Russland setzt auf zwei Wunderwaffen oder Gamechanger im Ukrainekrieg. Einwegdrohnen und Gleitbomben. Beide Waffen sind weder smart noch technisch besonders herausragend. Sie stechen nur in zwei Disziplinen heraus: Sie sind tödlich und sehr billig.
Gleitbomben sind zu Beginn des Jahres 2023 aufgetaucht, mit ihnen hat Russlands Luftwaffe wieder ins Geschehen eingreifen können. Eine pro-ukrainische Seite zählt über 800 Treffer dieser Bomben allein im September. Diese Bomben verschaffen den Russen an der Front einen Vorteil. Es sind alte "dumme" Bomben, die eigentlich vom Flugzeug ausgeklinkt werden. Doch dann wäre der Jet im Bereich der ukrainischen Luftabwehr. Für einen präzisen Treffer müsste er so nahe ans Ziel, dass er sogar von Manpads oder Flakpanzern getroffen werden kann.
Nur Patriots können helfen
Gleitbomben werden in großer Höhe weit entfernt vom Ziel und außerhalb der Reichweite der ukrainischen Luftverteidigung ausgeklinkt und gleiten dann ihrem Ziel entgegen. Der Pro-Ukraine-Blogger Andrew Perpetua erläutert das Dilemma: Um diese Bomben abwehren zu können, müssten die Flugzeuge angegriffen werden. Klinken sie die Bomben etwa 50 bis 60 Kilometer vom Ziel aus, muss eine effektive Luftabwehr eine Reichweite von etwa 150 Kilometern haben. Wieso so viel? Um einen Abschnitt an der Front abdecken zu können, kann man nicht die größtmögliche Entfernung annehmen, die erreicht man nur an einem Punkt und nicht an einem Abschnitt. Um eine vernünftige Trefferwahrscheinlichkeit zu erreichen, darf man ebenso nicht auf die maximale Reichweite vertrauen. Und schließlich muss die Luftverteidigung außerhalb der Reichweite von russischen Kamikaze-Drohnen bleiben.
Am Ende erfüllen nur die Patriot-Systeme diese Bedingungen. Und von ihnen hat Kiew viel zu wenig, um die Großstädte und die Front zu schützen. Obendrein arbeiten die Russen daran, die Reichweite ihrer Gleiter zu verlängern. Sie werden in großer Höhe und bei hoher Geschwindigkeit ausgeklinkt, mit entsprechenden Stummelflügeln sind auch höhere Entfernungen zum Ziel denkbar.
Rohe Improvisation
Dank der Steuerung sind so präzise Treffer möglich. Vor dem Krieg hat Russland das Thema vernachlässigt. Russland besaß zu Beginn des Überfalls nur wenige Gleitbomben mit Präzisionssteuerung. Dafür rüsten die Russen jetzt im großen Maßstab die alten Freifallbomben mit Stummelflügeln und einer Steuerung auf. Diese Umrüstung ist technisch einfach möglich, auch im Westen wurden ähnliche Systeme entwickelt, die kostengünstig "dumme" Bomben in Präzisionswaffen verwandeln. Vereinfacht kann man sagen, dass die Steuerung einer Bombe nicht aufwändiger ist als die einer kleiner Drohne. Die Bombe bringt aber 500 Kilogramm Sprengstoff ins Ziel, die kleine Drohne nur zehn. Der Gleitbausatz soll nur umgerechnet etwa 24.000 Euro kosten, das ist ein Bruchteil dessen, was für einen Marschflugkörper ausgegeben wird.
Schon in den Kämpfen in Bachmut setzten die Russen diese Gleitbomben ein. Die Ukrainer hatten die Hochhäuser im Zentrum zu Festungen ausgebaut, von denen aus sie die leicht bebauten Zonen unter Kontrolle hatten. Doch Bombentreffer rissen halbe Blocks auf einmal weg.

In großen Mengen herzustellen
Über 800 Treffer in nur einem Monat, das sind etwa 27 Präzisionsangriffe an einem einzelnen Tag. Damit zersetzen die Russen Logistik und Infrastruktur der ukrainischen Streitkräfte. Fighterbomber, ein russischer Telegram-Kanal, stellte die neue schwere Bombe, die FAB-1500M-54-UGCM bereits Anfang September vor. Für die 1,5 Tonnen schwere Bombe musste ein eigener Gleitsatz hergestellt werden. Fighterbomber behauptet, auch die Reichweite sei gesteigert worden. Die Treffergenauigkeit soll fünf Meter betragen, der Krater der Bombenexplosion hat einen Durchmesser von 15 Metern. Vermutlich sind diese Bomben bereits mehrfach eingesetzt worden, etwa auch auf einen Kommandobunker. Zweifelsfrei verifizieren lässt sich das nicht.
Bomben sind schwer abzufangen
Die Zahl von über 800 Einsätzen zeigt, dass es sich um eine billige Standardwaffe handelt, die in großen Mengen hergestellt werden kann. Zum Vergleich: Die britische Stormshadow ist weit fortgeschrittener, doch Großbritannien hat insgesamt nur 900 Stück davon bestellt, vom französischen Äquivalent gab es 500 Stück.
In der Luft lassen sich die Gleitbomben nur schwer abfangen. Durch ihren kleinen Querschnitt sind sie vom Radar kaum zu erfassen. Und da sie kein Triebwerk besitzen, gibt es auch keine Hitzequelle, die sie verraten könnte. Die Starter-Flugzeuge dürften der "Flaschenhals" auf russischer Seite sein. Um jeweils zwei Bomben ins Ziel zu bringen, muss ein Flug absolviert werden.