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US-Erziehungstrend Digitale Schule – warum die Kluft zwischen Arm und Reich anders verläuft, als man dachte

Paradox: Gerade Eltern aus dem Silicon Valley vertrauen auf natürliche Erfahrungen  in der Erziehung.
Paradox: Gerade Eltern aus dem Silicon Valley vertrauen auf natürliche Erfahrungen  in der Erziehung.
© FatCamera / Getty Images
High-Tech-Eltern verordnen ihrem Nachwuchs eine Kindheit ohne Bildschirm. Die öffentlichen Schulen für die Armen setzen auf digitales Lernen. Der digitale Gap sieht heute ganz anders aus, als man noch vor kurzem dachte.

Wie digital sollen die Schulen werden? Diese Frage wird auch in Deutschland heiß diskutiert. Über den Sinn eines digitalisierten Unterrichts wird wenig debattiert. Er wird vorausgesetzt, gestritten wird allein über die Kosten.

Dabei würde ein Blick in die USA und nach Großbritannien zeigen, dass mehr Bildschirmzeit für Schüler pädagogisch vielleicht doch nicht so erstrebenswert sind. Schon seit einigen Jahren kann man dort den Trend beobachten, dass die Kindergärten und Schulen der reichen Elite keineswegs so Internet-selig sind, wie man erwarten könnte.

Die "New York Times" kam in einer großen Reportage zu dem simplen Schluss: "Amerikas öffentliche Schulen fördern immer noch Geräte mit Bildschirmen - und bieten sogar reine Digital-Kindergärten an. Die Reichen verbannen Bildschirme konsequent aus der Klasse."

Die Ergebnisse der Pisa-Studie 

Noch vor zehn Jahren fürchtete man, dass reiche Schüler sehr früh Zugang zum Internet bekämen. Dort würden sie dann Fähigkeiten erwerben, mit denen sie die armen Mitschüler ohne Breitbandzugang abhängen würden.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kam schon vor einigen Jahren zu anderen Ergebnissen. Sie fand in einer Studie heraus, dass Bildungssysteme, die viel Geld in Computer investiert haben, in den Pisa Tests "keine spürbare Verbesserung" der Ergebnisse für Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften erzielt haben. Das ernüchternde Ergebnis: "Schüler, die sehr oft Tablets und Computer benutzen, schneiden in der Regel schlechter ab als die, die sie mäßig benutzen."

Inzwischen treten die Eltern des Silicon Valleys auf die Internetbremse und verordnen ihrem Nachwuchs einen bildschirmfreien Lebensstil. Tatsächlich sieht es so aus, als ob die Kinder aus einfachen Haushalten viel Zeit vor einem Bildschirm verbringen, während die Elite Holzspielzeug für den Nachwuchs kauft. Und sich bei der Erziehung den Luxus der teuren menschlichen Interaktion leistet und interaktive Lernprogramme verschmäht.

Echte Erlebnisse für die Kinder der Elite

Bei den Führungskräften im Silicon Valley ist die private – und auch teure - Waldorf School of the Peninsula beliebt, die öffentliche Schule nebenan macht Reklame für das Lernen mit dem iPad.

"Es wird da draußen eine Botschaft verbreitet, die sagt, dass ihr Kind irgendwie verkrüppelt sein wird, wenn es nicht auf dem Bildschirm schaut", sagte Pierre Laurent zur "NYT". Er ist ein ehemaliger Microsoft- und Intel-Manager. Nun sitzt er im Kuratorium der Waldorfschule. "Diese Botschaft kommt in unserem Teil der Welt nicht so gut an."

Die Menschen im Silicon Valley beschäftigen sich mit Künstlicher Intelligenz und gigantischen Datenmengen, so Laurent weiter. Doch niemand werde auf diese Herausforderungen vorbereitet, nur weil er schon als Kind ein Smartphone besitzt. Beverly Amico, Leiter für Öffentlichkeitsarbeit und Entwicklung bei der Association of Waldorf Schools of North America, sagte dem "Guardian", dass die Eltern ihrer Waldorfschulen nicht technikfeindlich sind. Später sollen die Kinder eine Hightech-Ausbildung bekommen. Doch zuvor sollen sie als Kind  echte Erfahrungen und Interaktionen machen dürfen. Nur so würden sich die innovativen Denkfähigkeiten bilden, die viele Arbeitgeber wünschen.

Menschlicher Kontakt kostet Geld 

Die Lernprogramme finden durchaus Anklang. Kritiker sagen, sie machen süchtig, denn sie werden von professionellen Entertainern gemacht. Für die öffentlichen Haushalte haben sie den Vorzug, vergleichsweise billig zu sein – denn man muss keinen Menschen für die Kommunikation mit den Schülern bezahlen. Während die Schüler der Waldorf School of the Peninsula Exkursionen in die Umgebung machen und dort Erlebnisse mit echten Pflanzen und Bäumen haben, huscht hier der Wald kostengünstig über den Bildschirm.

Mehrere Untersuchungen legen nahe, dass Bildschirmzeit und soziale Herkunft miteinander verknüpft sind. Die traurige Wahrheit: Je weiter unten der soziale Status rangiert, umso länger wird auf einen Bildschirm gestarrt. Reiche Familien wählen Privatschulen, viele sind inzwischen zumindest locker von Montessori oder Waldorf inspiriert. Sie legen Wert auf die Schulung von Aufmerksamkeit, spielerischem Lernen, die Verwendung echter Materialien und die Entwicklung sozialer Fähigkeiten.

Montessori- und Waldorfschulen haben eine unterschiedliche Pädagogik. Eines haben sie aber gemein. Sie sind sehr teuer, in den USA kostet der Besuch zwischen zehn- und zwanzigtausend Dollar pro Jahr.

Quellen: Guardian, Screenfreeparenting, New York Times

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