Draußen liegt Beverly Hills, es ist Frühling. Drinnen sitzt Marlon Brando, und er gibt den "Paten". Die Bandgeräte laufen. Er steckt sich ein Kleenex in den Mund, es soll klingen wie damals: "Du, uhm, du machst mich traurig", nuschelt er, "du verdienst meinen Respekt nicht." Marlon Brando führt Don Corleone in die Zukunft. Hier wird kein Film gedreht, hier entsteht ein Spiel: das Videospiel "Der Pate". Da sitzt er, 80 Jahre alt, mehrfacher Oscar-Gewinner, es ist seine letzte Rolle, und er ehrt damit ausgerechnet ein Videospiel. Aber eigentlich ist das nicht erstaunlich.
Wer heutzutage in Hollywood etwas auf sich hält, der tritt in Videospielen auf: Peter Fonda und Dennis Hopper haben es getan, Sean Connery, Pierce Brosnan und Charlize Theron ebenso. Al Pacino arbeitet an einer Spieleadaption von "Scarface", Vin Diesel hat gar ein eigenes Spielestudio gegründet, Clint Eastwood produziert ein Spiel zu "Dirty Harry". Allen geht es darum, dabei zu sein. Denn Spiele sind alles, was Hollywood früher einmal war: Sie sind cool. Sie setzen Trends. Sie sind neu und aufregend. Die Zahl der Kinogänger sinkt, die Zahl der Spieler steigt. Das Action-Game "Halo 2" setzte am ersten Verkaufstag 125 Millionen Dollar um, weitaus mehr als Spielbergs Film "Krieg der Welten" am ersten Wochenende. Von "GTA: San Andreas", einem Spiel mit Samuel L. Jackson und vielen anderen Film- und Musikstars, wurden am ersten Wochenende rund drei Millionen Stück verkauft. Spiele sind in, und wer in einem mitmacht, kann nicht out sein.
Schlecht für Hollywood.
Denn wer spielt, schaut in der Zeit keine DVD. Wer ein Spiel kauft, der hat das Geld nicht für eine Kinokarte ausgegeben. Videospiele bieten etwas, das kein Film zu geben vermag: Freiheit. Sie schaffen Welten, in denen alles vom Spieler abhängt: ob die Außerirdischen gewinnen oder ob Julia mit Romeo glücklich wird, ob der Mörder der Gärtner ist und wer Pate wird. "Videospiele sind eine emotionale Reise", sagt David DeMartini, Produzent des Spiels "Der Pate". "Wir können uns nicht mit der Tiefe des Films messen, aber bei uns erfährt der Spieler, wie es sein könnte, Teil der Familie Corleone zu sein." Marlon Brando hat erkannt: "Die Zuschauer sind die Schauspieler" - und das kommt an.
Auch Regisseure und Drehbuchautoren wenden sich dem aufstrebenden Medium zu. "In Spielen kann ich Geschichten erzählen, von denen ich nie dachte, dass sie möglich sind", sagt Regisseur und Neu-Spieleproduzent John Woo ("Mission Impossible 2"). Robert Zemeckis ("Zurück in die Zukunft") ist sicher, dass Spiele den Film im nächsten Jahrzehnt beeinflussen werden wie in den Neunzigern die schnellen Schnitte der Musikvideos. Kinoveteran John Milius, Co-Autor des Drehbuchs von "Apocalypse Now", fügt hinzu: "Spiele sind noch so jung, und niemand weiß, wie sie sich entwickeln. Aber als Medium werden sie wichtiger sein, als es der Film je sein kann."
In Los Angeles bringen sich Kino- und Spielebranche in Stellung. Spielefirmen haben dort Entwicklungsstudios eröffnet und werben der Filmbranche Mitarbeiter ab. Alleine das Studio des Game-Produzenten Electronic Arts dort hat 350 Angestellte, darunter viele Ex-Hollywood-Größen, die früher an Blockbustern wie "Star Wars" oder "Shrek" gewerkelt haben. Gleich außerhalb der Stadt beginnt der "Joystick Corridor": Dort haben sich über 70 Firmen angesiedelt, die Spiele entwickeln. Auch die Filmbranche bleibt nicht untätig, dazu ist der Umsatz der Spielebranche mit 30 Milliarden Dollar zu verlockend. Lange genug haben sie einfach den Spielefirmen die Rechte verkauft. Das Geld soll nun in Hollywood bleiben: Große Produzenten wie Disney haben in letzter Zeit Spielestudios gekauft oder gar eigene Spielesparten gegründet.
