J. Peirano: Der geheime Code der Liebe Ich verliere meinen Sohn an die Familie seiner Partnerin

Verlässt ein Elternteil das andere, wird die Beziehung zu den Kindern dadurch oft komplizierter (Symbolbild)
Verlässt ein Elternteil das andere, wird die Beziehung zu den Kindern dadurch oft komplizierter (Symbolbild)
© JackF / Getty Images
Seit der Trennung von seinem Vater haben Beate und ihr Sohn Ben ein schwieriges Verhältnis. Mit der anstehenden Hochzeit befürchtet sie, ihn nun ganz an die Familie seiner Partnerin zu verlieren. Was soll sie tun?

Guten Tag Frau Dr. Peirano,

ich schreibe Ihnen wegen meines Sohnes Ben (30). Er heiratet im Juli seine langjährige Partnerin und für mich ist das eine sehr traurige Angelegenheit. Ich habe das Gefühl, dass ich meinen Sohn verliere, weil er sich auch mit den Eltern und Geschwistern seiner Partnerin sehr gut versteht und dort eine Ersatzfamilie gefunden hat.

Mein Mann, Bens Vater, war auf der einen Seite sehr fürsorglich, charmant und familiär. Auf der anderen Seite hat er mich auch immer von oben herab behandelt. Das Geld war immer knapp und irgendwann häufte er Schulden an. Es gab ständig Streit zwischen uns. Nach vielen Jahren habe ich es nicht mehr ausgehalten und habe eine neue Beziehung mit einem anderen Mann (Gerrit), der finanziell sehr abgesichert war, begonnen. Ich trennte mich von Bens Vater und zog zu dem Mann (400 km entfernt).  Ich wollte Ben mitnehmen, er war damals 14, aber er blieb bei seinem Vater, der dann auch nach kurzer Zeit anfing zu spielen und zu trinken.

Es muss damals ein ziemliches Lotterleben gewesen sein mit den beiden Männern. Pizzakartons, Schulden, viel Fernsehen. Sorgen und Stress. Ich habe versucht, Ben zu mir und Gerrit zu holen, aber er wollte nichts davon wissen. Er sagte mir, dass er Gerrit nicht leiden kann und sein Geld nicht will.

So entfernte sich Ben immer weiter von mir. Und als er 19 war, lernte er seine jetzige Partnerin kennen und fühlte sich in ihrer Familie gleich sehr wohl. Die Familie ist sehr gut situiert und heil. Die Partnerin wurde wie eine Prinzessin belohnt und Ben und sein Hintergrund wurden vielleicht auch als etwas asozial angesehen. Der Vater alkoholkrank und spielsüchtig, die Mutter ließ den Sohn zurück. Ich weiß, wie das von außen aussieht.

Mit Ben hatte ich häufiger Streit und Stress, weil er mich an den Feiertagen nicht besuchen wollte, nicht länger bleiben wollte, obwohl ich ihm alle Zugtickets bezahlt habe und ihm immer Geld zugesteckt habe. Ich habe den Eindruck, dass er mich nicht mehr braucht und sich bei seiner neuen Familie aalt. Und wenn er mal ein Kind mit ihr hat, werden die Schwiegereltern dann die einzig richtigen Großeltern sein.

morgenstern

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Ich habe Ben oft gesagt, wie verletzend ich es finde, dass er so wenig Interesse zeigt und mich so selten besucht. Gerrit und ich haben uns vor drei Jahren getrennt. Ich lebe in einer schönen Wohnung und würde mich über seinen Besuch sehr freuen. Aber er meldet sich nur selten, schreibt an meinem Geburtstag nur eine SMS und drückt sich davor, zu mir zu kommen.

Bei der Hochzeit komme ich mir völlig fehl am Platz vor. Ganz allein, ohne Partner, als fünftes Rad am Wagen. Ich überlege wirklich, ob ich überhaupt hingehen soll. Wahrscheinlich sitze ich dann nur herum und ziehe ein trauriges Gesicht. Und dann heißt es hinterher wieder, wie schlecht ich mich benommen habe.

Was kann ich nur machen, damit ich meinen Sohn wieder bekomme? Oder soll ich den Kontakt ganz abbrechen? Dann ist es nicht so schmerzhaft?

Viele Grüße

Beate T.

Liebe Beate T.,

als ich Ihre Geschichte gelesen habe, fiel es mir etwas schwer, mich auf Ihre Gefühlslage und Ihre Probleme zu konzentrieren. Ich habe automatisch einen Perspektivwechsel gemacht und mich gefragt: Wie ging es wohl Ihrem Sohn in seiner Kindheit? Schließlich war er damals noch ein Kind und Sie waren erwachsen und die Verantwortliche.

Ich würde Ihnen gerne die Geschichte mal aus seiner Sicht heraus erzählen, und dann Vorschläge machen, wie Sie das Verhältnis ihm gegenüber verbessern können.

Ihr Sohn ist bei Eltern aufgewachsen, die Eheschwierigkeiten hatten. Das ist belastend für Kinder. Zudem gab es zu Hause Geldsorgen. Beides zusammen führte wahrscheinlich bei ihm zu einem Gefühl der Bedrohung und der Instabilität. Dann brach die Familie auseinander, als er 14 war, weil Sie einen  anderen Partner hatten. 

Aus Sicht der Kinder ist meistens der neue Partner oder die neue Partnerin eines Elternteils schuldig an der Trennung, und Kindern fällt es schwer, einen unbelasteten Kontakt zu neuen Partnern aufzubauen. Oft verweigern sie den Kontakt und wollen mit dem/der neuen PartnerIn nichts zu tun haben, wenn die neue Partnerschaft nicht erst nach der Trennung beginnt, sondern während der Ehe.

