130.000-Euro-Internat KI in der Schule: Sie "gibt den Lehrern mehr Zeit mit den Schülern"

Gemeinsam mit ihrem Mann macht Anita Gademann Institut und Schüler fit für die Zukunft - eine Zukunft mit Künstlicher Intelligenz.
Gemeinsam mit ihrem Mann macht Anita Gademann Institut und Schüler fit für die Zukunft - eine Zukunft mit Künstlicher Intelligenz.
© Institut auf dem Rosenberg / PR
Das Institut auf dem Rosenberg gilt als eines der angesehensten, ältesten und teuersten Internate der Schweiz. Es wirbt nicht mit Drill, sondern mit individueller Entwicklung. Anita Gademann ist Head of Innovation. Ihr Ziel ist es, die Schüler fit für die Zukunft zu machen. Wir sprachen mit ihr über die Rolle von Künstlicher Intelligenz im Klassenraum.

Frau Gademann, Chatbot GPT ist live und viele Bildungsinstitutionen laufen Amok. Im Bildungssektor wird das KI-Tool vor allem als große Schummel- und Plagiat-Maschine dargestellt. Und auch in Ihrem altehrwürdigen Internat, dem Institut auf dem Rosenberg, ist Chatbot GPT angekommen. Haben Sie schon ein Verbot ausgesprochen? 

Nein. Seit Open AI für die Öffentlichkeit verfügbar gibt es eine Welle von Hysterie. Plagiate, Falsch-Informationen werden beschworen oder es wird bemängelt, dass das Tool nicht in der Lage sei, alle Fragen zu beantworten. Ich denke, diese massive Kritik, die gegen dieses Tool oder KI im Allgemeinen anstürmt, ist aus einem kompletten Mangel an Kenntnis über KI heraus entsteht.    

KI wirkt lediglich als Beschleuniger für eine Entwicklung, die durch die weite Verbreitung des Internets bereits losgetreten wurde. Das staatliche und institutionelle Monopol auf Wissen und Bildung ist längst in Frage gestellt und die weitere Entfaltung der Technologie löst nun Angstreaktionen aus.   

Sie machen also keinen großen Bogen um Künstliche Intelligenz?

Wie Sie sich denken können, sehen wir das in unserem Internat ganz anders. Wir sehen KI als große Chance. Es ist unsere Rolle, unsere Pflicht, unseren Schülern beizubringen, sich in der Welt von Morgen zu bewegen. Und die Welt der Zukunft wird von Künstlicher Intelligenz angetrieben. Dieses System zu verteufeln, ist keine Antwort. Mit dem gleichen Geist hätte man auch Buchdruck oder den Taschenrechner verbieten können. Wir müssen lernen, mit Künstlicher Intelligenz zu leben.

 

Was heißt "damit leben"? Was ändert sich, übernimmt nun ein Chatbot bei Ihnen den Unterricht?

Künstliche Intelligenz kann guten Unterricht nicht ersetzen, aber Lehrern und Schülern dabei helfen, sich auf das Lernen vorzubereiten und dadurch gemeinsam bessere Lernergebnisse zu erzielen. Wir sind eine besondere Schule. An unserem Auftrag und unseren Methoden ändert Chatbot GPT gar nichts. Aber wir haben uns darauf vorbereitet. Chatbot GPT kam ja nicht überraschend.

Bei manchen Diskussionen hat man den Eindruck, dass viele vom Erscheinen doch sehr überrascht wurden.

Wir auf dem Rosenberg jedenfalls nicht, wir haben seit etwa fünf Jahren Anpassungen vorgenommen. Wir sind bereit für Künstliche Intelligenz und unterrichten damit als Werkzeug.

Chatbot GPT liefert teils sehr fragwürdige Erkenntnisse.

Wir müssen da ehrlich sein. Es ist einfach zu sagen "Oh, die KI ist rassistisch". Nein, die KI ist nur ein Algorithmus, der die Wissensbestände durchforstet und von Menschen für Menschen programmiert wurde In einem solchen Fall wären also die Menschen die "Rassisten". Da schauen wir nur in diesen Spiegel und der sagt uns: "So seid ihr!"

Und dieses Bild mögen wir dann nicht. Das Internet hat die Redefreiheit ungeheuer befördert. Und das war für die ursprüngliche Entwicklung gut so, doch nun müssen wir den nächsten Schritt machen und dafür sorgen, dass das Internet auch unseren demokratischen und ethischen Idealen entspricht. Doch solange wir die Schüler nicht in diese Diskussion hineinnehmen, wird das für sie nur eine "Debatte der Alten" sein.

