Unter Köchen scheint es Mode, Speisen abschließend mit einem Geriesel von Zitronenschale zu würzen – sagt mir Ingo Holland, ein Koch, der aus seinem Restaurant "Altes Rentamt" in Klingenberg die (wie ich finde) beste hiesige Quelle für Gewürze und Gewürzmischungen gemacht hat – die nun "Altes Gewürzamt" heißt. Zitronenabrieb an allem findet Holland „zu viel“ des Guten – ich aber freue mich, weil ich seit Langem schon verrückt bin nach dem Zeug und also so falsch nicht liegen kann mit meiner Neigung.
Neben frischem Abrieb gibt es noch eine weitere, allerdings seltenere Zubereitung. Auch diese liebe und empfehle ich – Salzzitronen. Das sind Früchte, die entweder in körnigem Salz oder in einer starken Lake einlegt sind und über Monate reifen. Nicht ob ihrer Säure werden sie verwendet und auch nicht im Fleische, sondern die gehackte Schale wird eingesetzt. Lose findet man Salzzitronen dort, wo es auch lose Oliven gibt. Auch im Glas konservierte gibt es, hübsch und leuchtend.
Man kann aber diese aus Marokko stammende Spezialität auch selbst herstellen. Ich habe das vor Jahren einfach mal gemacht, als ich frisch vom Baum gepflückte Zitronen mitgebracht bekam. Seitdem mache ich sie immer wieder, weil auch nur wenig von der Schale in Gerichten einen fulminanten Effekt hat und ich dann bei Tisch als gewiefter Tausendsassa gelte.
Zur Zubereitung nimmt man Keramik
Alles, was man braucht, sind Biozitronen, grobkörniges Steinsalz und ein Keramikgefäß mit Deckel. Glas ginge auch, aber Keramik schützt vor Ausbleichen. Die konzentrierte Melange aus Salz und Säure, die sich aus der Zubereitung ergibt, ist derart krass, dass das Gefäß auf jeden Fall inert (lateinisch für "untätig, unbeteiligt, träge") sein sollte. Ich vermeide jederlei Metallgefäß. Ich hatte es schon mit vermeintlichem Edelstahl zu tun, der dann am Ende nicht so edel war. Und auch emaillierte Ware kann Sprünge oder Abplatzungen haben, woraufhin der Kontakt von Salz und Säure das blanke Metall oxidieren ließe. Will man auf so was beißen? No, Sir!
Das Salz darf Sackware im Kilo- oder gar Fünf-Kilo-Pack sein, wie es sie für die Gastronomie gibt. Steinsalz ist ein massenhaft vorkommendes natürliches Mineral (auch Halit genannt), das einem der Schnickschnackhandel allerdings gern zu Mondpreisen aufschwatzen möchte. Mehr als zwei Euro pro Kilo sollte man nicht zahlen, und stehen noch so viele Silben wie "Ur" oder Wörter wie "natürlich" und "rein" auf der Packung. Am frechsten macht es der Schubeck Alfons, der für sein Steinsalz irre 44,25 Euro pro Kilo verlangt (wahrscheinlich hält er sich für einen Fuchs).
Ab in den Keller damit
Den Keramiktopf (ich kaufe derlei Ware auf dem Töpfermarkt) waschen und trocknen. Den Boden mit einer 1–2 cm hohen Lage Salz füllen. Die gewaschenen Zitronen von einem Pol her kreuzweise einschneiden. Der etwas widerspenstigen Frucht den Kreuzschlitz sanft, aber bestimmtöffnen und sie mit etwas Steinsalzstopfen.
Die so bepackte Zitrone wie eine Amphore auf den Salzgrund setzen, dann weitere Früchte wie beschrieben präparieren und diese dicht nebeneinander auf das Salzbettpacken. Auch wenn sich die Zitronen jetzt wie zu viele Personen in einem engen Aufzug fühlen: Immer passt noch etwas in die Zwischenräume. Ich fülle alle Hohlräume mit weiterem Salz und decke die Früchte mit einer 1–2 cm dicken Schicht zu. Nun presse ich den Saft aus weiteren Zitronen und gieße davon so viel über das Salz, bis die Flüssigkeit an seine Oberfläche reicht. Ich verschließe das Gefäß mit dem Deckel, stelle die Zitronen in den Keller und vergesse sie für 3 Monate.
Ab jetzt arbeitet die Zeit für mich. Es löst sich so viel Salz im Saft, dass sich eine gesättigte Lösung bildet, in der die Fruchtschale quasi gart. Die Schale wird beißbar, bleibt dabei aber schnittfest, die Bitterstoffe der Schale allerdings schwinden, und es entsteht ein komplexer, stark würziger Geschmack – die ganze Sache ähnelt der Zubereitung und Reifung von Kapern (ist aber geschmacklich gänzlich anders).
Ja, gammelt denn die Frucht nicht, und kommt es da nicht zur Schimmelbildung? Nein, die Ladung aus Salz und Säure ist so stark, dass jegliche sonst so lebhaft interessierten Bakterien und Pilze abwinken.
Marokkanisches Huhn
Wie setze ich nun die Zitrone ein? Ich nehme eine Frucht, viertele sie längs und schabe das Fruchtfleisch mit einem Löffel aus (weg damit oder die Masse in einem Sieb ausdrücken und die Flüssigkeit als Würzessenz verwenden, wie man die ganze Zitronenlake nach Verbrauch der letzten Zitrone auch absieben und als Würze in einer Flasche aufbewahren kann, zum Abschmecken für Saucen). Die Schale schneide ich erst in Streifen und dann in Würfel.
Ich häute 1 Huhn und teile es in Keulen, Schenkel und Stücke vom Brustfleisch sowie den Rücken. Ich habe 75 g Kichererbsen über Nacht eingeweicht und köchle sie in 3/4 l Wasser für ca. 2 Stunden weich.
Sind sie fast gar, gebe ich die Hühnerteile hinein und packe 2 streifig geschnittene Zwiebeln dazu, dito 100 g Rosinen, 1 grob gewürfelte Möhre, 1 Zimtstange und 1 Lorbeerblatt – kein Salz. Dies gare ich für 20 Minuten, rühre 1 gestr. TL Gelbwurz sowie 1/2 TL Kartoffelmehl mit etwas kaltem Wasser glatt, rühre das in den köchelnden Topf und gare weitere 10 Minuten.
Dies ist auch der Moment, da ich 1–2 EL gewürfelte Zitronenschale zufüge.
Ich habe Reis zubereitet, hacke Petersilie oder Koriander, würze mit schwarzem Pfeffer, schmecke ab und serviere das Gericht, bestreut mit dem gehackten Grün. Dann freue ich mich meines Lebens, begleitet von Wein oder – wie man es in Marokko machen würde – Traubensaft. Nachstehender ist gut.
