Eine solche Geburtenrate wäre für Deutschland wohl zuviel des guten: Seit Oktober 2006 ist die Einwohnerzahl in "Second Life" von einer Million auf jetzt knapp drei Millionen gestiegen. Avatare leben hier. Das sind die virtuellen Figuren der Mitglieder in diesem Online-Portal, das die amerikanische Programmierfirma Linden Lab im Jahr 2003 auf den Markt gebracht hat. Seitdem wächst der virtuelle Kosmos rasant.
Neues Image für harte Dollars
Als Neuling betritt man "Second Life" im weißen T-Shirt und mit Bluejeans - wenn man den kostenlosen Basiszugang ausgewählt hat. Dazu muss eine Kunden-Software auf dem eigenen Rechner installiert werden. Wenn der Internetzugang eine Übertragungsgeschwindigkeit von mindestens 256 Kilobytes pro Sekunde gewährleistet, kann mit dem Aufbau des neuen Images in der Parallelwelt begonnen werden. Auch hier gilt: Kleider machen Leute. Frisuren und Modeartikel müssen sich die Avatare kaufen; bei Designern und in Modegeschäften, wie im wirklichen Leben mit wirklichen Dollars. Der Wechselkurs für einen echten Dollar beträgt derzeit rund 270 Linden Dollar.
Dafür kann man sich auch Markenprodukte kaufen: virtuelle Schuhe von Addidas, Hosen von American Apperal oder ein Auto von Toyota. Ein T-Shirt kostet je nach Marke und Design um die 100 Linden Dollar, umgerechnet knapp 40 Euro-Cent. Nachrichten aus "Second Life" liefern täglich Magazine von Reuters und des Axel-Springer-Verlags. Sony BMG veranstaltet Konzerte. Die internationalen Konzerne haben den neuen Markt schnell entdeckt und Filialen darin aufgebaut.
Deutsche Infoseite
Informationen und den Zugang zu "Second Life" finden Sie auf der offiziellen Website:www.secondlife.com
Halbe Million Umsatz täglich
Die Bewohner von "Second Life" geben nicht nur Geld aus, sie verdienen auch welches. Mit einer Premium-Mitgliedschaft für 9,95 US-Dollar monatlich kann man sich häuslich niederlassen oder ein Geschäft eröffnen. Viele entdecken im zweiten Leben ihre künstlerische Ader. Sie entwerfen mit der benutzerfreundlichen Oberfläche aus einfachen geometrischen Formen virtuelle Kleidung, die sie verkaufen. Möbel und fantastische Fahrzeuge entstehen so, Häuser und Immobilien, mit denen in "Second Life" gehandelt wird. Die Bewohner setzen so jeden Tag mehr als eine halbe Million harter US-Dollar um. Ein ganzes Immobilienimperium hat sich eine Deutsch-Chinesin aus Hessen im Spiel aufgebaut: Sie beschäftig inzwischen 30 Mitarbeiter und verdient damit ihren realen Lebensunterhalt.
Nach Feierabend treffen sich die Avatare in Clubs und Diskotheken. Bevorzugtes Fortbewegungsmittel ist fliegen, das kann hier jeder von Geburt an. So schweben lauter perfekt gestylt Schönmenschen zu Konzerten und Partys ein. Wer im echten Leben mit seinem Äußeren hadert, strotzt hier mit dem Cyber-Ich vor Selbstbewusstsein. Geflirtet wird über Chat. Nach der Disko kann der Abend auch sehr privat enden. Das horizontale Gewerbe hat in "Second Life" schnell Fuß gefasst: Virtuelle Nachtclubs und Bordelle boomen. Das alles nimmt im realen Leben viel Zeit in Anspruch - es herrscht akute Suchtgefahr.
Nach Wirtschaft und Sex hält auch die Politik Einzug in der zweiten Welt. Die Regierung von Schweden kündigte kürzlich die Eröffnung einer offiziellen Botschaft an und in einer Kopie des Capitols tagen Replikate von Abegordneten des US-Kongresses. Die erste Demonstration von Avataren auf den Straßen von "Second Life" richtete sich gegen die Einrichtung einer Vertretung der rechtsextremen Partei Front National aus Frankreich. Bleibt die Frage, wann Bundeskanzlerin Angela Merkel ihr Büro im zweiten Leben einweiht.