Guttenberg, Koch-Mehrin, Chatzimarkakis - die Liste der überführten Doktortitel-Erschleicher ist lang. "Und sie wird möglicherweise noch länger", sagt Professor Uwe Kamenz von der Fachhochschule Dortmund. Zusammen mit 80 Kollegen betreut er das Projekt "Profnet", ein Internet-Netzwerk von Professoren aller Fachrichtungen. Kamenz ist der Chef der Vereinigung, sein Ziel: Plagiate aufdecken und den Ruf der Wissenschaft wiederherstellen.
Seit fünf Jahren untersucht die Professoren-Gruppe Arbeiten auf Plagiats-Hinweise. Doch erst seit der Guttenberg-Diskussion ist die vormals wissenschaftliche Domäne ins öffentliche Interesse gelangt. Seitdem werden immer mehr Politiker mit erschummelten Doktortiteln entlarvt. Jetzt setzt Kamenz zum Rundumschlag an: Er will mehr als 1000 Abschlussarbeiten von Politikern untersuchen, sowohl von amtierenden als auch von Ruheständlern.
Die Suche nach der verlorenen Arbeit
Für sein Projekt hat Kamenz versucht, aus Politik und Parteien Spenden zu sammeln - erfolglos. Mit dem Geld wollte er zwei Hilfskräfte sowie einen Spezial-Scanner finanzieren, mit dem komplette Bücher eingelesen werden können. 15.000 Euro kostet ein solches Gerät, das bis zu 100 Bücher pro Stunde digitalisiert. Die Politik verweigerte die Zahlung, doch die Medienberichterstattung ließ private Unterstützer aufmerksam werden. So spendierte die Firma Fujitsu den Scanner, andere stellten Geld für Hilfskräfte zur Verfügung. Jetzt braucht Kamenz nur noch die Dissertationen der Politiker. Doch die sind nicht immer so leicht zu bekommen wie im Fall Guttenbergs.
Knapp 500 deutsche Abgeordnete hat der Dortmunder Professor bisher angeschrieben und sie um Einsendung ihrer Arbeit gebeten. Gerade einmal 64 haben geantwortet, nur fünf ihre Dissertation zugeschickt. Der Rest verweist auf den Buchhandel oder Bibliotheken, wo die Dissertationen zur öffentlichen Einsicht bereit stehen. Ist alles vorbei, bevor es überhaupt angefangen hat? "Das haben wir nicht anders erwartet", sagt Kamenz stern.de. "Da gibt es viele Probleme mit den Rechten der Verlage. Zudem sind einige Arbeiten nur sehr schwer zu bekommen."
Ein Beispiel dafür ist die Dissertation von Helmut Kohl: 1958 wurde ihm für die Abhandlung "Die politische Entwicklung in der Pfalz und das Wiedererstehen der Parteien nach 1945" die Doktorwürde verliehen. Eine digitale Version der Arbeit gibt es nicht, die Buchform ist nur wenig verbreitet. Doch seit ein paar Wochen gehört auch Kohls Arbeit zum Datenbestand des Dortmunder Wirtschaftsprofessors, genauso wie die Veröffentlichungen des FDP-Politikers Georgios Chatzimarkakis oder von Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler. "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir alle haben."
Ein großer Vergleich
Mit einer selbst programmierten Software könne sein Team in weniger als einer Stunde mögliche Plagiatsindizien finden, so Kamenz: "Ich rede bewusst von Indizien. Die Software kann nur verdächtige Stellen zeigen. Ob es sich dann wirklich um ein Plagiat handelt, können nur Menschen erkennen." Das Programm nutzt für seine Untersuchung eine Datenbank mit mehr als 11.000 öffentlich einsehbaren Dissertationen, die das Team aus dem Internet geladen hat. Ergänzt werden die Doktorarbeiten um rund 100.000 wissenschaftliche Aufsätze, Dokumente und Bücher. Mit jeder weiteren Veröffentlichung wird die Analyse ein Stück präziser.
"Die Software hilft engagierten Professoren seit Jahren. Das Programm macht alles automatisch und fasst verdächtige Stellen in einem Abschlussbericht zusammen", erklärt Kamenz. "Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen, dass rund 90 Prozent der Arbeiten in Ordnung sind." Es gebe nur einige schwarze Schafe unter den vielen Doktortitel-Trägern. Viele hätten überhaupt nichts zu befürchten, meint der Profnet-Vorsitzende. Und ergänzt: "Nur sehr wenige sind so dreist wie der ehemalige Verteidigungsminister Guttenberg."
Politiker sind nur der Anfang
Kamenz selbst sieht sich nicht als Plagiate-Jäger. Ihm gehe es nur um die Wissenschaft, betont er. "Das Thema Plagiate ist ein absolutes No-Go, niemand will damit etwas zu tun haben. Politiker, die Hochschulen und die wissenschaftliche Verlage verschließen derzeit die Augen vor dem Problem. Das muss ein Ende haben", fordert der Wirtschaftsprofessor. Seiner Meinung nach werden Verstöße an deutschen Universitäten viel zu schwach bestraft. So darf ein entlarvter Betrüger häufig die Arbeit einfach noch mal schreiben. "Das darf nicht sein. Im Moment ist doch derjenige der Dumme, der nicht plagiiert."
Mit den Untersuchungsdaten will Kamenz ein unabhängiges, auf wissenschaftlicher Methodik basierendes Ranking aufbauen. "Die Politiker sind nur der Anfang", schildert er seine Pläne. Folgen sollen die großen Wirtschaftsbosse und sogar Professoren. "Meine eigenen Veröffentlichungen sind auch in der Datenbank, ich habe keine Angst, die überprüfen zu lassen." Pro Jahr gibt es etwa 200.000 Prüfungen wissenschaftlicher Arbeiten in Deutschland. Die will Kamenz in einem Hochschul-Ranking festhalten: "Die Rangliste könnte zeigen, wie gut - oder schlecht - Universitäten mit dem Thema Plagiatsuche umgehen." Das Ranking könne beliebig sortiert werden, nach Bundesland, Hochschule oder sogar nach einzelnen Fachbereichen.
Realistische Aussichten
Dass die Einführung einer solchen Rangliste Plagiate nicht verhindern wird, weiß auch Kamenz. "Aber wenn nur zwei bis drei Hochschulen ihre Auflagen verschärfen und genauer hinschauen, haben wir schon etwas erreicht." Und zumindest die öffentliche Diskussion bei Politikern zeige bereits Wirkung, findet der Professor. Nach einem seiner Vorträge kam ein junger Politiker zu ihm mit der Bitte, seine Arbeit überprüfen zu lassen. "Politiker werden in Zukunft nicht mehr betrügen", ist Kamenz überzeugt. "Denn irgendwann fliegen sie sowieso auf."