Tiziana Cantone beging Suizid, nach dem sie ein Jahr am Cyber-Pranger gestanden hatte. Vor Gericht bekam sie keine wirkliche Hilfe, sondern sollte am Ende sogar eine erdrückende Rechnung bezahlen. An ihrem Schicksal nahm ganz Italien Anteil. Beim Begräbnis brach ihre Mutter Teresa Giglio vor aller Augen zusammen und musste von Teilnehmern des Trauerzuges zum Grab ihrer Tochter getragen werden. "Meine Tochter hat das nicht verdient, sie hat nie jemandem etwas Böses getan", sagte die Mutter laut der Nachrichtenagentur Ansa.
Erst trieb "das Netz" Titziana Cantone in den Tod - jetzt trauert es
Nun überbieten sich die Trauerbekundungen. "Einmal mehr wurde eine Frau das Ziel von Gewalt und Hass", sagte Elena Centemero, Parlamentsabgeordnete der Forza Italia. Aber wenn man jetzt formuliert "das Netz trauert um", muss man auch sagen: Zuvor trieb "das Netz" die junge Frau in den Tod.
Ihr Vergehen: Sie verschickte Sex-Videos an einige Bekannte, die dann im Internet landeten. Ihr Satz zu einem Sexpartner "Du filmst? Bravo!" wurde zum Internet-Meme. Seitdem verfolgten dieser Satz und das Video die sensible junge Frau: (Die ganze Story lesen Sie hier: "Ein Satz aus einem Sex-Video zerstörte das Leben dieser jungen Italienerin")
Keine Hilfe von staatlichen Einrichtungen
Angesichts des tragischen Endes von Tiziana Cantone fragt sich Italien, wie es sein kann, dass ein Mensch in aller Öffentlichkeit von hasserfüllten Mobbern zerstört werden kann. Eine Frage, die man in Deutschland und anderen Ländern genauso stellen kann. Denn Hilfe von Polizei und Staat konnte Tiziana Cantone nicht erwarten, als sie noch am Leben war. Zwar wird gegen vier Personen wegen des ersten Hochladens der Videos als Straftat ermittelt, aber gegen Präsenz und Verbreitung der Videos wurde nichts unternommen.
"Ich kann nicht glauben, dass es wirklich passiert ist", sagte Teresa Petrosino, eine Freundin von Tiziana Canton dem "Corriere Della Serra"."Tiziana war ganz anders als das Bild in diesen Videos. Sie wurde auf jede erdenkliche Weise beleidigt und erniedrigt, von Leuten, die selbst überhaupt kein Leben führen, das ihnen das Recht verleihen würde, über andere zu urteilen."
Cybermobbing als Privatproblem
Die Welle des Hasses wurde zum Privatproblem von Tiziana Cantone erklärt. Sie musste auf sich allein gestellt ein "Recht auf Vergessen" vor Gericht durchsetzen. Dieses Recht wurde eigentlich geschaffen, um Personen irgendwann von dem Stigma unangenehmer, aber durchaus wahrer Nachrichten zu befreien. Bankrotteure können so den Nachruhm ihrer Pleiten abschütteln.
Ruinöse Kosten für das Opfer
Cantone, die sich gar nichts hatte zuschulden kommen lassen, musste sich mit diesem Mittel gegen wüste Beleidigungen und Verletzungen ihrer Privatsphäre schützen. Ihrem Wunsch wurde vom Gericht am Ende zwar stattgegeben, doch als Krönung sollte sie 20.000 Euro für die Gerichtskosten bezahlen. Sie empfand das als Tritt ins Gesicht - das Urteil soll laut ihrer Mutter den Suizid hervorgerufen haben.
Genutzt hat der Prozess wenig, immer noch sind Videos und Bilder von Tiziana Cantone im Netz zu finden. Firmen, die diese Inhalte bereitstellen, müssen keine Strafe fürchten. Sie sollen sich sogar äußerst unkooperativ gezeigt haben, die Filme auf Wunsch von Tiziana Cantone zu entfernen. Das ist schlimmer als bei Pornoportalen, die versprechen, jedes Video zu löschen, wenn es Rechteinhaber oder die abgebildeten Personen wünschen.
Brutaler Sexismus
Und der tragische Fall zeigt, wie einseitig in Italien über Frauen und Sex geurteilt wird. "Tiziana musste nicht wegen ihres Lebenswandels sterben oder weil sie etwas Schlimmes getan hat, sie starb, weil das Verhältnis zur Sexualität in Italien einfach krank ist. Die Frau, die Spaß am Sex hat, ist eine Hure, der Mann macht es richtig", meldete sich der Autor Roberto Saviano zu Wort. Antonella Bozzaotra, Präsidentin der Psychologenvereinigung in Kampanien, assistierte: "Diese Frau wurde Opfer einer zutiefst sexistischen Gesellschaft. Sexuell aktive Frauen werden hier lebenslang schikaniert. Diese Mentalität ist in unserem Land sehr verbreitet."
Sie haben suizidale Gedanken? Hilfe bietet die Telefonseelsorge. Sie ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr unter 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222 erreichbar. Auch eine Beratung über E-Mail ist möglich. Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.
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