchen drücken - ssst - fährt sich alles wieder von allein zurecht.
Die beiden Sitze hinten sind gestaltet wie Kinosessel, weil diese hochgeklappt Stauraum ohne Ende bieten. Denn Stauraum, das wissen die Damen von Volvo, ist das Zauberwort für Frauen, die sich ein Auto kaufen wollen.
Platz für Handtasche und Kleenex-Tücher
Die Schaltung in "Your Concept Car" wiederum ist auch deshalb am Lenkrad, weil die Mittelkonsole gleich vom Armaturenbrett bis zum Kofferraum durchgeht - sie beinhaltet ein Fach für die Handtasche, eins für Kleenex-Tücher, eins für die Sonnenbrille und natürlich eins mit Haltern für Latte Macchiato oder Wellness-Wasser. Und apropos Wasser: Der Regenschirm liegt in einem eigenen Fach im Türrahmen, ganz praktisch.
Schön den Überblick behalten
Bei Volvo gibt es seit 1989 die "Female Customer Reference Group", die sich mit den Bedürfnissen der weiblichen Kunden beschäftigt; dieser Gruppe verdanken Frauen, dass sie sich unter der Motorhaube eines jeden Volvos babyleicht zurechtfinden, wenn sie nicht farbenblind sind: Der Einfülldeckel für Wasser ist immer blau, der für die Kühlflüssigkeit grün, der fürs Öl schwarz und der Ölmessstab ist rot markiert.
"Bei unserem Auto", sagt Maria Widell Christiansen, "ist das alles noch leichter - man braucht die Motorhaube gar nicht aufzumachen." Sie hält eine Skizze des Wagens hoch und zeigt, wo Wasser nachgefüllt wird - in einen eigenen Einfüllstutzen direkt neben der Tankklappe links hinter der Fahrertür. Und wenn das Auto einen Schluck Öl braucht, dann schickt der tolle Laptop automatisch eine SMS an die eingespeicherte Werkstatt: "Bitte rufen Sie Eve an und geben ihr einen Termin." Denn Frauen, das wissen die Damen von Volvo, haben keine Zeit, sich um so einen Quatsch zu kümmern, weil sie ja immer unterwegs sind, hier zur Reinigung und da zur Kosmetik, dazwischen noch zum Biobäcker? Und damit das ständige Ein- und Ausparken schön schnell geht, gibt's natürlich eine Einparkautomatik.
Die Konzept-Entwicklung dieses Autos kostete gut 2,7 Millionen Euro. Und nun kann man den Volvo-Chef fragen, ob eines Tages ein Serienmodell daraus werden soll. Hans-Olov Olsson hat zwar dieser Tage wichtige Termine im Headquarter der Konzernmutter Ford in Detroit, lässt sich aber für ein paar Minuten per Videokonferenz zuschalten. Maria Widell Christiansen und ihre Kolleginnen gucken auf die Leinwand, als stünde dort das Happy End von "Pretty Woman" bevor: gerührt und gespannt.
Auch für Männer attraktiv
"Das hängt natürlich von den Reaktionen ab", sagt Olsson. "Aber ich glaube, die werden positiv sein. Weil das Team zeigt, was es heißt, dem Kunden ganz genau zuzuhören." Und er sagt, dass dieses Auto auch für Männer attraktiv wäre, aber wenn man an die Inneneinrichtung denkt, wird man etwas skeptisch.
Eves Wohnzimmer
In "Your Concept Car" sieht es aus wie in Eves Wohnzimmer: eierschalfarbene Tapete, graue Fußmatten im Flokati-Stil oder beige Sitzbezüge aus weichem Wildleder, dazu ein bisschen helles Holz und viel leichtes Aluminium. Nichts, was potenter macht. Nur was für Softies.
Und was ist, wenn Eve beim Flirt an der Ampel erfolgreich einen Mann aufgegabelt und später den Wunsch hat, schwanger zu werden? Maria Widell Christiansen sagt, sie hätten das Thema Kindersitz natürlich diskutiert. "Aber dann haben wir es schnell verworfen. Volvo hat doch sooo schöne Familienkutschen."