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Feminismus Muschicraft: Von einem Bier, das die Vulva auf den Tisch bringt

Sophie Tschannett mit einer Flasche Muschicraft
Sophie Tschannett bringt die Vulva in den öffentlichen Raum – ausgerechnet mit Bier.
© Isabella Simon / Hersteller
Pornografisch, obszön, eklig: Muschicraft stößt vielen bitter auf. Und das soll so. Sophie Tschannett macht Bier feministisch, um gegen die Übermacht des Penis anzugehen. Über den Feminismus aus der Flasche.

Überall Penisse. Penis nach Penis nach Penis. An Hauswänden. Dramatisch groß. Ganz Wien war plötzlich vollgekrizelt. Mit ihnen fing alles an. Durch sie kam Sophie Tschannett überhaupt erst auf die Idee, künstlerisch aktiv zu werden und die Stadt mit Vulven zu fluten.

"Den öffentlichen Raum eignet man sich ja oft an, indem man markiert", sagt die Wienerin. "Ich fand es halt schade, dass nur der Penis zu sehen war. Der ist sowieso allgegenwärtig." Also klebte sie gegen das Geschlechterungleichgewicht an. Ihre Vulva-Sticker wurden ein Kontrapunkt zu den Penis-Tags. Aber bei den Stickern blieb es nicht. Auf die Sticker folgte das Bier.

Tschannett ist die Frau hinter Muschicraft. Ein Bier, das pornografisch ist, obszön, eklig, das die Gesellschaft versaut. So sehen es zumindest manche, die sich an der Vulva auf dem Etikett stoßen, dem Wort Muschi im Namen oder am Wort Feminismus. Denn Muschicraft versteht sich als feministisch. Als Bier, gebraut, um patriarchale Strukturen zu bekämpfen. 

Muschicraft – ein Bier für den Feminismus

Nein. Es ist kein Bier, das erst durch eine Vagina geflossen sein muss, bevor es abgefüllt wird. "Und es wird auch nicht mit Mikrobiomen aus der Vaginalschleimhaut angereichert, wie so mancher schon vermutete", erzählt Tschannett. Es ist ein stinknormales Craftbier, genauer: ein Pale Ale. Auch geschmacklich ist hier nichts aus der Fetischecke zu erwarten, sondern dezente Noten von Honigmelone, Grapefruit, Malz. Was hat das also mit einer Vulva zu tun?

"Ich glaube, viele Leute verstehen nicht, was in einem Kopf vorgeht, der sich überlegt, ein Bier rauszubringen, auf dem eine Vulva ist", das könne sie nachvollziehen. "Natürlich muss die nicht aufs Etikett. Aber was muss schon?" Die Vulva werde noch immer tabuisiert, sie provoziert. Sie provoziert auch Kontroversen, sorgt für Diskussionsstoff. Genau darin liegt ihre Stärke.

"Und obwohl ich viel Hate bekomme, sehe ich auch, dass dadurch eine Auseinandersetzung mit dem Thema in Kreisen stattfindet, in denen sie sonst nicht stattfinden würde", sagt Tschannett. Genau das ist die Intention von Muschicraft: Biertrinken und ganz nebenbei über patriarchale Strukturen reflektieren. Inzwischen nicht mehr nur im feministischen Inner Circle, sondern im Mainstream. 

Das Märchen vom Männergetränk Bier

Nach knapp einem Jahr auf dem Markt ist das feministische Craftbier so erfolgreich, dass es nicht mehr nur in Wien, sondern neuerdings auch in Berlin verkauft wird. Dabei stand am Anfang nicht das Bier, sondern nur das Wort: Muschikraft. Das sei ihr, erzählt die Wienerin, vom Universum geschenkt worden. Erst viel später kam die Idee zum Bier – sozusagen beim Bier. 

Jedes Mal, wenn sie ein Bier und ihr Freund einen Campari Soda bestellt hätten, habe der Kellner ihr den Campari Soda und ihm das Bier hingestellt. "Es hat mich stark verwundert, dass sich noch im 21. Jahrhundert das Märchen hält, dass Bier ein Getränk ist, das nur Männer konsumieren", sagt Tschannett. In ihrem Umfeld beobachte sie das nicht.

Überhaupt sei die ganze Branche in Österreich männerdominiert. Angefangen damit, dass es nur wenige Brauerinnen gebe, in den Chefetagen der Unternehmen nur Männer sitzen und auch die Vermarktung sehr auf männliche Konsumenten zugeschnitten sei. Warum, fragte sie sich, ist das noch nicht diverser?  

"Mehr Diversität im öffentlichen Raum"

Ein besseres Produkt als Bier, um Anliegen wie Feminismus zu transportieren, gebe es für sie nicht. Bier kann man als so etwas wie den kleinsten gemeinsamen Getränkenenner bezeichnen, es geht auf der ganzen Welt über den Tresen, wird geschlechterübergreifend getrunken. Die Zahlen sprechen für sich: Rund 1,86 Milliarden Hektoliter Bier wurden laut Statista 2021 weltweit gebraut. Allein in Österreich lag der Pro-Kopf-Verbrauch bei 101 Litern, in Deutschland bei durchschnittlichen 92 Litern.

"Außerdem verlieren Menschen im Zusammenhang mit Alkohol oft die Hemmungen und sie diskutieren offener und ehrlicher über bestimmte Themen", so Tschannett. "Im Zusammenspiel mit der Vulva als Diskussionsanstoß war das für mich eine runde Sache."

Ihr sei bewusst, dass auch mit der Vulva nicht das gesamte Geschlechterspektrum abgedeckt sei. Als Mensch, der sich als Frau begreife und eine Vulva habe, tue sie sich aber schwer damit, ein anderes Geschlecht abzubilden. "Ich wünsche mir aber, dass künftig noch sehr viel mehr Diversität im öffentlichen Raum sichtbar wird", sagt sie. Das Bier könne nur einen minimalen Beitrag im Kampf für mehr Geschlechtergerechtigkeit leisten. "Es ist nur ein Bier und nicht der große Gleichberechtigungsbringer für die Gesamtgesellschaft".

Bier als Vehikel für politische Botschaft

Tschannett ist eigentlich Sozialarbeiterin. Inzwischen widmet sie sich ausschließlich Muschicraft. Sie weiß, dass sie bis zu einem gewissen Grad politische Haltung und auch Feminismus ökonomisiert, "weil ich letztlich meine Miete und mein Leben damit bestreiten muss". Sie ist der Meinung, dass politische Messages in Zukunft vermehrt im großen Stil vertrieben werden. Wichtig sei, sagt sie, dass man dazu stehe, dass man damit Geld verdiene.

Aber nicht nur Tschannett verdient an ihrem feministischen Bier, auch frauenbezogene Projekte profitieren. "Dass fix ein Betrag eingerechnet wird, der investiert wird, damit die Welt ein Stück fairer wird, war für mich bedingungslos klar", sagt sie. Derzeit werden 10 Cent pro Bier gespendet. In den ersten zehn Monaten von Muschicraft kamen so mehr als 3000 Euro zusammen. Und das war erst der Anfang. Wenn alles gut läuft, soll das Craft Bier schon bald in ganz Österreich zu haben sein.

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