SCHEIBES KOLUMNE Schwere Psychose

Wozu eigentlich Drogen? Die Auswirkungen chronischer Überarbeitung haben zumindest unserem Kolumnisten Scheibe zu einem bizarren Trip verholfen.

Wenn die Woche mehr Termine als Tage hat, lege ich beim Texteschreiben zwangsläufig den Turbo rein. Geackert wird in diesen Stoßzeiten ohne Pause von morgens mit abends. Wenn der Tag nicht ausreicht, kommt auch noch die Nacht dazu. Nachdem ich letztens wieder einmal unter die gewerkschaftlich geforderte 30-Stunden-Woche gerutscht bin, was das Schlafen anbelangt, rasteten meine geschundenen Neuronen völlig aus. Schwere Halluzinationen waren die Folge.

Damals, am Strand von Lesbos

Halluzinationen hatte ich schon einmal. Mit 18 Jahren, auf der Insel Lesbos. Nachdem meine Kumpels und ich aus dem griechischen Hotel geflogen waren, schliefen wir damals eben am Strand. Wenn überhaupt. Ich hatte eines Abends bereits eine Nacht komplett durchgemacht und befand mich gerade in der zweiten. Morgens um drei palaverte ich etwa eine Stunde lang auf Englisch mit einem Mädchen, bis mir auffiel, dass es dieses Mädchen gar nicht gab und ich einfach nur in den Wind sabbelte. Dieser kurze klare Moment veranlasste mich dazu, mich mitten auf die schmale Mauer der Strandpromende zu legen, die zum Strand hin drei Meter steil abfiel, und mit der Taschenbuchausgabe von »100 Jahre Einsamkeit« als Kopfkissen ein Schläfchen zu wagen. Ich fiel zum Glück nicht von der Mauer herunter und erwachte, als direkt neben mir die Promenadentische der Bar für das Frühstück gedeckt wurden. Das Erlebte sollte mir eine Lehre sein, keine zwei Nächte mehr am Stück durchzufeiern.

16 Jahre später...

Etwa 16 Jahre hielt der Vorsatz auch. Doch dann ging mal wieder alles richtig schief. Alle Auftraggeber wollten die schon lange geplanten Projekte jetzt und sofort, gleich hier und jetzt. Mit mehr Arbeit gesegnet, als sie zwei Hände wegtippen können, wagte ich mich an den Berg heran. Drei Stunden Schlaf müssen reichen pro Nacht, sonst klappt das wohl nicht mit dem Texten, dachte ich. Mein alter Prof von der Uni fiel mir prompt ein, der die aufgegebenen Seminararbeiten immer wie folgt kommentierte: »Und ist der Text auch noch so klein, er will erst mal geschrieben sein.« Recht hat er gehabt, die alte Laborratte.

So schrieb ich ein paar Wochen munter vor mir her, mit dem Sixpack Red Bull auf dem Schreibtisch und einem Kasten Cola im Schuppen. Die Augenlieder wurden dank der durchtippten Nächte schwerer, die Texte mieser. Doch ich war gewillt, mich da alleine durchzuackern. Wollten die Finger gar nicht mehr die Tasten drücken, stellte ich mir den auf meine Texte wartenden Chefredakteur, den Layouter und den Drucker vor. Sie alle drehten in meinen Vorstellungen Däumchen, während sie von emsigen Arachniden ob ihrer Arbeitslosigkeit zu Haltepunkten neuer Spinnennetze gemacht wurden. Und dann dachte ich an herrliche Schecks, die vielleicht nach Fertigstellung der Arbeiten in meinem Briefkasten eintreffen würden.

