Die Eltern waren gar nicht froh, als ihr Sohn beschloss, Designer zu werden: Ende der 1960er Jahre schien das der beste Weg in die Künstler-Armut. Doch die Sorge war unbegründet. Hartmut Esslinger entwickelte sich zu einem der erfolgreichsten Vertreter seiner Zunft, und viele sehen in dem heute 65-jährigen Schwarzwälder einen der einflussreichsten Industrie-Designer überhaupt: Sony half er Mitte der 70er Jahre, mit Technik, die den Augen schmeichelte, Wohnzimmer in aller Welt zu erobern; und für einen aufstrebenden kalifornischen Computer-Hersteller namens Apple entwarf Esslinger Anfang der 80er Jahre das Konzept von weißen, schlichten, aber eleganten Rechnern, die auf den ersten Blick versprachen, anders zu sein - freundlicher zu sein - als das Heer der grauen, gesichtslosen DOS-PCs.
Über die Jahre gestalteten Esslinger und seine Agentur Frog Design so unterschiedliche Dinge wie Duschbrausen, Louis-Vuitton-Koffer, Stereoanlagen, ergonomische Zahnarzt-Stühle, Teile von Windows XP, das gesamte Erscheinungsbild der Lufthansa und - last but not least - die Kreuzfahrtschiffe der Disney Cruise Line (Beispiele in der Bilderstrecke). Seine Einsichten aus 40 erfolgreichen Jahren an der Schnittstelle von Wirtschaft und Design hat Esslinger, der mit seiner Frau und Partnerin Patricia Roller in Kalifornien lebt, nun in einem neuen Buch niedergeschrieben: "Schwungrat: Wie Design-Strategien die Zukunft der Wirtschaft gestalten."
Für stern.de nahm sich der passionierte Fußballfan und Porsche-Fahrer ausführlich Zeit, um in der frog-design-Zentrale in San Francisco darüber zu plaudern, warum Technik ein menschliches Antlitz braucht, Europäer Knöpfe lieben und Innovation immer mehr zur Überlebensfrage wird, sowohl für Unternehmen als auch den Planeten und uns selbst.
Herr Esslinger, für die meisten Menschen heißt Design: Sieht schön aus, ansprechende Verpackung. Wie sieht das Designer selber? Welche Funktion hat Design?
Die Ästhetik ist nur eines der Werkzeuge in diesem Beruf. Dass etwas schön aussieht, heißt ja nicht allein, dass es an der Oberfläche gut aussieht, sondern auch, dass es schön ist - dass die inneren Werte stimmen. Ästhetik ist kein Selbstzweck. Natürlich kann man etwas Schlechtes, Durchschnittliches, Langweiliges mit Design schöner machen. Aber wenn das Wahre oder Gute fehlt, hilft auch Schönheit nichts.
Und woran erkennt man das Wahre und Gute?
Entscheidend finde ich, dass es menschlich wird. Das ist ein Kampf. Die Ingenieure denken oft: Wenn's funktioniert, versteht es jeder. Dass man um die Ecke gucken muss, dass es zu kompliziert ist, das begreifen sie nicht, denn sie haben es ja erfunden. Wer es nicht versteht, ist halt dumm. Bei Software ist das Problem noch größer. Ein mechanischer Ingenieur arbeitet immerhin noch an einem Produkt, das am Ende in die Fabrik geht. Das heißt, es muss herstellbar sein, und dabei wird vieles noch ausgebügelt. Wenn es für die Fabrik passt, passt es ironischerweise auch besser für die Leute. Aber die Software-Industrie - in Wahrheit produzieren die Prototypen. Und diese Prototypen ... wenn's zu 70 Prozent funktioniert, das tut's ja auch.
Infos zum Buch
"Schwungrat. Wie Design-Strategien die Zukunft der Wirtschaft gestalten", Hartmut Esslinger, 230 Seiten. Gebunden. 24,90 Euro
Das heißt dann gern "beta" ...
