Anzeige
Anzeige

"Half-Life 2" Die Story ist das halbe Leben

Selten hat es um ein Videospiel mehr Rummel gegeben als um das kürzlich erschienene "Half-Life 2". Genauer betrachtet steht das Spiel für eine eher ernüchternde Entwicklung der noch junge Unterhaltungsbranche.
Von Henry Lübberstedt

"Von der ersten Minute an generiert 'Half-Life' eine fantastische Stimmung und spannungsgeladene Atmosphäre wie es bislang eher für Action-Spielfilme aus Hollywood typisch ist. Zum ersten Mal ergeben sich die Handlungsabläufe durch Interaktion mit den unglaublich lebensechten Computercharakteren und den grandios designten Räumlichkeiten." Dieses Zitat stammt nicht aus dem aktuellen Werbetext zu "Half-Life 2", dem derzeit von Medien und Produktmanagern mit Lob überhäuften Computerspiel. Es ist ein Auszug aus dem Pressetext zum Vorgänger des Spiels vom November 1998. Mit fast den gleichen Worten wird sechs Jahre später auch der Nachfolger beworben.

Der erste Teil von Half-Life hatte seinerzeit das Genre der so genannten Ego-Shooter revolutioniert, Spiele, bei denen der Spieler die virtuelle Welt aus der Ich-Perspektive sieht. Zum einen lag das an der hervorragenden Grafik, zum größten Teil jedoch an der im Spiel erzählten Geschichte. Wie entscheidend eine dramaturgisch durchgeformte Handlung ist, hatte der noch junge Zweig der Unterhaltungsbranche im Vergleich zur Filmindustrie nicht in vollem Umfang realisiert.

Sechs Jahre sind in der Entwicklung von Computerhardware eine kleine Ewigkeit. Dass die Marketing-Abteilung des Softwarehauses Valve und seinem Verlag Vivendi Universal Digital Publishing mit gutem Gewissen alten Pressemitteilungen recyceln kann, zeigt vor allem eines: Die Videospielbranche ist auf ihrem Weg zu einem dem Film vergleichbaren Massenmedium nur schleppend vorangekommen. Dabei sehen die Spieleverlage nach eigener Aussage das Zusammenrücken von Film und Spiel als der heilige Gral beider Branchen. "Was unsere Branche von Hollywood lernen kann, ist das Erzählen von Geschichten. Da haben wir noch einen großen Nachholbedarf", sagt Odile Limpach, Deutschland-Chefin des französischen Spieleverlags Ubisoft.

Immer mehr Verlage lassen sich den Handlungsfaden zu einem Spiel von professionellen Hollywood-Autoren schreiben. So etwa bei dem neusten Teil von "Myst". Electronic Arts hingegen geht den umgekehrten Weg und setzt Kinofilme zu Spielen um, wie "Herr der Ringe" und "Harry Potter". Mitbewerber Activision verkauft Spiele zu ebenfalls schon beim Publikum eingeführten Themen wie "Krieg der Sterne" und "Spiderman". Andere holen sich Film-Berater ins Team. Viele der in diesem Jahr veröffentlichten Kriegsspiele erhielten von ehemaligen Militärs den letzten Schliff. Zudem orientieren sich immer mehr Spielegrafiker an Hollywood-Tricks bei Schnitten und Kamerafahrten.

Doch das große Echo auf die Güte der Handlung in Half-Life-2 in den Fachpresse zeigt, wie sehr Shooter mit einer filmreifen Handlung Mangelware geblieben sind. Die durchdachte Geschichte mit Spannungsbogen, unerwarteten Wendungen oder inneren Konflikten des Helden steht bei der Entwicklung nicht sehr weit oben auf der Prioritätenliste. Fast alle Titel legen ihren Schwerpunkt auf die Grafik und ausgefallene Waffen, mit denen der Spieler um sein Leben kämpft.

Frühe Versuche

Was macht Half-Life einzigartig? Es war keineswegs das erste Spiel seiner Art mit einer packenden Geschichte. Bereits 1994 hatte der Amerikaner Warren Spector mit "System Shock" einen Ego-Shooter mit einem filmreifen Drehbuch entwickelt. Glaubwürdige computergesteuerte Mitstreiter konnte Spector dem Spieler allerdings nicht an die Seite stellen. Dafür reichte die Leistungsfähigkeit der damaligen Computer nicht aus. Mit diesem Problem hatten die Entwickler von Half Life weit weniger zu kämpfen.