Eine davon
leitet Jason Hall: Warner Bros. Interactive Entertainment. Noch vor kurzem hat er selbst Spiele gemacht und ist nun das Bindeglied zwischen den zwei Welten. "Wir können viel voneinander lernen", sagt er, "die Spielebranche muss erwachsener werden, und Hollywood kann in ihr seinen Gründergeist wiederentdecken." Also gemeinsam in die Zukunft? "Auch. Auf jeden Fall werden Spiele zu Filmen in viel engerer Zusammenarbeit mit dem Regisseur entstehen", sagt Hall.
"Manchmal wird es Actionszenen im Film nur geben, weil sie im Spiel benötigt werden." Ein Beispiel dafür ist "King Kong", der neue Film von Regisseur Peter Jackson ("Herr der Ringe"). Jackson ist begeisterter Videospieler, und er war so verzaubert von einem Spiel des Franzosen Michel Ancel, dass er ihn für das Spiel zu "King Kong" ausgewählt hat. "Es gab kein Nebeneinander, es ist unser gemeinsames Projekt", sagt Ancel, "ich konnte bereits an dem Spiel arbeiten, als noch kein einziges Bild des Films gedreht war. Und ich konnte dasselbe Material benutzen, das Peter für den Film verwendet hat." Das Resultat ist beeindruckend - was Jackson freuen dürfte: Er soll an den Einnahmen des Spiels beteiligt sein.
Videospiele sind auf dem Weg zum Leitmedium - nicht nur in der Filmbranche, sondern auch und vor allem in der Musikindustrie. Denn nicht nur Stars aus Hollywood treten in Spielen auf, auch bekannte Musiker und ihre Plattenfirmen brennen darauf, in einem Spiel vorzukommen oder Songs in einem Spiel unterzubringen. Ob es Eminem ist, Axl Rose, Marilyn Manson oder der Rapper 50 Cent, sie wollen dabei sein. Weil sie wissen: Spiele sind cool. Weil sie selbst spielen, im Tourbus und im Hotelzimmer, wenn draußen Fotografen lauern. 50 Cent wird bald sein eigenes Spiel haben, und die Frage nach dem Warum ist schnell beantwortet: "Meine Fans lieben Musik, und sie spielen Videospiele", sagt er - das passt, ein Volltreffer bei der Zielgruppe. Und dann sagt er noch: "Videospiele sind der heißeste Ort, um neue Musik zu veröffentlichen." Und er hat Recht.
Es ist ein Ritterschlag
für viele Musiker, wenn ihr Song in einem Spiel zu hören ist. Es gibt große Bands, die ihre Singles erst in einem Spiel veröffentlichen, weil sie wissen, dass sie dadurch ihre Fans erreichen - und noch dazu solche, die es einmal werden könnten. Unbekannte Bands wurden auf diesem Wege entdeckt. Erst von den Spielern, dann vom Rundfunk, und dann von der Industrie. Nicht umgekehrt. Und: Wer in Deutschland eine CD herausbringt, den hört man nur in Deutschland. Wer in einem Videospiel zu hören ist, den hört die ganze Welt - das Spiel wird überall mit derselben Musik verkauft. Wer dabei ist, ist in - so wie "Wir sind Helden" vor ein paar Jahren in einem Spiel und damit in waren, so wie Daniel Baumann aus Berlin mit seinem Projekt "Nachlader" im Spiel "Fifa Soccer" dabei ist. Er hat sogar Nachrichten von einem neuen Fan aus Wolgograd bekommen, "der hat meine Musik im Spiel kennen gelernt. Super".
"Wir wollen, dass die Leute ihr neues Lieblingslied zum ersten Mal in einem Spiel entdecken", sagt Steve Schnur, bei der Spielefirma Electronic Arts zuständig für Musik: "Dann zeigen sie es ihren Freunden, niemand kennt es, aber Monate später geht der Song hoffentlich durch die Decke." Kauf dir ein Spiel, und du weißt, was morgen abgeht - das ist der Plan. Und er geht auf: Nach einer Studie haben 20 Prozent der Videospieler bereits Musik aus einem Spiel gekauft. "Spiele sind für viele Jugendliche das, was Radio früher für uns war", sagt Michael Dowling vom Forschungsinstitut Nielsen Interactive.
Steve Schnur hat über zehn Jahre selbst in der Musikindustrie gearbeitet. Jetzt schwärmt er davon, wie man bald Musik ganz bequem aus einem Spiel heraus kaufen können soll. Wird die Spielebranche die neue Musikindustrie? "Nein", sagt er und lacht: "Selbst Plattenfirmen wären am liebsten nicht mehr im Musikbusiness. Wir machen nicht deren Fehler, sondern unser eigenes Ding."