Lebensmittel auf dem Prüfstand: Mehr als 77 Prozent der 14- bis 30-Jährigen vermuten laut einer Umfrage von TNS Infratest, Lebensmittel seien unsicherer und stärker mit Schadstoffen belastet als früher. Dabei fand die repräsentative Befragung im Auftrag der Heinz-Lohmann-Stiftung bereits im Frühjahr 2005 statt, also lange vor den jüngsten Fleischskandalen. Experten zeichnen jedoch ein differenziertes Bild.
Viele Mänger bei Eis und Fleisch
Die Lebensmittelsicherheit sei in den vergangenen Jahren "auf hohem Niveau" nahezu gleich geblieben, sagt Jochen Heimberg, Sprecher des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) in Bonn. Zwar hätten die Kontrollbehörden in den Bundesländern im vergangenen Jahr jeden fünften untersuchten Betrieb beanstandet. "Darin erfasst ist jedoch auch eine falsche Kennzeichnung von Lebensmitteln", sagt Heimberg.
Die Zahl der Beanstandungen, bei denen es tatsächlich um Verunreinigungen oder die Überschreitung von Grenzwerten geht, hängt laut BVL stark von Produktgruppe und Branche ab. Vergleichsweise viele Mängel stellten die Prüfer bei Eis und Desserts fest: Hier waren 6,8 Prozent der Proben mikrobiologisch verunreinigt. Auch Fleisch und Wurst mussten relativ häufig beanstandet werden - 4,5 Prozent der Proben wiesen eine zu hohe Keimzahl auf oder waren schlicht verdorben.
Selbstkontrollen haben großen Einfluss
Auch die Selbstkontrolle der Hersteller hat laut Heimberg großen Einfluss auf die Qualität der Lebensmittel. "In der Milchwirtschaft hat es seit Jahren keinen Skandal gegeben, denn die Kontrollen der Molkereien reichen bis hin zu den Bauernhöfen." Unübersichtlicher sei die Fleischwirtschaft. Ein Betrieb produziere die Kälber, ein zweiter mäste sie, in wieder anderen Einrichtungen werden die Tiere geschlachtet und zerlegt. "Da reicht es, wenn einer in der Kette mit krimineller Energie arbeitet, um die ganze Branche in Verruf zu bringen", sagte der Sprecher.
Hinzu kommt ein immer stärkerer Druck auf Händler und Produzenten, der mit dem Wettbewerb im Lebensmitteleinzelhandel zusammenhänge, sagt Thomas Isenberg vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) in Berlin. "Da ordnet dann ein Marktleiter an, Fleisch einfach umzupacken." Auch sorge die Globalisierung dafür, dass immer mehr Lebensmittel nach Deutschland kommen, die in den Herkunftsländern nicht ausreichend kontrolliert werden. "Früherdbeeren beispielsweise zeigen regelmäßig eine starke Pestizidbelastung."
Probleme mit ausländischen Produkten
Pflanzenschutzmittel seien ein Problem, sagt auch BVL-Sprecher Heimberg. Nach den aktuellen Zahlen von 2003 wiesen 57 Prozent der untersuchten pflanzlichen und tierischen Lebensmittel Rückstände von Pestiziden auf, 7 Prozent sogar oberhalb der Grenzwerte. "Schwierig ist es, wenn der Verbraucher sich Produkte wünscht, die in Deutschland nicht wachsen." So wiesen besonders Trauben, Pfirsiche, Birnen, Salat und Paprika aus dem Ausland Pestizid-Rückstände auf. Ob EU-Herkunft oder nicht, spiele kaum eine Rolle: So seien Tafeltrauben aus Südeuropa oft stärker belastet als solche aus Chile oder Südafrika.
Zwar schreibe die EU-Verordnung 178/2002 seit Anfang Januar vor, dass sich jedes Lebensmittel zurückverfolgen lassen müsse, sagt Matthias Wolfschmidt von der Organisation Foodwatch in Berlin. "Dazu muss aber auch ein geeignetes Überwachungssystem etabliert werden." Die Lebensmittelkontrolle in Deutschland orientiere sich immer noch an den regionalen Strukturen der 70er Jahre und müsse vom Bund länderübergreifend neu organisiert werden. Auch müssten Verbraucher den Händler auf Schadensersatz verklagen können, wenn er ihnen verdorbenes Fleisch oder pestizidbelastete Paprika verkauft.
Beschuldigte Betriebe müssen genannt werden
Daneben müssten die Landesämter für Lebensmittelsicherheit ihre schon vorhandenen Instrumente konsequenter ausschöpfen, fordert der vzbv-Ernährungsexperte Isenberg. So scheuten sich die Behörden oft, die Namen von Firmen preiszugeben, die bei Lebensmittelkontrollen negativ auffielen. "Ross und Reiter müssen genannt werden, damit der Verbraucher gezielt bei seinem Händler nachfragen kann", fordert dagegen der Verbraucherschützer.