Eine e-Revolution

Doch plötzlich war nichts mehr, wie es vorher war. In meinen Texten auf dem Bildschirm fehlte überall das »e«. Ich drückte die Taste, aber es passierte nicht. Ich drückte fester und hörte ein »Aua, lass das!« Die Taste sprang aus dem Bett der Tastatur, reckte winzige Arme hervor und tippte sich an die Plastikstirn: »Ich hab die Schnauze voll. Mann, immer drückst du mich am meisten von allen Tasten. Ich hab einen Brummschädel, mir ist echt schwindelig. Such dir doch eine neue Taste.« Die Taste hüpfte von der Tastatur, lief über den Schreibtisch und sprang in den Stiftebecher. Kurz darauf hörte ich daraus ein tiefes Schnarchen. Ich zuckte die Schultern, suchte nach der Scherztaste mit dem Aufdruck »Panik« und setzte sie ein. Zu dumm: Immer wenn ich »e« drückte, erschien nun das Wort »Panik« auf den Schirm. Drückte ich die Taste zweimal schnell hintereinander, kam »Große Panik«. Ich drückte drei Mal und las: »Ganz schön große Panik«. Im Stakkato hämmerte ich auf die Taste ein und las »Megaexorbitante Riesen-Panik«. Gleichzeitig sprangen alle Tasten aus der Tastatur und rannten kreischend in alle Richtungen davon. Ich fand keine einzige wieder.

Na so etwas. Ich griff nach der Maus, doch die flitzte plötzlich mit der Power eines BMW-Formel-1-Motors los und zog mich hinter ihr her. Senkrecht flog ich durch die Luft und sorgte für weiße Kondensstreifen im Büro. Himmel, ich flog nach einer harten Kurve genau auf meinen 21-Zoll-Monitor zu. Doch es gab keinen großen Krach. Wie in der Science-Fiction-Serie »Stargate« bildete sich ein schwabbeliges Dimensionstor in der Matrix des Monitors – und ich verschwand im Inneren des Bildschirms. Anscheinend war ich bei der Prozedur geschrumpft, denn ich konnte auf den blinkenden Platineninnereien ganz gut stehen. Ich sah mich um und erblickte einen Mann, der resigniert auf einem Widerstand saß. Vorgebeugte Schultern, wirres Haar, dazu eine Brille auf der Nase. Ich stammelte: »Bist du nicht Bill Gates?« Der kleine Bill nickte: »Ja, ich bin bereits seit einem Jahr in deinem Monitor gefangen. Deswegen kann ich auch so gut Deutsch. Ich habe alle deine Texte gelesen. Schauderhaft. Du hat ja überhaupt keine Ahnung von Windows. Das ist echt wie in der Hölle. Dilettantische Texte lesen und dabei nur Handlungsunfähigkeit verdammt zu sein. Vermisst man mich denn wenigstens da draußen?« Ich erklärte dem kleinen Bill lieber nicht, dass man ihn anscheinend bereits gegen einen Klon ausgetauscht hatte.

Torvalds bläst zur Revolution

Plötzlich machte es Rums und ich flitzte als Lichtimpuls durch die Leitung. Jemand haute mir brachial auf die Schulter, kaum dass ich meine Körperteile wieder unter Kontrolle bekam. »Ganz schön fix, so ein Download, was?«, meinte niemand anderes als Linus Torvalds zu mir. Ich staunte Bauklötze. Hinter ihm sah ich andere Berühmtheiten aus der PC-Welt. Einige zerlegten Waffen, ohne hinzugucken, ölten die Teile ein und bauten sie dann wieder zusammen. »Willkommen im Untergrund, Burschi. Hier geht es gegen die Computer. Wir haben sie erfunden, sie sind völlig ausgekekst, jetzt zeigen wir ihnen, wo der Frosch die Locken hat.« Linus verteilte Waffen an alle Teilnehmer und gab den Plan aus: »Auf alles schießen, was leuchtet, Daten verschickt oder einen USB-Anschluss hat.« Voller Tatendrang ließ der Linux-Erfinder sein Magazin einrasten. Ich fragte mich laut: »Wir sind doch hier im Inneren des Rechners. Wenn wir alles zerschießen, was passiert dann mit uns?« Linus guckte mich mit stahlblauen Augen an: »Wir müssen eben alle Opfer bringen.«

In dieser Sekunde wachte ich von einem lauten Beepen auf. Ich war eingeschlafen und mein Kopf auf die Tastatur gesunken. Ach herrje, wieder Halluzinationen. Ich schaltete den Rechner aus und schleppte mich zu meinem Bett. Dass bereits Cameron Diaz, Pamela Anderson und Laetitia Casta darin lagen, nahm ich schon gar nicht mehr wahr. Ich legte mich einfach zu und schlief sofort wieder ein. 36 Stunden lang. Scheiß? auf die Termine.

Carsten Scheibe

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