Eingabegeräte Tasten zum Heulen

Eine rätselhafte Epidemie von Augenentzündungen kann jetzt erklärt werden: Über gemeinsam genutzte Computer wurden Krankheitserreger verbreitet.

Die Ärzte des Dartmouth College in Hanover im US-Bundesstaat New Hampshire standen vor einem Rätsel. Innerhalb von rund drei Monaten im Frühjahr 2002 meldeten sich 698 der 5060 Studenten beim Medizinischen Dienst. Alle klagten über die gleichen Symptome, ein heftiges Brennen und eine starke Rötung der Augen. Die Diagnose war schnell gestellt: Konjunktivitis, eine Bindehautentzündung, ausgelöst durch Streptokokken-Bakterien. Warum sich so auffallend viele Hochschüler angesteckt hatten, blieb lange ein Mysterium. Mit Hilfe des Uni-Computernetzes wollten die Ärzte die Verbreitung des Leidens, dessen Erreger sich etwa in Tränenflüssigkeit oder Nasensekret verbergen, eindämmen und den Übertragungswegen der Bakterien auf die Spur kommen: Sie brachten Studenten per E-Mail Vorsichtsmaßnahmen nahe und baten bereits Erkrankte, in einem elektronischen Fragebogen unter anderem über ihre Sportgewohnheiten und Wohnverhältnisse zu berichten. Dass sie die Epidemie durch den Einsatz der Technik wohl sogar noch anheizten, ahnte damals noch niemand.

Streptokokken halten durch auf Tasten

Erst jetzt brachte der Hinweis einer Dartmouth-Absolventin die Wissenschaftler auf eine Lösung: Ausgerechnet die zahlreichen öffentlichen Rechner auf dem Campus, die von jedem Studenten bis zu 20-mal am Tag benutzt werden, dienten den Keimen offenbar als Unterschlupf. Wissenschaftler der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in Atlanta haben inzwischen in Versuchen herausgefunden, dass Streptokokken auf Computertasten noch fünf Stunden nach der Kontamination nachweisbar sind. Die Krankheit "kann teilweise durch die Benutzung der öffentlichen Terminals verbreitet worden sein", berichtet CDC-Mitarbeiterin Cynthia Whitney im "New England Journal of Medicine".

Versiffter als ein Toilettensitz

Bislang fürchteten PC-Besitzer vor allem Viren im Inneren ihrer Computer, die Rechner lahm legen und Festplatten löschen. Müssen sie jetzt etwa lernen, dass das Übel auch auf der Oberfläche der Geräte lauert? "Ja", sagt Charles Gerba, Mikrobiologe an der Universität von Arizona. Vor allem die Bürotastaturen, die oft von mehreren Kollegen benutzt werden, hat der Forscher als Keimschleudern ausgemacht: In einer Studie hat er nachgewiesen, dass sich auf einer gewöhnlichen Tastatur 511 Keime pro Quadratzentimeter drängelten - mehr als 60-mal so viel wie auf einer Toilettenbrille.

1,89 Gramm Dreck pro Tag

Kein Wunder: Jeden Tag müssen die Eingabegeräte laut einer britischen Untersuchung 1,89 Gramm Dreck auf sich niedergehen lassen. Auf den Tasten bilden die Reste von Hautschuppen, Fett und Spucke zusammen mit Kekskrümeln, Staub und Popeln oft einen schwarzen Film, unter dem die aufgedruckten Zeichen irgendwann nur noch zu erahnen sind - nach Ansicht Gerbas ein idealer Lebensraum für verschiedenste Bakterien, nicht nur für die Auslöser der Bindehautentzündung. Und auch CDC-Ärztin Whitney ist sicher, dass die Konjunktivitis-Verursacher dort nicht die einzigen unerwünschten Gäste sind: "Auch Schnupfen- und Durchfallerreger können zum Beispiel auf Oberflächen überleben", sagt sie.

Deutsche Hygieniker bleiben ruhig

Deutsche Hygienefachleute reagieren auf die amerikanischen Untersuchungsergebnisse allerdings gelassen. "Es gibt keinen Grund zur Besorgnis", sagt Susanne Glasmacher, Sprecherin des Berliner Robert-Koch-Instituts. Bislang sei der Fall in New Hampshire ihres Wissens nach der einzige, über den jemals berichtet wurde. "Das ist kein Indiz für ein konkretes infektiologisches Hygienerisiko." Dass vergleichbare Fälle in der medizinischen Literatur bislang noch nicht beschrieben wurden, könnte jedoch einen einfachen Grund haben: Wie zunächst auch am Dartmouth College wurden die Tastaturen bislang nicht verdächtigt. Also suchte im Fall einer Häufung von Erkrankungen niemand auf ihnen nach Erregern.

Alter Trick: Hände waschen

Wolfgang Dott, Direktor des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Uniklinik Aachen, hält besondere Vorsicht auch weiterhin nicht für nötig. Er sieht in den Bakterien auf den Tasten "kein besorgniserregendes Problem". Zwar bezweifelt Dott nicht, dass Krankheitserreger auf den Geräten überleben können, doch gehe die hygienische Gefährdung nicht im Wesentlichen von Tastaturen aus. "Es ist viel entscheidender, dass man sich regelmäßig die Hände wäscht."

Tipps fürs Reinemachen

Vorsichtigen Menschen, die trotz solcher Entwarnungen ihre Tastatur mit möglichst wenig Kleinstlebewesen teilen möchten, rät ein schwedischer Elektrokonzern zu folgender Maßnahme: Zuerst die Tastatur mit den Tasten nach unten auf einen Fotokopierer legen und ablichten; danach sämtliche Tasten aus den Verankerungen hebeln, in ein Stoffsäckchen stecken und anschließend in der Waschmaschine im 30-Grad-Schonwaschgang waschen; nach der Prozedur die Tasten schließlich anhand der Kopie auf ihre Plätze zurückstecken." Wolfgang Dott kennt eine simplere Methode: "Einfach regelmäßig mit einem in Alkohollösung getränkten Tuch über die Tastatur fahren - das reicht."

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Torben Müller

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