Scheibes Kolumne Hilfe, ich bin offline!

Zuerst war es nur eine Ahnung, ein Kribbeln im Rückenmark. Dann wurde es für stern.de-Mitarbeiter Scheibe zur traumatischen Gewissheit. Etwas stimmt nicht, stimmt überhaupt nicht. Dann packt ihn das Grauen - er ist offline.

Früher, ja früher, da war das Leben noch ganz anders. Da fuhr ich noch einen alten VW Derby, züchtete an der Uni stinkende Bakterien und schaute heimlich jeden Mittag "Unter der Sonne Kaliforniens" auf RTL. Nebenbei nutzte ich ein analoges Modem, um alle paar Tage einmal in das merkwürdige Gebilde namens Internet hineinzuschauen.

Heute sind meine Rechner rund um die Uhr via DSL mit dem Internet verbunden. Das ist gut so, denn so kann ich jederzeit ohne Vorbereitungen meine Mails versenden, den neuesten Klatsch in der Online-BILD genießen und zugleich auch noch in der Taskleiste den stündlich aktualisierten Wetterbericht ablesen. Nun ist es ja so, dass man etwas so lange als gottgegeben ansieht, bis es auf einmal nicht mehr da ist.

<zwit>Fupp - war das Internet weg!

So ging mir das gestern. Plötzlich war das Internet weg - fupp! Das E-Mail-Programm meldete plötzlich, dass es keine Leitung mehr finden konnte und auch der Browser weigerte sich beharrlich, die Seite mit den Cartoons zu laden, die ich sonst einmal am Tag lese. Ich ließ etwas gestresst die Schultern kreisen, bis es knirschte, und versuchte mich locker zu machen. Kein Problem. So etwas kommt ja öfters einmal vor. In ein paar Minuten kommt das Internet sicherlich wieder zu mir zurück.

Mein E-Mail-Client fischt alle fünf Minuten die neueste Post vom Server. Wenn man zehn Stunden am Tag sieben Tage in der Woche vor dem PC-Bildschirm sitzt, dann ist der Blick alle fünf Minuten hin zum E-Mail-Fenster schon eine echte Gewohnheit. Oder eine Manie. Eine Marotte. Mich machte es jedenfalls völlig kirre, alle fünf Minuten auf die Statusmeldung "Keine Verbindung" zu schauen. Schweißtropfen traten auf meine Stirn, und ich sah im Geiste einen riesigen Stau wichtiger Mails. Etwa von diesem Kaliber: "Habe einen 10.000-Euro-Auftrag für dich. Du musst aber in fünf Minuten zurückrufen, sonst ist er weg."

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Was wäre wenn

Ich arbeitete weiter und schielte trotzdem alle fünf Minuten zum E-Mail-Programm. Erstaunlich, wie viele Dinge auch offline funktionieren. Texte schreiben etwa. Oder Musik hören. Prima. Wer braucht schon Internet? Ein feuchter Schweißfilm auf der Oberlippe zeigte mir, dass mein Unterbewusstsein ganz anders über das Thema dachte. Völlig anders. Was wäre denn, wenn jetzt plötzlich der Virenscanner ein Update seiner Signaturen aus dem Netz ziehen möchte? Oder wenn ich auf einmal Lust darauf bekomme, bei iTunes einen Song zu kaufen. Oder gleich das ganze neue Rammstein-Album?

Ich sprang vom Schreibtischstuhl auf und drehte eine Runde im Büro - aufgewühlt wie ein Löwe im Zirkus, kurz bevor die Peitsche des Dompteurs knallt. Dabei trat ich seitlich gegen den Sandsack und versuchte einen echten Mawashigiri. Hmm, naja, hab mich auch schon mal besser konzentriert. Vor dem Wandterrarium blieb ich stehen. Der Leguan im Terrarium guckte hungrig. Pech für ihn. Um neue Futtergrillen und Schaben zu kaufen, muss ich zu Reptilica.de. Ohne Online-Verbindung geht das aber nicht.

Jetzt hätte ich gerne eine geraucht. Oder einen Schnaps getrunken. Nun rauche ich aber nicht und fühle mich auch nicht zum Trinker berufen. So ein Mist. Ist das Internet etwa meine Ersatzdroge? Bin ich auf Entzug? Ich fuhr mir mit fünf Fingern durch die Haare und setzte mich wieder. Im Spiegelbild des Monitors sah ich die ausgemergelte Figur aus einem Horrorfilm. War ich das selbst? Egal: Noch immer war kein Internet verfügbar.

Das ist doch kein Leben

Meine Fingernägel hinterließen tiefe Furchen im Holz des Schreibtisches: Das ist doch kein Leben so ohne Internet. An Arbeit war nicht zu denken. Schließlich musste ich für meine Texte im Netz recherchieren, um dann die fertigen Artikel über das Internet zu versenden. Also lieber Schluss machen am PC und nach oben gehen - fernsehen? Das ging auch nicht. Wir haben keine Fernsehzeitung aus Papier mehr. Stattdessen nutze ich das Gratis-Programm TVgenial, um mich über die neuen Sendungen des Tages zu informieren. Zu blöd: Das Programm mahnte prompt ein Update der Senderinformationen an. Über das Internet. Haha, guter Scherz.

Bevor mich die Depression verschlang, fiel mir die Lösung ein. Ich hatte ja noch eine ISDN-Karte im Rechner stecken. Schnell nutzte ich das Programm, um über einen Call-by-Internet-Provider eine Verbindung zum Internet aufzubauen. Es glückte. Langsam, aber glücklich surfte ich in die digitale Abendsonne. Und sang dabei: "I am a lonely pc-cowboy, far away from home". Am nächsten Tag ging DSL wieder. Gott sei Dank.

Eine Glosse von Carsten Scheibe, Typemania

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