Porträt Dr. Julia Peirano
© Kirsten Nijhof

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben. 

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Jetzt kam also Gerrit, und aus Bens Sicht übertrumpfte der den Vater (reicher, geordneter) und nahm ihm auch noch die Mutter weg. Können Sie da verstehen, dass Ben nichts mit ihm zu tun haben wollte? Und zudem sollte Ben auch noch Geld von Gerrit annehmen, das war sicher demütigend und wurde als Verrat an seinem Vater wahrgenommen. Eigentlich spricht es für Bens Charakter, dass er sich nicht hat kaufen lassen. Kinder halten oft zu dem Elternteil, der in ihren Augen schwächer ist. Und das war Bens Vater. Er hat sich um Ben gekümmert, während Sie als Mutter sich - entschuldigen Sie bitte die Konfrontation - sich anscheinend eher um sich selbst gekümmert haben. Wahrscheinlich hat Ben sich von Ihnen im Stich gelassen und orientierungslos gefühlt.

Ich vermute, dass er aufgrund dessen seine Gefühle Ihnen gegenüber - insbesondere das Gefühl, Sie als Mutter zu brauchen - in sich bekämpft hat. "Sie hat mich verlassen- aber ich brauche sie sowieso nicht" - wird sein Bewältigungsmechanismus gewesen sein.

Als er dann die schwierige Zeit überstanden hat, in der er seinen Vater gestützt hat (auch da hätte er Sie gebraucht) und erwachsen geworden ist, fand er dann in seiner Partnerin und deren Familie den Halt, den er sich als Jugendlicher gewünscht hätte. Dort gab es eine intakte, stabile Familie, Rückhalt und sogar genug Geld und Liebe, um die Tochter auch zu verwöhnen. Ben selbst ist mit einem Mangel an all diesen Dingen aufgewachsen, und es war und ist für ihn ein großes Glück, dort Halt und Zugehörigkeit zu erleben.

Konnten Sie das auch mal so mit Bens Augen sehen und ihm sein Glück gönnen? Für mich hört es sich etwas so an, als wenn Sie sich und Ihre Bedürfnisse in den Vordergrund stellen, und es Ihnen etwas an Mitgefühl für die Schwierigkeiten Ihres Sohnes mangelt. Dadurch haben Sie beide weiterhin eine schwierige Basis. Warum möchten Sie eigentlich, dass Ben Sie besucht? Warum fahren Sie nicht selbst zu ihm und zeigen Interesse an seinem Leben? Wahrscheinlich ist der einzige Weg zu Ben der Weg über seine neue Familie. Wie wäre es, wenn Sie versuchen würden, sich dort zu integrieren und gemeinsam mit Ben, seiner Partnerin und teils auch den Schwiegereltern Feste zu feiern, anstatt zu verlangen, dass er Sie besucht? Wie verstehen Sie sich mit der neuen Partnerin? Haben Sie sich um sie bemüht? 

Ich kann mir vorstellen, dass die Vergangenheit sehr zwischen Ihnen und Ben steht - und auch zwischen Ihnen und der Familie seiner Partnerin. Hier wäre es vielleicht hilfreich, Farbe zu bekennen.  Empfinden Sie so etwas wie Reue darüber, dass Sie nicht zu Ihrem Sohn gehalten haben, als er ein Teenager war? Oft ist es in Therapien so, dass Kinder sich nichts sehnlicher wünschen als eine Würdigung und Entschuldigung für die Verletzungen, die sie durch Ihre Eltern erlitten haben. Können Sie es so empfinden, dass Sie Ben verlassen haben - und verspüren Sie einen Wunsch, sich zu entschuldigen?

Ich würde Ihnen empfehlen, Ben gegenüber anzuerkennen, dass die Vergangenheit schwierig war - vor allem auch für ihn, denn er war ein Kind und konnte vieles nicht einfach selbst entscheiden. Er hat offensichtlich die größte Last getragen. Sein Vater hat sich in Alkohol und Spielsucht gestürzt, und Sie haben Ihr eigenes Leben stabilisiert. Und selbst wenn Sie Ben eigentlich mit einbeziehen wollten, war dieses Angebot für ihn anscheinend (und aus meiner Sicht verständlicherweise) nicht anzunehmen.

Wie wäre es, wenn Sie ihm einen Brief schreiben und ihm auch Gespräch anbieten? Und ihn mal fragen, was er bräuchte, damit er eines Tages die Vergangenheit hinter sich lassen kann und mit Ihnen die zukünftige Beziehung gestaltet?

Fragen Sie ihn doch, wie er sich das vorstellt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass aus seiner Sicht die bevorstehende Hochzeit ein sensibler Zeitpunkt ist. Wenn Sie da das Muster wiederholen, Ihre eigenen Verletzungen zu zeigen und mit traurigem Gesicht herumzulaufen oder gar nicht erst nicht zu kommen, wird das wahrscheinlich noch eine heftige Verletzung für ihn bedeuten. Und dann wird für ihn noch deutlicher, dass er sich auf die Schwiegereltern (die mit ihm feiern und sich für ihn freuen) verlassen kann und nicht auf Sie. Was bräuchten Sie, damit Sie auch einen Perspektivwechsel machen können und sich besser in Ihren Sohn hineinführen können? 

Aus meiner Sicht wäre es der einzige Weg, das Verhältnis zu klären und genau hinzuhören, was Ben sich wünscht - und was ihn stört. Denn ein Kontaktabbruch schwebt drohend über Ihnen beiden, und deshalb würde ich Ihnen empfehlen, hier Mühe und Mitgefühl zu investieren. 

Herzliche Grüße

Julia Peirano

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