Zwei Monate lang ist Ursula Janßen mit ihrer Familie in die kulinarische Vergangenheit gereist, hat gekostet, was es einst im Garten Eden zu essen gab, hat sich den Bauch vollgeschlagen wie einst die alten Römer und gegessen, wie es im 16.Jahrhundert nur Päpste konnten. Janßen ist Archäologin und Küchenhistorikerin. Für ihr Kochbuch "Garum. Rezepte aus der Geschichte" hat sie sich von babylonischen Keilschrifttafeln ebenso inspirieren lassen wie von den Rezepten aus der Feder Bartolomeo Scappis. Und der hat immerhin mehrere Päpste des 16. Jahrhunderts bekocht.
Als Archäologin hat Janßen in Syrien und Aserbaidschan, in Kenia, der Türkei und Ägypten gelebt. Auf ihrem Selbstversorgerhof "Trullo Cicerone" in Apulien, wo sie inzwischen mit ihrer Familie wohnt, geht sie ihrer zweiten Leidenschaft nach, dem historischen Kochen. Dafür sichtet Janßen alte Schriften und interpretiert sie für die Gegenwart.
4000 Jahre alte Rezepte
Mit Indiana-Jones-Fantasien hat ihre Arbeit als Küchenhistorikerin wenig zu tun. Für die Rezept-Recherche muss sie weder alte Öfen ausgraben, noch die Überreste antiker Speisekammern analysieren. Schon früh, sehr früh wurden Rezepte schriftlich festgehalten und für die Nachwelt erhalten. So hat Janßen Quellen genutzt, die bis nach Mesopotamien und ins zweite Jahrtausend vor Christus reichen.
Mit ihrem Kochbuch eröffnet sie eine kulinarische Tür zu vergangenen Zeiten und fremden Ernährungsgewohnheiten. Das Buch erzählt von mittelalterlichen Banketten, als noch nicht in Gängen serviert, sondern süß und herzhaft zusammen aufgetischt wurde. Oder blickt 4000 Jahre zurück nach Babylonien, wo vor allem eins in die Mägen kam: Fleisch. „Dazu gab es Lauch mit Frühlingszwiebeln und Knoblauch und dazu noch eine Zwiebel“, lacht Janßen, die für ihre Sammlung die spannendsten Gerichte herausgesucht hat.
So gleichförmig die Küche Mesopotamiens, so abwechslungsreich waren die Gerichte der Römer. "Im alten Rom wurde alles gegessen, was nicht bei drei auf den Bäumen war", so Janßen, die unter anderem von einem Flamingogericht weiß, das bei Apicius erwähnt wird.
"Meine Familie war im Fischsoßenstreik"
Flamingo kommt bei Janßen zwar keiner auf den Tisch, "die gefüllte Haselmaus aber schon", erzählt sie mit einem Augenzwinkern, "abgeändert natürlich". Die Maus wird in Janßens Version kurzerhand zum Kaninchen. Und auch eine von den Römern heißgeliebte Soße verschwindet aus so mancher Adaption.
„Fischsoße war so gut wie in jedem Gericht, das war das Ketchup der Römerzeit“, sagt Janßen. Jedes Gericht heißt auch wirklich jedes Gericht. Auch der Nuss-Pudding mit Honig wurde im römischen Reich mit Fischsoße, "Garum" nach der das Buch benannt ist, verfeinert. "Meine Familie ist irgendwann in den Fischsoßenstreik gegangen."
Das Abändern und Interpretieren sei Teil der Arbeit mit historischen Gerichten. Einmal, weil viele Tiere, die einst im Topf landeten, heute nicht mehr verzehrt werden, zum anderen, weil viele Zutaten, wenn sie denn überhaupt klar identifiziert werden können, nicht unbedingt heute noch so schmecken wie einst.
Alte Speisen modern interpretiert
"Was wir heute als Lauch kennen, ist nicht das, was es damals war. Das war alles viel kleiner, wahrscheinlich härter, bitterer“, so Janßen. In anderen Fällen wie beispielsweise dem bei Römern äußerst begehrten Silphium-Gewächs stellt sich die Frage des Geschmacks längst nicht mehr. Die Römer waren so verrückt nach dem Gewächs, dass sie es im wahrsten Sinne des Wortes aufgegessen haben. Die Pflanze ist ausgerottet.
Aus einem babylonischen Brot-Tauben-Gericht wird so schon einmal ein Tauben-Burger oder wie die Küchenhistorikerin sagt: "Die Möglichkeit, es so zu servieren, dass es auch auf einer Party funktioniert.“ Auch wenn Tauben-Burger extravagant klingt, die Gerichte seien mit modernen, weltoffenen Ernährungsgewohnheiten im Einklang.

"Eine Annäherung an den Geschmack von damals"
Ursula Janßen möchte die historischen Gerichte für moderne Geschmäcker zugänglich machen. Für ihre Rezepte muss daher nicht über offenem Feuer gekocht werden und auch die Zutaten nicht mühevoll in einem Einkaufs-Marathon durch die Fachgeschäfte herangeschafft werden.
"Das Kochen alter Gerichte ist immer eine Annäherung an den Geschmack von damals", sagt Janßen. "Ich bin da keine Extremistin. Es gibt Kollegen, die mischen Algen ins Wasser, um den Brackgeschmack von abgestandenem Zisternenwasser nachzuvollziehen oder geben Sand ins Mehl, für das Gefühl eines unsauber gemahlenen Brots." Ihre Gerichte sind Interpretationen, ein Mittelweg. Ganz genau wird der Geschmack ohnehin nie zu treffen sein, denn Mengenangaben existieren in historischen Rezepten nicht.
Das Kochbuch "Garum. Rezepte aus der Geschichte" von Ursula Janßen ist online erhältlich.
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