Ja, alles ist "beta". Bei Software ist der große Aufwand die Entwicklung. Man schreibt den Code, und dann denken die Leute, die Arbeit ist getan. Die nächste Phase, dass jemand daraus ein elegantes Produkt macht - da fehlt als Korrektiv die Fabrik. Leider kommen Designer üblicherweise viel zu spät in den Prozess. Viel besser wäre es, von Anfang an mitzuarbeiten, um das Geschäft zu verbessern, nachhaltig Erfolg zu haben und dafür zu sorgen, dass wir uns nicht schämen müssen für das, was wir produzieren. Dafür wären Designer im Prinzip schon die richtigen Leute, durch ihr integratives Denken. Das war glücklicherweise auch immer meine Rolle. Ich habe nie allein auf Ästhetik geschaut und gesagt: "Ich habe eine tolle Idee, jetzt macht die!" Das war mir immer egal. Design ist kinderleicht.
Design ist kinderleicht?
Aber ja. Ideen zu haben ist kinderleicht. Das Entscheidende ist: Was ist das Problem? Wo liegt die Herausforderung? Nehmen Sie die Trinitron-Fernseher von Sony. Deren Bildröhre war massiv und eigentlich viel leuchtkräftiger als herkömmliche Modelle. Aber sie sah hässlich aus, und man musste die Kante schützen, denn wenn man auf die Kante geschlagen hätte, wäre die Röhre implodiert. Also habe ich gesagt, dann machen wir's doch gleich so: Das Bild ist der Held. Alles andere ist Rahmen.
War Sony der Ritterschlag, der Durchbruch für Frog Design?
Wir waren damals, 1974, schon relativ erfolgreich in Deutschland. Aber natürlich ging es mir nicht schnell genug. Als Sony kam, war ich glücklich: Jetzt kann ich die Welt bewegen! Mein Ziel war immer, dass in jedem Einkaufszentrum der Welt etwas von uns steht. Am Anfang klang das etwas egomanisch, aber wer nicht im Markt präsent ist, hat auch keine Relevanz. Natürlich heißt das auch, unser Design war nicht aggressiv oder modisch. Es war immer sublim. Das wird oft missverstanden als nicht genügend im Trend oder nicht ästhetisch genug.
Haben Sie sich bewusst zurückgehalten?
Wir haben mal eine Phase gehabt, in der wir ein bisschen rumgesponnen haben - aber es hätte sich nie verkauft. Und das ist ja auch das Problem: Wenn Sie Style-Magazine ansehen, das meiste darin ist ein Flop nach dem anderen, an der Kasse gesehen. Für mich war schon wichtig, dass es eine Wirkung hat, bei den Menschen. Es muss auch emotional erfreuen. Das ist ganz wichtig, egal worum es geht. Wenn ich ein gutes Produkt sehe, und es strahlt mich an, dann freue ich mich. Viele skurrile Designs dagegen, die moderne Designer machen, sind einfach befremdend.
Woran denken Sie?
Moderne Stühle sind ein typisches Beispiel, wenn Design einfach über die Grenze geht. Keiner will es, keiner versteht es. Vielleicht ist es auch mehr als Experiment gedacht. Aber es kommt bei den Menschen nicht an. Die Ansprache ist nicht vertraut. Es muss schon innovativ sein, aber das Vertraute ist die Basis, und im Innovativen steckt die Begeisterung.
Sie sprechen in Ihrem Buch viel von einer neuen, "kreativen Wirtschaft" - wie sieht die aus?
Kreativität ist in der Krise gefragt. Nur dann: "Was tun wir jetzt?" Nur wenn das Ende droht, kommen andere Leute ans Ruder. Es gab niemals eine Idee, die aus dem Überfluss entstanden ist. Ideen kommen immer aus dem Mangel, aus der Umwälzung, aus neuen Anforderungen.
