Dagmar von Cramm Was essen, wenn die Newslage auf den Magen schlägt? Eine Ernährungsberaterin weiß Rat

Wie kann man den Seelenhunger stillen?
Wenn die Nachrichten schwer im Magen liegen, kann das richtige Essen helfen – das falsche aber schwächt zusätzlich.
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Die derzeitige geopolitische Lage ist belastend – für Körper und Seele. Ernährungsexpertin Dagmar von Cramm erklärt, warum wir derzeit aufs Steak lieber verzichten sollten und wie Cremesuppen dabei helfen, die Resilienz zu stärken.

Bei der derzeitigen Newslage könnte der gute alte Beruhigungsschnaps ein Revival erleben. Aber hält der, was er verspricht, Frau von Cramm?

In dem Moment kann das schon entspannen, also wenn ich ihn nicht gerade zum Frühstück zu mir nehme. Aber nachhaltig ist das natürlich nicht und auch nicht für jeden eine Möglichkeit. Außerdem besteht die Gefahr, dass es mit zunehmendem Stress irgendwann eine Kopplung gibt: Ich hab Stress, ich trink Schnaps. Das wäre schlecht.

Was man denkt, dringend fürs Seelenwohl zu benötigen­ und was der Körper wirklich bräuchte, ist also mitnichten immer miteinander im Einklang?

Genau. Und es schaukelt sich gern hoch. Man isst das, was man nicht essen sollte, trinkt das, was man nicht trinken sollte und gerät in einen Teufelskreis. Manche gehen vielleicht öfter ans Süßigkeitenfach als normalerweise, weil sie das Gefühl haben, sich etwas Gutes tun zu müssen und denken, weil sie sich etwas einverleiben, geht es ihnen besser. Aber das sind kurzfristige Fluchten. Langfristig haben Dinge wie Schokolade und Schnaps, wenn sie in größeren Mengen konsumiert werden, nachteilige Wirkungen und schwächen letzten Endes sogar die Resilienz, statt sie zu stärken.

Dagmar von Cramm
Ernährungsexpertin Dagmar von Cramm weiß, mit welchen Gerichten man seinem Körper wohltun kann. Wie, das verrät sie unter anderem in "Entspannt macht schlank: Die besten Anti-Stress-Rezepte für Kopf und Körper"
© Dagmar von Cramm

Gibt es einen Trick wie man das eine vom anderen unterscheiden kann?

Was der Körper wirklich braucht, drückt der Hunger aus. Der beginnt langsam und im Bauch. Hunger ist nie spontan. Er lässt nach, sobald man etwas gegessen hat und tritt auch nicht schon eine halbe Stunde oder Stunde nach der Mahlzeit wieder auf. Das andere aber ist der Appetit. Er kommt plötzlich und kann auch nicht durch das Stückchen Schokolade gelindert werden. Denn dabei handelt es sich um einen Seelenhunger, den man mit Kalorien nicht befriedigen kann. Im Prinzip bräuchte man in solchen Momenten eine Entspannung.

In welcher Form?

Ich finde Atemübungen als erste Hilfe immer ganz gut. Oder einfach mal kurz rausgehen, eine Runde drehen – kurz weg vom Schreibtisch. Das sind kleine Dinge, die schon helfen können. Auch viele Tees, Verbenen-Tee zum Beispiel, haben eine wohltuende und beruhigende Wirkung und können eventuell sogar den Süßhunger wegnehmen. Den Tee kann man sich in fordernden Momenten bewusst aufgießen, so ein positives Ritual entwickeln. Es gibt außerdem Studien mit Kaugummi, die zeigen, dass Stress durchs Kauen abgebaut werden kann. Deswegen habe ich immer ein Schälchen ungewürzte, ungeschälte Mandeln auf dem Schreibtisch. Wenn’s echt mal arg kommt, nehme ich eine kleine Hand voll.

Ist jetzt die große Stunde des sogenannten Soulfoods gekommen?

Am Soulfood ist schon was dran, das kann wohltun. Und wenn ich es richtig mache, muss es mir auch nicht schaden und zu noch mehr Kummer, nämlich Speck und Blutzucker und so weiter, führen.

Welche Speisen eignen sich als Soulfood?

Soulfood kann Vieles sein. Soulfood ist etwas, das mit Kindheit verbunden wird, mit wohltuenden und verwöhnenden Situationen, mit etwas, das der Seele guttut.

Und genauer?

In der Regel ist Soulfood kohlenhydratreich. Das hat Gründe: Kohlenhydrate wirken entspannend und beruhigend. Eiweiße hingegen wirken gegenteilig. Und Fett wiederum ist schwerer verdaulich als andere Nährstoffe. Soulfood kann auch etwas mit der Konsistenz zu tun haben. Bei uns Zuhause gab es gestern eine Polenta, die so gaumenschmeichlerisch war, dass sie ein echtes Wohlgefühl beim Essen auslöste. Man musste mit nichts kämpfen, fühlte sich eingehüllt. Ähnliches vermögen Cremesuppen, Puddings und Mehlspeisen.

In "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" von Marcel Proust, fühlt sich die Hauptfigur in glückliche Momente der Kindheit versetzt, wenn ihm der Geruch von Madeleines in die Nase strömt. Die Episode ist weltberühmt. Helfen Gerichte dem Wohlbefinden, mit denen wir positive Emotionen verknüpfen?

Das kann bestimmt helfen. Allerdings nur, wenn man diese Gerichte nicht im Stress obendrauf isst, sondern es sich um eine bewusste Entscheidung handelt. Ohnehin ist es gut, einmal bewusst in sich hineinzuhören und einen Moment zu überlegen, was man eigentlich wirklich gern essen möchte und nicht einfach zum Erstbesten greift. 

Was sollte man vom Speiseplan streichen, weil es den Körper zusätzlich in Aufruhr versetzen kann?

Ich würde Zucker weglassen und sämtliche Proteindrinks in den Schrank räumen. Auf dicke Steaks würde ich erst einmal verzichten und vielleicht dafür ein bisschen mehr Fisch essen und statt Aufschnitt etwas mehr Veggie-Aufstriche oder auch Käse. Kurz: Ich würde versuchen, etwas weniger Fleisch- und Eiweißlastig zu essen.

Und Koffein?

Genau, nichts Aufputschendes – keine Bitterschokolade, keine Cola trinken, nicht zu viel Kaffee. Milde Dinge sind gut. Auch Saftfasten könnte eine mutige, aber mögliche Strategie sein, um diesem aktuellen Chaos um uns herum zu begegnen. Fasten kann befreiend sein. Man muss nicht mehr einkaufen, nicht mehr kochen, fährt einmal komplett runter.

... auch noch fasten?

Wer sich nicht vorstellen kann, aktuell auch noch zu fasten, für den habe ich einen anderen schnellen und einfachen Tipp: Gemüsecremesuppen. Die lassen sich gut auch für mehrere Tage vorbereiten. Kohl und Wurzelgemüsearten gibt es derzeit rauf und runter, etwas Sahne oder Sojacreme dazu, pürieren, fertig. Die Suppen sind gaumenschmeichlerisch und bringen Soulfoodfeeling. Aber nicht nur das – in ihnen stecken viele stärkende Mineralstoffe und Vitamine, Bioaktivstoffe.

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