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Rezept zum Nachkochen So machen Sie Essig ganz einfach selbst

Kräuter oder Früchte in blitzsaubere Flaschen geben, mit Essig auffüllen und ziehen lassen
Kräuter oder Früchte in blitzsaubere Flaschen geben, mit Essig auffüllen und ziehen lassen
© Wolfgang Schardt
Was Kräuter und Früchte enthalten, davon lassen sich köstliche Auszüge bereiten, allein durch den Einsatz von Essig und Rum

Klar kann man sich im Supermarkt 100 Milliliter Himbeeressig für 2,99 Euro kaufen. Man kann es aber auch lassen und selbst einen Himbeeressig ansetzen. Das Gleiche gilt für Essig mit Estragon, Thymian und wahrscheinlich auch mit jedwedem Obst. Man braucht nichts als saubere Früchte oder Kräuter, leere Flaschen und einen anständigen Weinessig als Literware.

Manchmal, wenn ich im Großmarkt vor den Regalen stehe, wundere ich mich über das, was da in manchen Ecken so angeboten wird; etwa Estragonessig, in dessen Flasche ein einzelner grauer Estragonzweig am Gang in die ewigen Gartengründe gehindert wird.

Als ich einmal Estragon in einer Gebindegröße kaufen musste, deren Menge ich nie hätte verbrauchen können, packte ich dazu 1 l Weinessig in den Wagen, stopfte das Gros der Zweige in zwei Buddeln, füllte sie mit Essig auf, verschloss sie und stellte sie für ein paar Wochen in ein Südfenster. In den ersten Tagen machte der Estragon einen überraschten Eindruck (erkennbar, wie ich es interpretierte, an erhöhter Farbigkeit), dann aber wurde er matt und ging farblich zu dem über, was ich aus dem Großmarkt kannte (nur war der Zweig nicht allein, sondern in Gesellschaft).

Ich gedachte das Zeug schon wegzugießen, öffnete dann aber die Flasche und schnupperte. Schnupperte? Der Estragon, oder vielmehr sein Geist, seine gelösten ätherischen Öle, gaben mir voll auf die Zwölf! Wow, staunte ich wie Aladdin, das also ist die Kraft des Dschinn, das also ist Estragonessig.

Im Sommer 2018 führte ich meine Versuche fort, erstand Himbeeren vom Markt und setzte auch die unter Essig. Ich wartete erneut ein paar Wochen, sah, wie die Säure des Essigs mit dem Zellsaft der Früchte diffundierte, seihte den Sabsch durch ein Sieb sauber ab und habe seitdem den schönsten Himbeeressig aller Zeiten. Einen vollen Liter zum Preis von 100 Milliliter des Fabrikzeugs (so ungefähr) – quietschrot übrigens. Merke: Säure zersetzt pflanzliches Grün, nicht aber Rot.

Ich finde es herrlich, wie man die Prozesse der Physik, der Biologie und wohl auch der Chemie (und noch wohler wohl das heimliche Zusammenspiel aller drei – Naturwissenschaften waren nie so meins), herrlich finde ich also, wie man derlei Prozesse über lange Zeit und ohne eigenes Zutun für sich wirken lassen kann. 

Rezept zum Nachkochen: So machen Sie Essig ganz einfach selbst

Er ist wieder da, der Rumtopf

Nehmen wir Rumtopf. Ähnlich wie die Säure im Weinessig wirkt der Alkohol im Rum. Ich sehe den Rumtopf als eine Art Rentenkasse, mit dem Unterschied, dass ich das, was ich da reinstecke, am Ende auch vollumfänglich wiederbekomme, ergänzt um den Zins und den Zinseszins der Veredelung, die meine Früchte in den Reifemonaten erfahren und mir des Winters Missvergnügen zumindest in den Momenten des Genusses glorreich Sommer werden lassen.

Lange galt der Rumtopf als altväterlich und abgelegt, ein alkoholischer Knallkompott, den sich die Ewiggestrigen hinter die Binde kippten, um sich dabei (an Tischen im Reichskanzleistil) tolldreiste Geschichten aus dem Kessel von Kursk einzuschenken. Aber er ist wieder da. Leser haben mich angeschrieben, Kollegen mich auf ihn angesprochen. Also habe ich beim Töpfer gedeckeltes Steinzeug erstanden und inzwischen begonnen, es peu à peu zu befüllen, als work in progress, als ein Prozedere, das ich durch die Wochen des Sommers Frucht um Frucht fortsetzen werde.

Mit Erdbeeren habe ich begonnen, makellosen Früchten, die ich nach dem Putzen wog. Ich maß ihr Gewicht noch einmal in Feinzucker ab, gab die Beeren sanft in den Topf, ließ Zucker regnen und goss dann 1 Flasche Rum hinterher, zu 54 Vol.-%.

Einschlägige Werke erklären mir, dass der Zucker sich im Alkohol löst, dass beide gemeinsam die Beeren vor dem Verderb schützen und das Zellgewebe der Früchte durchdringen, ohne es zu zerstören.

Ob dieser Prozess nun Diffusion, Mazeration oder Osmose heißt, ist mir am Ende so verwirrend wie gleich, solange mir nur das Ergebnis schmeckt. Und das, so weiß ich mit Sicherheit, wird es.

Zu Erdbeeren griff ich allein, weil die Literatur es verlangt. Persönlich finde ich, dass Erdbeeren so ein alkoholisches Ersäufnis nicht bekommt. Sie sehen am Ende irgendwie leichig aus, mich erinnern sie an Lord Nelson, den man nach dem Tod in der Seeschlacht von Trafalgar zur Konservierung in ein Fass steckte, unter Brandy setzte und nach London schiffte, wo man ihn – ein Weichling nun – ins Heldengrab senkte.

Die Frage nach der richtigen Reife

Für einen guten Rumtopf sollen die Früchte reif, nicht aber vollreif sein. Warum? Weil sie sonst ihre Anmut verlören, so schreibt es Ignatius Bratenwender, "der Kochkunst ehrwürdiges Mitglied", in seinem Buch "Der kölnische Leckerfress" (1819).

Im Juli gebe ich Sauerkirschen dazu, im August Pfirsiche, Aprikosen und Mirabellen (diese drei gehäutet, entsteint und geviertelt), im September folgen Zwetschgen (entsteint) und im Oktober Birnen (geschält und entkröst). Im November hoffe ich Ananas zugeben zu können (geschält, entstrunkt und zu Ecken geschnitten). Auch halbierte und polierte Quitten scheinen geeignet. Beim Ansetzen des Rumtopfes verwendet man Früchte und Zucker im Verhältnis 1 : 1, in der Folge dann nur noch halb so viel Zucker wie Frucht. Jedes Mal ist aber so viel 54-prozentiger Rum nachzugießen, dass die Flüssigkeit fingerbreit über den Früchten steht.

Und was ist mit Blaubeeren? Die werden matschig; Himbeeren, dito. Brombeeren werden im Rumtopf hart. Auch Äpfel verhärten sich und sind keine Freude.

Im Advent hoffe ich den Rumtopf dann endlich zu genießen, immer ein bisschen, über Panna cotta oder auch Quark.

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