Sie sagen sogar: Innovation ist zu einer Überlebensfrage für Unternehmen geworden - warum?
Wenn Sie nichts Neues haben, verschwinden Sie. Das war schon immer so, aber es geht jetzt schneller. Das Internet hat schon etwas bewirkt. Früher konnten Sie noch im Kleinen Ihr durchschnittliches Produkt verkaufen, aber inzwischen geht es um die Welt, wenn etwas nicht stimmt. Der Absturz ist abrupter.
Ändert sich auch etwas daran, wie Produkte Menschen ansprechen?
In einer Kreativwirtschaft geht es um mehr als die reinen Produkte. Wenn Sie sich das iPhone anschauen, der Erfolg liegt ja nicht am Design, sondern am Erlebnis. Beim Blackberry ist E-Mail die killer application. Es wird immer noch überbewertet: Was ist das Physische? Dabei haben wir endlich eine Technologie, die Erlebnisse simulieren kann, die interaktiv ist. Das führt auch zu anderen Schwerpunkten bei der Produktgestaltung. Alle Kochtöpfe sind rund. Es kommt darauf an, was man drin kocht. Das Entscheidende an der Wasserflasche ist nicht der Inhalt, es ist der Durst.
Stichwort iPhone: Sie haben lange und schon sehr früh mit Apple und Steve Jobs zusammengearbeitet, als die Firma noch jung war. Wie kam es dazu?
Apple hat damals gesagt: Wir schauen uns nach den Besten um. Für mich war die Motivation nicht so sehr das Geld, ich habe ja bei Sony brillant verdient. Die Motivation war, etwas zu bewegen: Was können wir tun? Apple war schon cool. Und ich habe eh immer nur Firmen gemocht, die nach oben wollen. Dann hat man einen Weg vor sich. Wenn man schon auf dem Gipfel steht, wo geht's dann noch hin? (Lacht.) Nur noch runter.
Sind Sie mit Steve Jobs in Kontakt geblieben?
Ja, aber ich will das nicht öffentlich ausbreiten.
Jobs gilt als extrem schwieriger Mensch ...
Alle Kreativen sind schwierig. Das gehört dazu. Hier in Amerika sagt man "interesting people". Die Deutschen sagen: "Der ist schwierig." Aber es geht nicht, dass jemand Mr. Nice ist und zugleich Wunder vollbringt.
Warum nicht?
Man muss schon gegen den Strom schwimmen.
So wie Sie.
Ja, man schluckt viel Wasser. Aber dafür schwimmt man nicht mit den toten Fischen. (Lacht.) Mein Großvater hat das immer gesagt. Es macht ja auch Spaß, gegen den Strom zu schwimmen. Man sieht auch viel mehr.
Was gehört dazu, eine international erfolgreiche Firma aufzubauen - gerade auch als Deutscher?
Das "Deutscher" lassen Sie mal weg.
Warum? Es ist ja eher Amerika, das als Land des Unternehmergeists gilt. Viele Deutsche gehen in die USA, um ihr Glück zu suchen ...
Amerika bietet ein besseres Klima für neue Ideen. Es ist ein Einwanderungsland. Wenn Sie hierher kommen - es sind alle Immigranten. Wir kamen damals aus Japan, und alle hatten einen Akzent, keiner sprach perfekt Englisch. Aus Indien, aus China, Japan, Naher Osten, Europa, Südamerika. Everrryone speaks brrroken Inglish. Das wird auch toleriert. An der Ostküste ist das schon ein bisschen schwieriger.
Das Zweite ist die Denke: Hier wird erwartet, dass man als Ausländer etwas mitbringt. Die Atmosphäre ist einfach fordernd. Dazu kommt noch: In Europa geht's nach Klasse. "Wo kommen Sie her?" So werden Sie beurteilt. Hier in Amerika ist wichtig: Was weißt du, was kannst du, was tust du? Also Fleiß und Wissen gegen Faulheit und Ignoranz. Das ist eine ganz andere Klassifizierung. Das heißt, hier hat jeder eine Chance.
Sie präsentieren in Ihrem Buch grünes Design als Beitrag, den Planeten zu retten. Wie könnte das aussehen?
Stellen Sie sich eine Waschmaschine vor, die merkt, wie dreckig die Wäsche ist und auch die Fasern erkennt. Sie drücken nur einen Knopf, der Rest geht automatisch. Das ist sicherer und umweltschonender als heute, wenn Sie immer die Programme wählen, die zuviel Strom und Wasser brauchen. Die intelligente Waschmaschine der Zukunft arbeitet außerdem mit Dampf und Mikrowelle. Die Technik ist vorhanden. Jetzt müssen wir abwarten, bis die Industrie aufwacht. Sobald Wasser und Strom teurer werden, wird das interessant. Samsung hat schon Prototypen. Für Japan gibt's das auch. Die Technik wird schon getestet. Generell ist das Problem: Die Mechanismen sind immer noch sehr linear, statt einen Kreislauf einzuführen. Das Recycling am Ende der Verwertungskette ist eigentlich nur Materialrückfluss, und auch das nur teilweise. Tatsächlich müsste der Rückfluss Teil des Konzepts werden.
Wie erklärt sich Ihr grünes Denken?
Wenn Sie im Schwarzwald aufwachsen, in dieser herrlichen Natur, und dann sehen, was sich in den Städten und Flüssen abspielt, das ist schon ein Desaster. Ich habe Verwandte im Ruhrgebiet - Bochum, Gelsenkirchen und so - und auch das war ein Umweltdesaster. Egal, wo ich als Kind hinkam, war's dreckig.
Sie haben einen Hang zu bunter Kleidung, woher kommt der?
Ich finde Farbe toll. Meine Eltern hatten ein Modegeschäft. Meine Mutter hat mich immer overdressed, mit Jacke und Hosen, Jeans waren nicht erlaubt. Als ich Design studiert habe, Farbtheorie, wurde mir bewusst: Das Ausbleichen des Lebens ist ein Teil des Älterwerdens. Junge Frauen und Männer sind noch farbig angezogen. Dann verloben Sie sich, im Schwarzwald tragen Sie fortan einen schwarzen Hut statt des roten. Wenn Sie heiraten, geht auch die rote Jacke weg, und irgendwann bleiben nur noch Grau, Schwarzgrau und Weiß übrig.
Haben Sie eine Lieblingsfarbe?
Fast alle. (Lacht.) Nur Violett mag ich nicht so.
Gibt es Design, das alle Kulturen gleichermaßen anspricht?
Nur bei den Superreichen. Die nehmen die Vuitton-Tasche überall, das ist ein exotisches Wunderprodukt. Aber normalerweise haben unterschiedliche Kulturen eigene Anforderungen. Wenn Sie nach Japan gehen, da sehen die Staubsauger aus wie Hunde, dann diese Toaster, die sind richtig lustig. Japaner haben sehr viel Humor, was auch mit den Manga-Cartoons zu tun hat.
Wie reagiert man als Designer auf diese kulturellen Unterschiede?
Sie passen sich an, Sie arbeiten damit. HiFi-Geräte damals in Japan hatten einen Knopf für das Ein- und Ausschalten, dazu noch einen für die Wahl der Wellenbereiche. Das war der ideale Tuner. Sonst nichts. Pur. In Europa kam das nicht an. Die Europäer wollen Knöpfe. Das ist immer noch so. Das sehen Sie auch an Autos: Die Konzeptautos bei der Tokyo Motor Show, die für Japan gemacht sind, sind ganz simpel. Ideal für den japanischen Markt heißt: ein Knopf, sonst nichts.
Kann gutes Design schlechte Technik retten?
Nö. Und gute Technik kann auch kein schlechtes Design retten.