Die Mitarbeiter von VW mussten in den letzten Jahren so einige Unruhen und Schlagzeilen hinnehmen - sie haben es geduldig ertragen. Jetzt aber, wo die schlechten Nachrichten bis ins Herz des Konzerns reichen, jetzt ist Schluss. Die Kantine war ein Ort der Rechtschaffenheit, an dem Jahr für Jahr die besten Würste auf die Tische kamen, hergestellt aus der VW-eigenen Fleischerei, umschmeichelt vom traditionellen Gewürzketchup. In den letzten Jahren wurden in der Regel in blanken Stückzahlen mehr Würste als Autos verkauft. Und mag zwar die Bockwurst die gleiche sein, so kribbelt nun doch eine andere Schärfe auf der Zungenspitze. Der Verdächtige ist schnell gefunden: Der Ketchup ist ein anderer!
"Skandal!" rufen die einen, "Ketchup-Gate" nennen es die anderen. "Nicht mit uns". Und schnell sind in den Kantinen in Wolfsburg, Kassel, Emden, Zwickau und Bratislava nicht nur die Teller rot, sondern auch die Köpfe. Da hilft auch das vermeintlich gesündere Rezept des neuen Ketchups nichts: Weniger Fett, weniger Zucker, mehr Tomatenmark. Eine Farce. Denn die rote Sauce gehörte zum VW-Konzern wie seine Bockwurst und wurde seit Jahrzehnten von der Firma Kraft und später vom Nachfolgeunternehmen Mondelez produziert. Versehen mit eigenem Volkswagen-Emblem wurde der Ketchup auch in Supermärkten verkauft. Aber jetzt ist Schluss. Mondelez produziert keinen Ketchup mehr.
VW-Kantinenchef tüftelt am Ketchup-Rezept
Bei Kantinenchef Martin F. Cordes dürfte diese Nachricht für einige Schweißperlen gesorgt haben. Schon im letzten Jahr machte er sich auf die Suche nach einem neuen Hersteller, fragte bei zwölf Firmen an, verköstigte Ketchup um Ketchup. Auch Mitarbeiter wurden zum Test herangezogen. „Das Ganze war unwahrscheinlich kompliziert. Chili ist nicht Chili und Tomate nicht gleich Tomate. Unser Anspruch war es, einen Ketchup zu kreieren, der geschmacklich identisch zum alten ist.“ - Cordes wusste anscheinend, was ihm andernfalls blühen würde. Er entschied sich für Develey, ein Unternehmen bei München.
Doch die erste Ketchup-Lieferung, die Volkswagen jetzt erreichte, verfehlt die großen Fußstapfen seines Vorgängers. Der Ketchup „hinterlässt eine Schärfe auf der Zungenspitze“, sagt Cordes. Die „alte“ Rezeptur hingegen habe eher im Rachen gebrannt. Cordes verspricht: „Wir werden weiter an der Rezeptur arbeiten.“ Damit ist ihm vermutlich gut geraten, bevor am Ende noch die Bockwurst selbst vom Teller springt und zum Streik aufruft. Als hauseigene VW-Wurst muss man sich schließlich nicht mit jedem einlassen.