Half-Life 2

Hersteller/Vertrieb

Valve/Vivendi Universal

Genre

Ego-Shooter

Plattform

PC

Preis

50 $ (Steam)

Altersfreigabe

keine Jugendfreigabe

Traue niemandem!

Valve schuf 1998 einen Ego-Shooter, in dem der Spieler von lebensecht wirkenden Figuren durch die Handlung geführt wurde. Das war neu. Der Spieler schlüpfte in die Rolle des Wissenschaftlers Gordon Freeman. Gleich an seinem ersten Arbeitstag am "Black Mesa"-Forschungslabor ging gehörig etwas schief. Was wie ein Unfall aussah, entpuppte sich im Verlauf der Geschichte als von langer Hand eingefädeltes Komplott mit weit reichenden Folgen für jeden auf der Erde. Die TV-Serie "Akte X" ließ grüßen.

Die Handlung von Half-Life-2 und dem Vorgänger stammt aus der Feder des Buchautors Marc Laidlaw. Für den Amerikaner ist das Computerspiel eine Kunstform wie der Film und das Buch. Bereits die Geschichte des Original-Half-Life sollte der eines Buches ebenbürtig sein, doch erst mit dem zweiten Teil sei er seinem Ziel wirklich nahe gekommen, sagte Laidlaw in einem Interview mit dem Fachmagazin "PC Games".

Stoff für viele Geschichten

Er habe das Universum von Half-Life 2 so umfangreich angelegt, dass sich weitere Geschichten daraus ableiten ließen. So war Valve bereits mit dem ersten Teil verfahren. Dem ersten Half-Life folgten zwei weitere Titel, die die Geschichte von Gordon Freeman aus anderen Perspektive erzählten. Für Half-Life 2 gibt es offenbar ähnliche Pläne. Anders ließen sich wohl auch die weit über 40 Millionen Dollar Produktionskosten nicht wieder hereinholen.

Laidlaws Zufriedenheit mit seinem Teil der Arbeit hat einen technischen Hintergrund. Jahrelang haben die Valve-Programmierer daran gearbeitet, computergesteuerte Figuren glaubwürdig aussehen zu lassen. Die künstlichen Bewohner in Half-Life 2 haben Gesichtsmuskeln und können zusammen mit Gesten Emotionen wie Überraschung, Freude und Zweifel ausdrücken. Das Ziel von Laidlaw und den Grafikern sind letztendlich virtuelle Schauspieler. Sie sollen dem Konsumenten des "Kunstwerks Computerspiel" die glaubhafte Illusion vermitteln, er befinde sich tatsächlich in einer anderen Welt.

Traue immer noch niemandem!

In Half-Life-2 ist diese Welt ein totaler Überwachungsstaat. "City 17" ist eine heruntergekommene Stadt irgendwo im Osten Europas. Von den heruntergekommenen Wohnburgen blättert die Farbe ab und legt Risse im Beton frei. Fliegende Kameras durchstreifen die Straßen und fotografieren Passanten. Es herrscht Angst. Auch vor der Polizei. "Aufheben", schnauzt einer der Polizisten einen Passanten an und weist auf eine Getränkedose, die er selbst zuvor absichtlich auf den Gehweg geworfen hatte. Wer sich weigert, wird geschlagen. Die Umwelt in Half-Life lebt und folgt ihren eigenen Gesetzen. Das ist einmalig. Doch in Ruhe umschauen kann sich der Held wenig.

Gleich nach seiner Ankunft setzten die Behörden Freeman fest. Ein alter Bekannter aus dem ersten Teil verhilft ihm zur Flucht. Das ist der Ausgangspunkt für Gordon Freemans Weg zu den Untergrundkämpfern und durch insgesamt 14 Kapitel bis zu einem Ende, das wieder einmal einer Folge von "Akte X" stammen könnte.

Internet ist Pflicht

An Überwachung erinnert auch ein wenig das Spiel selbst. Ohne Internet-Zugang verweigert es die Installation. Die Software muss zwingend bei einem Server der Firma Valve freigeschaltet werden. Diese Methode soll Raubkopierer abschrecken. Bleibt zu hoffen, dass es Valve noch Jahre geben wird. Denn ohne den Firmen-Server kann womöglich das Spiel nicht mehr installiert werden.

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel