Herr Schlögel, beim Thema Energie- und Ressourcenverbrauch wird meist über den Endverbraucher, den privaten Konsum gesprochen. Tatsächlich verbraucht die Industrie den Großteil der Ressourcen, mit KI und schlauen Maschinen wollen Sie das ändern. Nur wie?
Künstliche Intelligenz ist derzeit in aller Munde. Mit ChatGPT ist KI aus dem Hintergrund ins Rampenlicht getreten, weil hier eine KI als Chatbot erstmals direkt mit dem breiten Publikum kommuniziert. Im sogenannten „Industrial Internet of Things“, IIoT, tut sie das schon lange.
KI ist also ein "alter Hut" – wie kann man sich das in der Produktion vorstellen? Ich denke da zuerst an Roboter.
Roboter sind Sinnbild für Industrie 4.0. Etwa die Schweißroboter in der Automobilindustrie, dort ist der Automatisierungsgrad schon länger extrem hoch. Heute sind die Anwendungsbereiche viel breiter. In verketteten Produktionslinien, in denen die Digitalisierung Einzug hält, spielt KI ein zunehmend wichtige Rolle.

Es geht dabei nicht um eine einzelne Maschine, sondern um die komplette Produktion, um eine Gemeinschaft von Maschinen?
Natürlich interessiert mich die einzelne Maschine. Doch wenn es darum geht, wo die größten „Pain Points“, also Problempunkte, sind und wie ich den Output optimieren kann, muss ich mir die ganze Linie anschauen. Wichtig ist auch die Frage: Worauf will ich meine Linie optimieren? Denn das hängt von der jeweiligen Situation ab. In einer Pharma-Produktion geht es zum Beispiel nicht darum die letzten Prozentpunkte bei der Performance herauszuholen, da kommt es viel stärker darauf an, dass es keine Fehler im Produktionsprozess gibt. Da sind Qualität und Sicherheit die Maßgabe. Wenn ich hingegen Küchenrollen produziere, geht es stark in Richtung Performance-Steigerung.
Das ist nicht trivial. Eine Maschine benötigt Sensoren, um überhaupt den Prozess zu überblicken.
Sensoren hat es schon in der Vergangenheit gegeben, sie wurden nur wenig dafür eingesetzt, Daten nach außen zu geben. Sie haben in erster Linie den Regelkreis innerhalb der Maschine unterstützt. Heute schauen wir auf den kompletten Produktionsprozess, End-to-End, also von Anfang bis Ende. Hier setzt die "Maschine zu Maschine"-Kommunikation an, die nachfolgende Maschine soll "verstehen", was die vorherige Maschine gemacht hat und welche Probleme sie hatte. Nehmen wir das Beispiel Küchenrollen: Wie schnell die Produktion läuft, hängt unter anderem von der Qualität des Papiers ab, das ich verarbeite. Je schlechter die Qualität, umso langsamer muss die Maschine fahren, um einen Papierabriss zu vermeiden. Und das ist alles eine Frage der Sensorik: Erkennt die Maschine das und wie schnell kann sie darauf reagieren, damit ich einen stabilen Produktionsprozess hinbekomme?
Diese Datenmengen kann der Mensch gar nicht verarbeiten. Da fängt die Angst oder das Unheimliche an, dass Dinge geregelt und geschaffen werden, ohne dass ein Mensch beteiligt wird.
Das muss nicht passieren. Wir bei Körber halten es für sinnvoller, wenn man die menschliche Erfahrung und die Erkenntnisse aus dem Machine Learning miteinander kombiniert.
Der Mensch trifft die Maschine – wie geschieht das?
Nehmen wir wieder das Beispiel Küchenrolle. Eine Tissue-Produktionsanlage hat bis zu 400 Parameter, die der Maschinenführer einstellen kann. Hat er sich dabei bislang hauptsächlich auf sein Bauchgefühl und seine Erfahrung verlassen, macht nun die KI Vorschläge. Unsere KI-Software bricht das von 400 auf 40 Parameter herunter, die einen Einfluss haben, oder auch nur auf fünf, die in der jeweiligen Situation relevant sind. Der Operator kann Vorschläge auch ablehnen, muss dann aber begründen, warum. So lernt die KI für zukünftige Vorschläge. Und der Mensch profitiert von den Datenmengen und bleibt handlungsfähig. Das ist unser Grundverständnis. KI ist ein Tool, das den Menschen hilft, schneller und besser Entscheidungen zu treffen.

Aber zu welchen Effekten führt das? Wofür macht man das? Welches Verbesserungspotenzial haben wir hier?
In Produktionsprozessen kann man nach unterschiedlichen Gesichtspunkten optimieren: Output, Energieeffizienz oder Qualität. Wenn ich eine möglichst hohe Qualität möchte, dann bekomme ich vielleicht nicht die höchste Performance. Oder ich optimiere in Richtung Performance, dann ist mir vielleicht die Energieaufnahme nicht so wichtig. Ich gebe ihnen ein Beispiel: Wir haben mit InspectifAI ein System entwickelt, das bei der visuellen Inspektion von flüssigen Medikamenten wie zum Beispiel Impfstoff eingesetzt wird. Weil hier Sicherheit oberste Priorität hat, wird dort alles aussortiert, was auch nur ein bisschen nach Problem aussieht, etwa ein kleiner Kratzer im Fläschchen. Auf den automatisierten Prozess haben wir noch ein KI-System darüber gesetzt, das lernt, welche Abweichungen wirklich problematisch sind und was keinen negativen Einfluss auf das Medikament hat. Damit erreichen wir, dass 85 Prozent der fälschlicherweise aussortierten Fläschchen "gerettet" werden. Das spart Kosten und Energie zugleich.
Industrielle Prozesse verbrauchen viel Energie und Rohstoffe. Aber häufig wird im Ausland produziert, was wir hier in Europa verbrauchen, und wir rechnen uns das schön.
Wir haben das Thema Nachhaltigkeit immer ernst genommen. Für uns als Maschinenbauer wird aber zunehmend wichtiger, welchen CO2-Fußabdruck unsere Maschinen beim Kunden erzeugen – Scope 3 nennt sich das.
Also tragen Sie auch Verantwortung dafür, welche Ressourcen Ihre Maschine in, sagen wir mal, Pakistan erzeugt? Und das über den ganzen Lebenszyklus?
Ja, das geht in den Scope 3 ein. Und das ist auch richtig so, um zu zeigen, man kümmert sich dann eben nicht nur um das, was vor der eigenen Haustür geschieht, sondern trägt auch Verantwortung dafür, was drei Türen weiter passiert. Unter der Klima-Perspektive ist es egal, wo der negative Output erzeugt wird.
Die neuen Anlagen sind also dank KI schlauer, effizienter und auch in Folge von Regularien gehen sie verantwortungsvoller mit dem Klima um. Das hört sich gut an, doch wann lösen diese neuen grünen Anlagen die vorhandenen Produktionsstätten ab?
Darauf können wir nicht warten. Es gibt viele Anlagen, die sind 20 bis 30 Jahre oder noch länger in Betrieb. Ein Großteil der Fabriken weltweit sind „Brownfield“-Anlagen.
Also Anlagen, die vor dem „Grünen Zeitalter“ gebaut wurden.
Ja, genau. Aus diesem Grund entwickeln wir KI-basierte Software-Systeme, die sich auf diese alten Anlagen fokussieren, um dann entsprechend Output, Qualität oder Energieeffizienz zu optimieren. Da ist die Wirkung, der Impact, sehr viel größer als im Neugeschäft. Das Gute ist: Dazu muss man die Anlage nicht aufwändig umbauen. Wir lesen die wichtigen Daten aus, schicken sie in die Cloud, die KI-Software wertet sie aus und schickt die Empfehlungen direkt aufs Smartphone des Operators.
Ist der Mensch hier weiter wichtig?
Ja, bei alten Anlagen geht es gar nicht anders, sonst müssten sie die ganze Technik rausreißen und voll autonome Systeme hinstellen, was sich viele Mittelständler gar nicht leisten können. Das macht diese Hilfestellung über Cloud und KI so interessant, weil man es auf bestehende Anlagen aufsetzen kann. Ich sehe das als Demokratisierung von KI-Technologie. Nicht nur diejenigen, die in der Lage sind, die neuesten Maschinen-Generationen zu kaufen, profitieren, sondern auch diejenigen, die im Bestandsgeschäft tätig sind. Sie haben gefragt, was KI insgesamt für die Industrie bringt. Das ist schwer zu beziffern, aber wenn wir eine Anlage auf Output optimieren, erreichen wir Performance-Verbesserungen von 20 bis 30 Prozent. Wichtig ist, dass wir möglichst viele Daten aus den Maschinen extrahieren können und sie auch von unterschiedlichen Firmen teilen.
Und da machen die Kunden mit? Das ist doch ein Einblick ins Allerheiligste?
Ja, das ist eine Herausforderung, die viel Überzeugungsarbeit erfordert. Vertrauen in die Sicherheit der Daten ist Voraussetzung. Viele Daten betreffen aber gar keine "Schlafzimmergeheimnisse" der Firmen. Wie in dem Beispiel mit der Inspektion und dem Aussortieren der Fläschchen. Ich sage dann gern: Mit Daten ist das wie mit der Liebe. Je mehr Liebe ich gebe, umso mehr Liebe bekomme ich zurück. Und umso mehr Daten ich gebe, umso mehr Optimierung kann ich erreichen.