Seit meine Tochter Alisa vier Jahre alt ist, "arbeitet" sie regelmäßig am Computer. Wenn meine Frau unseren Erstgeborenen morgens in die Schule fährt, darf Alisa uns für eine halbe Stunde im Büro besuchen. Dann gehört der Praktikanten-Schreibtisch ihr. Das sieht man schnell an den Pokemon-Sammelkarten, Papierschnippseln, Kekskrümeln, Haarspangen und Armbändern, die überall auf dem Schreibtisch herumliegen. Und an der allgemeinen Unordnung der Computer-CDs. Denn unsere Kiste mit den neuesten Computerspielen für Kinder, die wir im Büro testen sollen, ist meistens leer. Alisa hat "Heidi" rausgekramt, und "Billi Banni", und "Löwenzahn", und "Bob der Baumeister" und die "Barbie"-CDs sowieso. Überall liegen die Plastikhüllen herum, in die ich die CDs immer gerne schiebe (Die Verpackungen wandern in den Müll). Was mir die Nackenhaare aufstellt, ist, dass die meisten CDs nicht wie versprochen in der Hülle stecken, sondern ungeschützt auf dem Schreibtisch herumliegen. Unvorstellbar, was Alisas Nutellafingern für einen Dreck auf den Scheiben hinterlassen.
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Heute ist Alisa bereits fünf und ein alter Hase am PC. Als sie vor einem Jahr mit dem Computern anfing, musste ich noch den PC starten und die Anwendung für sie aufrufen. Schon damals beschäftigte sie sich dann aber ganz autark mit ihrem "Baby-Born"-Computerspiel. Das Klicken mit der Maus war nie ein Problem. Das Ziehen-und-Ablegen mit der Maus musste sie aber sehr mühsam lernen. Es ging aber auch nicht anders. Baby Born musste schließlich angezogen werden. Und das funktionierte nur, wenn Alisa die benötigten Kleidungsstücke per Drag and Drop aus dem virtuellen Kleiderschrank auf die Puppe zog. Da half kein Quengeln und kein Plärren: Papa kann schließlich nicht immer alle zwei Minuten von seinem PC aufstehen und dabei helfen, der Puppe einen pinken und einen grünen Schuh anzuziehen. Also hat Alisa selbst gelernt, wie es gemacht wird.
Die Feinjustierung ist nicht so ihr Ding
Inzwischen ist sie völlig autark. Sie klettert morgens auf den Schreibtischstuhl und schiebt zunächst mit dem Ellenbogen den ganzen Müll zur Seite, den sie am Tag zuvor an dieser Stelle abgeladen hat. Mit der Zunge zwischen den Zähnen schaltet sie dann nacheinander den Rechner, den Bildschirm und den separaten Lautstärkeregler für die Boxen ein. Ach wenn meine Mutter doch nur so mit der Technik umgehen könnte. Aber die weigert sich noch immer, selbst die Bedienung eines CD-Players oder eines Videorekorders zu erlernen. Immerhin konnte meine Frau ihr in einem Gespräch von Schwiegertochter zu Schwiegermutter endlich beibringen, wie das Auto betankt wird. Bislang hatte es sich auf wundersame Weise immer von selbst aufgetankt - wenn mein Vater damit fahren musste.
Mit dem Lautstärkeregler hat Alisa noch ein paar Probleme. Die Feinjustierung ist nicht so ihr Ding. Da kann es dann schon einmal passieren, dass morgens noch vor acht Uhr ein infernalisch brüllender Bob schreit: "Jawohl, wir schaffen das!" Das ist dann immer der Moment, in dem ich sehr sehr schnell beim Praktikantenrechner sein kann. Nämlich bevor das Trommelfell reißt. Unglaublich, wie laut Computer-Boxen sein können.
"Haste denn nix Neues, Papa?"
Inzwischen spielt Alisa nicht nur wie ein Profi, sondern sie installiert neue CDs auch völlig selbstständig. Dann pirscht sie zu unserem Eingangsstapel mit neuer Software, klaut sich etwa ein neues Pony-Spiel und schlitzt die Verpackung mit meiner Nagelschere auf. Sie weiß genau: Legt sie die CD ins Laufwerk ein, startet die Installationsroutine von ganz alleine. Sie kann zwar noch nicht lesen, klickt aber einfach immer mit der Maus auf den dick umrandeten Knopf auf dem Bildschirm. Das ist meistens der OK- oder der Weiter-Knopf. Nur wenn der Fortschrittsbalken beim Kopieren der Daten kommt, darf sie nicht klicken. Weil das dann der Abbrechen-Knopf ist. Wundersamerweise funktioniert diese Strategie fast immer. Ist das Spiel erst einmal installiert, öffnet Alisa das Laufwerk - und schließt es gleich wieder. Sie hat nämlich herausbekommen, dass dann immer das Spiel von ganz allein startet. Wozu soll sie nach Icons suchen oder das Startmenü öffnen? So geht es ja schließlich auch. Nur einmal ist sie beim Starten der CD aus Versehen auf dem Internet-Angebot eines Spiels gelandet. Danach verklickerte sie dann ihrer Mutter: "Internet-Surfen kann ich jetzt auch."
Das morgendliche Computern zeigt aber auch bedenkliche Nebenwirkungen. Minutenlang kann sie darüber nachgrübeln, was sie denn jetzt wohl spielt. Das ist blöd, das ist langweilig, haste denn nix Neues, Papa? Da zeigt sich ganz deutlich, wie schnell die teuren Spiele "ausgespielt" sind. Kurios ist auch, wie sie Probleme am Rechner bewältigt. Ein paar Schläge mit der Kinderfaust gegen das Gehäuse sind stets die erste Reaktion auf ein neues Problem. Dann wird die Tastatur hochgehoben und auf die Schreibtischplatte geknallt. Hilft das auch noch nicht, missbraucht Alisa die Maus als Hammer und schlägt voller Wut auf die Mausmatte ein. Geht dann doch gar nix mehr voran auf dem Bildschirm, ist die Begründung schnell gefunden: "Schon wieder abgestürzt, Papa." Was dagegen hilft, hat die Tochter bereits verinnerlicht: "Ich starte den Rechner neu, ja?" Wenn sie doch nur in allen Bereichen so pfiffig wäre…
Eine Glosse von Carsten Scheibe, Typemania