Energie Heizen mit Weizen

Verkehrte Welt: Inzwischen ist es billiger, Getreide zu verfeuern als Gas oder Öl. Eine sichere Energieversorgung in Deutschland kann es nur geben, wenn alle Quellen angezapft werden. Dazu gehören auch nachwachsende Rohstoffe und neue Technologien zum Sparen.
Von Jan Boris Wintzenburg

Wenn Landwirt Wilhelm Förster aus Gudensberg südlich von Kassel in seiner Stube die Heizung aufdreht, stören ihn steigende Energiepreise nicht. Er ist Selbstversorger. In seinem Ofen verfeuert er im Jahr rund zwölf Tonnen Weizen, Gerste oder Roggen. Damit heizt Familie Förster ihr 370 Quadratmeter großes Gutshaus aus dem Jahr 1792. Der Getreideofen steht in einer Scheune und sieht wie eine normale Ölheizung aus. Aus einem Silo, das zehn Tonnen fasst, werden die Körner über zwei Transportschnecken zur Heizung befördert. Alle 100 Sekunden fällt ein guter Esslöffel Korn in den Ofen. Bei rund 850 Grad verbrennt das Getreide mit einer 20 Zentimeter hohen gelben Flamme. Zweieinhalb Hektar Ackerland sind nötig, um den jährlichen Wärmebedarf für das große Gutshaus zu decken.

Was unglaublich klingt, macht wirtschaftlich Sinn: Ein Doppelzentner (100 Kilo) Getreide in Brotqualität kostet etwa zehn Euro. Der Brennwert dieser Menge Korn entspricht etwa 40 Liter Heizöl im Wert von rund 24 Euro (60 Cent pro Liter). Getreide, das als Brennstoff eingesetzt wird, ist also wertvoller als Getreide für Brot - kühl gerechnet um 140 Prozent.

Die Anlage

von Landwirt Förster läuft als Pilotprojekt mit einer Sondergenehmigung. Bevor mit Energie-Getreide deutschlandweit geheizt werden darf, muss erst noch die Bundesimmissions-Schutzverordnung angepasst werden. Sie sieht bisher Getreidekörner als Heizmaterial nicht vor. Doch die hessische Landesregierung hat im März 2005 bereits einen entsprechenden Antrag im Bundesrat gestellt: Getreide soll offiziell zum Brennstoff erklärt werden. Andere Bundesländer wollen das unterstützen, manche allerdings erst, nachdem sich Ethikkommissionen mit der Problematik beschäftigt haben. Darf man Lebensmittel einfach so verfeuern, während anderswo Menschen verhungern?

"Unethisch ist es doch, wenn ich Erdöl verheize, das Jahrmillionen braucht, um zu entstehen. Weizen wächst jedes Jahr auf meinen Feldern nach", entgegnet Landwirt Förster. "Außerdem verbrenne ich ja gar keinen Backweizen, sondern den Ausputz von der Mühle." So nennt man die zerbrochenen oder zu kleinen Körner und die Grassamen, die vor dem Mahlen aussortiert werden. Man baue doch auch Raps für Biodiesel oder Mais für Biogas auf Flächen an, die man sonst für Nahrungsmittel nutzen könnte.

Es ist also so weit: Energie ist inzwischen teurer als Brotgetreide. Der rasante Preisanstieg der vergangenen beiden Jahre stellt unser über Generationen gelerntes Wertesystem auf den Kopf. Seit März 2004 haben sich die Heizölpreise für private Verbraucher in etwa verdoppelt. Sprit wurde an den Tankstellen um zwölf Prozent teurer, Erdgas zieht in diesen Tagen nach - mit Zeitverzögerung, dafür aber in großen Schritten. Lebensmittel dagegen wurden im Verhältnis billiger.

Energie-Rohstoffe,

egal ob Öl, Kohle, Gas oder Uran, werden auf unserem Planeten langsam knapp - und deshalb teurer. Inzwischen werden sie als ökonomische und politische Waffe eingesetzt, wie am Neujahrstag, als Russland der Ukraine erstmals den Gashahn zugedreht hat. Als im Zuge dieses Konfliktes hierzulande der Druck in den Leitungen abfiel, mussten die Deutschen erkennen, was für ein fragiles System an Pipelines, Schifffahrtsrouten und Zugverbindungen für Energiezufuhr unsere Volkswirtschaft am Laufen hält. Werden sie unterbrochen, steht Deutschland still, dann wird es dunkel und kalt. Die Bundesrepublik verfügt über zu wenig eigene Rohstoffe, um den Bedarf für Licht, Wärme und Automotoren auch nur annähernd zu decken.

"Was wir hier erlebt haben, sind nur erste Muskelspiele", sagt Claudia Kemfert, Wirtschaftsprofessorin und Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. "Erst wenn Energie richtig knapp wird, hören die Nettigkeiten auf." Brennstoff ist für uns tatsächlich längst so wichtig wie Brot.

Jahrzehntelang haben sich die Bundesregierungen kaum um den Energiemarkt gekümmert. Während es für Post und Telekommunikation eine Regulierungsbehörde gibt, blieb die Versorgung der Bevölkerung mit Strom und Wärme das Spielfeld von vier Großunternehmen (Eon, EnBW, RWE, Vattenfall). Die Konzernherren kümmerten sich, ganz den Regeln der Marktwirtschaft gehorchend, mehr um ihre Profite als um die langfristige Versorgungssicherheit. Manuel Frondel, Energieexperte am Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen, kritisiert: "Es gibt noch immer kein schlüssiges Gesamtkonzept, wie sich die Regierung unsere langfristige Energieversorgung vorstellt."