 

Künstliche Intelligenz und Schule, wie kann ich mir das vorstellen?

Ich antworte zuerst allgemein, bevor ich auf unser Institut komme. Blickt man auf die ganze Welt, ist ein Tool wie Chatbot GPT zuerst einmal eine große Chance, Informationen zu demokratisieren. Künstliche Intelligenz wird den Schülern helfen, die überhaupt nicht den Luxus genießen, einen Lehrer im Klassenzimmer zu haben. Es gibt immer Diskussionen, wie privilegiert Schüler einer Einrichtung wie der unseren sind. Ja, aber wir sind nur ein ganz kleiner Teil. Darüber wird aber gern vergessen, wie privilegiert Schüler in der entwickelten Welt wie zum Beispiel in Deutschland und in Westeuropa überhaupt sind im Vergleich zu Entwicklungsländern.

Das ist ein Punkt. Ein KI-Lehrer ist allemal besser als gar kein Lehrer. Die Situation bei Ihnen sieht anders aus. Ein Jahr in ihrem Institut kostet etwa 130.000 Euro. Sie haben viele Lehrer, die bei ihnen sogar Artisans heißen. Brauchen Sie die nun nicht mehr?

Die Rolle des Lehrers ist genauso wichtig wie zuvor. Künstliche Intelligenz gibt uns eine Basis. Der Lehrer ist dazu da, den Schülern zu helfen, ihnen einen Weg zu zeigen. So ein Tool hilft jedem, an Informationen zu kommen. Man braucht nicht Stunden, um Informationen zu suchen. Die Energie kann also in Diskussion gehen, in die Analyse, in die Ethik. In einem Schritt nach vorn, in ein kreatives Denken.

Das schichtet die Prioritäten im Unterricht um. Was haben Sie konkret gemacht?

Kritisches und analytisches Denken sowie Kreativität sind seit Langem die wichtigsten Bestandteile unseres Bildungsansatzes am Rosenberg. Wir haben unser Bewertungssystem angepasst. In jedem Fach bestehen nun 25 bis 30 Prozent seiner Note aus dem Bereich "Präsentation und Debatte" – selbst in Mathematik. So arbeiten wir auf dem Rosenberg seit einiger Zeit und es funktioniert gut bei uns.

Für diesen Teil nutzen die Studenten Chatbot GPT zum Beispiel als Werkzeug für Debatten. Sie fragen nach Argumenten und Gegenargumenten. Das System hilft ihnen, sich darauf vorzubereiten, was andere ihnen entgegen können. KI wird nicht nur bei uns den Schülern helfen. Gerade den schwächeren und den mittelmäßigen Schülern werden diese Tools helfen, damit sie gute Schüler werden können.

Priviligiertes Lernen im Pavillion auf dem Rosenberg.
Priviligiertes Lernen im Pavillion auf dem Rosenberg.
© Institut auf dem Rosenberg / PR

Wie bedeutend wird KI werden?

Als Menschheit stehen wir auf den Schultern von KI – der Satz ist nicht von mir, aber ich benutze ihn gern, denn er trifft es gut. KI ist hier, um uns Informationen zu verschaffen, die wir sonst mühsam suchen müssen und wir können schneller anfangen zu denken.

Das ist eine schöne Formulierung. Eine neue Version des Klassikers "anos gigantum humeris insidentes" – wir sind "Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen".

Ja, durch KI kommen wir in der Bildung wieder auf die antike Idee der Universität zurück. Einen Raum, in dem intelligente Menschen diskutieren können – KI bringt uns auf unsere Grundlagen zurück.

Von den antiken Säulengängen zurück in die schnöde Wirklichkeit. Kommen wir zum Schummeln.

Ich arbeite jeden Tag mit meinen Schülern. Ich vertraue ihnen absolut, mit diesem Tool umzugehen. Absolut heißt, wir nutzen kein Tool, um Plagiate aufzuspüren, sondern wir setzen darauf, dass unsere Artisans die Schüler, ihre Fähigkeiten und Lernfortschritte realistisch einschätzen. Das ist für traditionelle Schulen allerdings nicht einfach. Denn wenn der Unterricht so gestaltet ist, dass es nur eine richtige Antwort oder einen richtigen Lösungsweg geben kann, ist es für Lehrer auch unmöglich, den persönlichen Stil eines Schülers in den Antworten wiederzuerkennen.

Wer stereotype Fragen stellt, muss damit leben, dass ihm mit Stereotypen geantwortet wird. Sie sagen Vertrauen, das Wort hört man selten. Die Debatte ist häufig von Misstrauen geprägt. Misstrauen gegenüber dem Tool, aber auch gegenüber den Schülern. Was entgegnen Sie?

Ja, dieses schreckliche Misstrauen in die Jugend. Wenn ich meine Schüler mit mir selbst in diesem Alter vergleiche, was kommt dabei raus? Die Schüler heute sind klüger als wir, sie wissen mehr. Ethisches Handeln ist ihnen wichtiger. Die verschiedenen Kulturen sind ihnen bewusster. Kurz: Sie sind bessere Menschen, als wir es waren.

Wir müssen ihnen vertrauen bei den wichtigen Entscheidungen. Wir können sie nicht wie kleine unwissende Kinder behandeln, die nichts zu sagen haben. Aus so einer Haltung wird nichts Gutes entstehen. Und diese Wünsche nach Zensur, sie werden sicher auch nichts Gutes hervorbringen.

 

Die Zukunft ist ein wichtiger Aspekt. Die Schüler gehen in sie hinein und die Lehrer bleiben an der Schwelle zurück.

Schüler sind viel offener für diese neuen Möglichkeiten. Wir sind älter, sind anders ausgebildet worden. Wir sind viel begrenzter in dem, wie wir die Welt wahrnehmen. Wir, die Älteren, können nicht die Haltung einnehmen: "Wir vertrauen eurer Intelligenz nicht." "Ihr seid nicht klug genug, so etwas zu benutzen." Das ist für mich ein ganz persönlicher Punkt. Unsere Schüler müssen vorbereitet sein. Sonst schicken wir sie so in die Zukunft, als sollten sie mit Schwertern gegen Schusswaffen bestehen.

Und dennoch hat man den Eindruck, dass mehr Energie in die Abwehr von KI gesteckt wird als in die Gestaltung.

Sie meinen den Test GPT Zero? 600 hochrangige Professoren und Experten beschäftigen sich zurzeit damit, das System so zu entwickeln, dass es Plagiate besser enttarnen kann. Wäre es nicht besser, all diese smarten Leute hätten zusammengearbeitet, um auf ihre Curricula zu schauen und zu sagen: 'Diese Fragen können auch von einer Maschine beantwortet werden. Wozu brauchen wir die, wenn es nur darum gehen soll, auswendig Gelerntes abfragen?' Lasst uns nach Dingen fragen, die eine Maschine nicht beantworten kann.

Und wie kann das im Unterricht konkret aussehen?

Wir geben Prüfungsfragen an Chatbot GPT und die Schüler bewerten dann die Ergebnisse wie ein Lehrer. Die Kids sind sehr streng, sie geben nie eine gute Note für Chatbot GPT. Die wissen besser als ich, was das Programm kann und was es nicht kann. Die Kids werden die richtigen Lösungen finden, sie werden diejenigen sein, die diese Maschinen später nutzen werden. Alle reden über Plagiate. Da muss ich die Lehrer fragen: Kennt ihr eure Schüler nicht? Kennt ihr deren Vokabular nicht, oder ihren Stil?

Ich komme aus Polen im Zeitalter des Kommunismus. Wir waren 33 Schüler mit einer Sowjet-Fahne an der Wand. Wir saßen da wie kleine Roboter in der Klasse, alle nebeneinander. Meine Lehrerin hat sofort an meinen Haaren gesehen, als meine Mutter einmal nicht daheim war. Sie kam zu mir und sagte: "Anita, komme morgen etwas früher und bringe deine Bürste mit. Ich mache deine Haare." Das ist Kümmern bei 33 Schülern.

Es bleibt aber dabei: Ihr Internat ist eine sehr besondere Institution. Sie haben Mittel, Lehrer und auch ausgesuchte Schüler.

Sie haben recht, wir haben besondere Ressourcen. Doch alles was wir machen, der ganze Ansatz, kann in jeder öffentlichen Schule gemacht werden. In einem entwickelten Land muss ich einschränken. Es gibt kein Geheimrezept, es ist eine Haltung: immer das zu tun, was am besten für die Schüler ist. Künstliche Intelligenz hilft den mehr visuellen Typen, den Kindern mit Leseproblemen, das ist ein Tool für den Klassenraum. Vielleicht kann es helfen, mit Sprachenvielfalt in Klassen besser fertig zu werden. Diese ganze Negativität kommt nicht von den Lehrern, die mit diesem Tool arbeiten. Lehrer sollten OpenAI annehmen, auch in Deutschland. Das gibt den Lehrern mehr Zeit mit den Schülern zu verbringen.

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