Europas Staaten besiegeln Fiskalpakt Waffe gegen Defizitsünder - mit Schönheitsfehlern

Die Schuldenkrise hat Europa an den Abgrund gebracht - auch weil die EU-Staaten die Haushaltsvorgaben aus Brüssel über Jahre geflissentlich ignorierten. In einem Fiskalpakt haben sich jetzt alle EU-Staaten außer Großbritannien und Tschechien zu strikteren Haushaltsregeln und Schuldenbremsen verpflichtet.

Stabilitätspakt, Euro-Plus-Pakt, Fiskalpakt - in der EU häufen sich auf deutsches Drängen die Verträge, die die Euro-Staaten auf Sparkurs trimmen sollen. Mit dem Fiskalpakt, der am Freitag auf dem EU-Gipfel feierlich unterzeichnet wurde, soll nun erstmals und dauerhaft eine enge Verbindung zwischen Haushaltsdisziplin und künftigen Finanzhilfen, zwischen Solidität und Solidarität, zementiert werden.

In einer Rekordzeit von wenigen Monaten ist ein aus Sicht der Bundesregierung zentrales Projekt für die weitere Entwicklung der EU umgesetzt worden. Der Fiskalpakt ist dabei ein Zwitter. Er dient sowohl der Disziplinierung der Euro-Staaten als auch zur Beruhigung der innenpolitischen Diskussion etwa in Deutschland, um Abgeordneten weitere Hilfspakete schmackhaft zu machen. Allerdings weist er eine Reihe von Schwachstellen auf - und ist angesichts der nötigen Kompromisse bereits wieder reformbedürftig.

Sparpakt mit Hintertürchen

Der Vertrag soll notorische Haushaltssünder in der Euro-Zone per Gerichtsurteil und einer neuen Geldstrafe zu härterem Sparen zwingen. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist er damit "ein erster Schritt auf dem Weg zur Stabilitätsunion, ein Schritt zur Politischen Union". Er bringt tatsächlich mehr Verbindlichkeit für die Einhaltung der Regeln, die eigentlich seit 20 Jahren in der Währungsunion bestehen.

Allerdings hat Merkel nicht alle Ziele erreichen können. Zum einen ist die Rolle des Europäischen Gerichtshofes wesentlich begrenzter als Merkel dies wollte. Weil sich vor allem Frankreich weigerte, den EuGH Verstöße gegen den Stabilitätspakt sanktionieren zu lassen, ist die gerichtliche Überprüfung nun nur auf die Frage beschränkt, ob die Unterzeichnerstaaten ihre nationalen Schuldenbremsen auch umsetzen.

Zum anderen haben sich die 25 Unterzeichner-Staaten ein Hintertürchen offengelassen, Sanktionen bei einem Verstoß gegen den Pakt doch noch abwenden zu können. Zwar hat die Bundesregierung in den letzten Wochen noch einen "Quasi-Automatismus" durchsetzen können: Stellt die EU-Kommission eine Verletzung fest, soll nun eine Dreier-Gruppe aus der vorangegangenen, der derzeitigen und der kommenden EU-Ratspräsidentschaft eine Klage beim EuGH einreichen. Das soll die klagenden Regierungen vor politischem Druck bewahren, bietet aber immer noch ein Einfallstor, um Klagen abzuwenden. Letztlich wird erst die Praxis zeigen, ob ein "System wechselseitiger Rücksichtnahmen" der EU-Regierungen entsteht, vor dem Bundestagspräsident Norbert Lammert noch im Januar gewarnt hat.

Konstrukt außerhalb des Gemeinschaftsrechts

Ein weiterer Schönheitsfehler: Die in Rede stehende Strafe von 0,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wird erst fällig, wenn der EuGH einem Staat per Urteil bescheinigt, die Schuldenbremse nicht vereinbarungsgemäß umgesetzt zu haben und der Staat dies nicht korrigiert. Die Geldstrafe droht erst nach jahrelangem Rechtsstreit vor dem EuGH - in sehr großem zeitlichen Abstand zum Verstoß.

Das vierte Manko liegt darin, dass Großbritannien und Tschechien erfolgreich den Versuch sabotiert haben, den Fiskalpakt auch in die EU-Verträge zu integrieren und damit rechtliche Klarheit zu schaffen. Als Konstrukt außerhalb des Gemeinschaftsrechts wirft er in dem ohnehin schon komplizierten europäischen Rechtssystem neue institutionelle Fragen auf. Ein "zahnloser Tiger" sei er dennoch nicht, betonen die EU-Staaten.

Rettungsschirm nur für Schuldenbremsen-Länder

Für die Debatte in Deutschland - wo die Verpflichtung zum dauerhaften und drastischen Schuldenabbau bereits in der Verfassung verankert ist - dürfte ohnehin die Verbindung zum dauerhaften Rettungsschirm ESM das wichtigere Element des Paktes sein. In mühsamer diplomatischer Kleinarbeit hat die Bundesregierung mit ihren nordischen Verbündeten das Prinzip durchgesetzt, dass künftig nach einer Übergangszeit nur derjenige Euro-Staat Hilfen aus dem ESM bekommen kann, der auch nationale Schuldenbremsen eingeführt hat.

Vor allem in der schwierigen anstehenden Bundestagsabstimmung über den ESM könnte dies ein wichtiges Argument sein, um eine breite Zustimmung in den eigenen Reihen zu sichern. Das zweite Griechenland-Hilfspaket hat schließlich gezeigt, dass die eigene Mehrheit keineswegs sicher ist - geschweige ein Überspringen der noch höheren Hürde einer Kanzlermehrheit. Kein Wunder, dass die Planung der Bundesregierung derzeit darauf abgestellt ist, den Fiskalpakt und den ESM möglichst in einem Paket im Bundestag zu verabschieden.

Ilona Wissenbach und Andreas Rinke, Reuters (mit AFP)