Doch inzwischen steht das Thema Energie ganz oben auf der politischen Agenda. Kanzlerin Angela Merkel kündigte vergangene Woche ein nationales Energiekonzept an, das alles unter einen Hut bringen soll: den Atomausstieg, die Förderung alternativer Energieformen wie Windkraft und Biomasse, den Abbau der Kohlesubventionen, eine sichere Erdgasversorgung und den langfristigen Ersatz des Erdöls. Im März wird es dazu einen Energiegipfel geben. Im selben Monat soll auch auf europäischer Ebene debattiert werden.

Bereits heute muss die EU rund 80 Prozent ihres Bedarfs an Erdöl und etwa 50 Prozent an Erdgas importieren. Im Jahr 2020 dürften es nach Schätzung der EU-Kommission beim Öl 86 Prozent und beim Erdgas 75 Prozent sein. In Deutschland liegt der Importanteil am Energieverbrauch schon heute bei 74 Prozent. Deutschland hängt an der Nadel wie kaum ein anderes EU-Land.

Weltweit

knappstes Gut ist das Öl: Experten schätzen, dass der Höhepunkt der Förderung in den nächsten zehn bis 20 Jahren erreicht wird. Steigt der Verbrauch weiter so stark, dürften die Preise spätestens dann explodieren. Deutschland bezieht rund 30 Prozent seines Öls aus Russland, das seit dem jüngsten Machtpoker nicht mehr als uneingeschränkt vertragstreu gelten kann.

Einen ähnlich hohen Anteil hat russisches Erdgas an der Versorgung Deutschlands. Und der könnte schon bald deutlich steigen, wenn Fördergebiete im Westen erschöpft sind. Da es weltweit zahlreiche Gaslagerstätten gibt, scheint die Versorgung zumindest bis ins nächste Jahrhundert gesichert - wenn auch zu höheren Preisen. Eon-Ruhrgas will bis 2010 in Wilhelmshaven ein Flüssiggas-Terminal bauen, um zehn Prozent des deutschen Bedarfs mit Tankerlieferungen auch aus weiter entfernten Regionen zu decken.

Besser ist die Situation bei der Kohle: Rund 400 Jahre reichen die weltweiten Vorräte, konstanter Verbrauch voraus-gesetzt. Und die meisten Lager sind wesentlich günstiger abzubauen als die deutschen Flöze unter Ruhrgebiet und Saar, die meist über einen Kilometer tief liegen und maximal zwei Meter breit sind. In Australien und Nordamerika wird Steinkohle im Tagebau aus Schichten von bis zu 20 Meter Dicke gefördert.

Der massive Ausbau der Kernkraft ist kein dauerhafter Ausweg, denn der wichtigste Kernbrennstoff Uran ist knapp: Die aktuell erschlossenen Vorräte reichen nach Expertenschätzung etwa 50 Jahre - je nach Nutzung und Preisentwicklung. Allenfalls eine Verlängerung der Laufzeiten der bereits existierenden 17 deutschen Atomkraftwerke könne für Deutschland Sinn machen, so die Energieexperten Manuel Frondel vom RWI und Claudia Kemfert vom DIW übereinstimmend. Was also lässt sich tun, um die Abhängigkeit von den klassischen Brennstoffen zu verringern?

Eine Universallösung gibt es nicht. Die oft genannte Kernfusion ist noch nicht ausgereift. Auch wenn demnächst in Frankreich ein neuer Versuchsreaktor gebaut wird, liegt eine mögliche kommerzielle Nutzung noch Jahrzehnte entfernt.

"Deutschland muss auf möglichst viele Energieträger aus möglichst vielen verschiedenen Quellen setzen", sagt RWI-Experte Frondel. Sonnenenergie, Windkraft und nachwachsende Rohstoffe gehören dazu. Dabei muss nicht jeder mit Weizen heizen: Holz, Biodiesel, Biogas oder Erdwärme sind gerade für private Haushalte eine Alternative.

Noch größer sind die Effekte allerdings beim Energiesparen: Bis zu 80 Prozent lassen sich die Heizkosten bei einem Einfamilienhaus durch Wärmedämmung verringern (siehe Seite 151). "Statt teure Kohlegruben an der Ruhr zu finanzieren, sollte man lieber die Entwicklung effizienter Kraftwerkstechnik fördern und Anreize zum Energiesparen geben", findet RWI-Mann Frondel. "Außerdem sollte der Staat mehr in die Energieforschung investieren. Die hohen Subventionen für erneuerbare Energien waren nur begrenzt sinnvoll."

Claudia Kemfert vom DIW setzt auf Solarenergie, Windkraft, in jedem Fall auf High Tech: um neue Ressourcen zu erschließen, Energie zu sparen und zugleich im Export Geld zu verdienen. "Es wird weitere Konflikte um die Energieressourcen geben, und Deutschland ist geostrategisch in einer denkbar schlechten Position. Außer Technologie haben wir nichts zu bieten."

Mitarbeit: Sophie Nagolny, Katrin Zöfel

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