Das unscharfe Fernsehbild zeigt den Terrorfürsten Osama bin Laden. Er sitzt - ein Gewehr im Arm - irgendwo in den afghanischen Bergen, am unteren Bildschirmrand eine Informationsleiste in arabischer Schrift. Dazu heißt es dann: "Osama bin Laden hat sich wieder zu Wort gemeldet. Der Fernsehkanal Al Dschasira sendet eine neue Botschaft vom Chef des Terrornetzwerks Al Kaida." Diese Bilder von bin Laden oder die Entführungsvideos aus dem Irak sind wohl das Einzige, was die die meisten Europäer mit dem Fernsehsender Al Dschasira in Verbindung bringen. Das könnte sich bald ändern, denn der arabische Nachrichtenkanal wird am 15. November um 13 Uhr mit seinem englischen Ableger "Al Dschasira English" auch in Deutschland auf Sendung gehen.
Al Dschasira English
Auch in Deutschland wird der neue Sender "Al Dschasira English" empfangbar sein. Nach Angaben von Al Dschasira wird das Programm über den Satelliten Astra und Hotbird ausgestrahlt, im Kabelnetz können demnach Kunden von Kabel BW, Hansenet, Netcologne oder Kabel Deutschland das Programm empfangen. Laut Kabel Deutschland läuft schon seit einigen Wochen eine Werbeschleife für Al Dschasira English. Ab Mittwoch, 13 Uhr, sei dann das eigentliche Programm des neuen Senders für Kunden mit digitalem Kabelanschluss automatisch zu sehen. Nur bei manchen Kunden sei unter Umständen ein Sendersuchlauf notwendig.
Top-Journalisten von der Konkurrenz
Bei Al Dschasira scheint man es anlässlich des zehnjährigen Senderjubiläums Ernst zu meinen mit dem globalen Angriff auf CNN und BBC, den Platzhirschen auf dem Nachrichtenmarkt. Aus 18 Büros und vier Studios - dem Hauptsitz in Doha (Katar), dem malaysischen Kuala Lumpur sowie aus London und Washington D.C. - will der neue Sender Al Dschasira English 80 Millionen Haushalte in Asien, Europa, den USA oder Afrika erreichen. Dafür hat "die Halbinsel" (Übersetzung von Al Dschasira) ein multinationales Team mit rund 250 Journalisten aus mehr als 40 Nationen zusammengestellt.
Für journalistische Qualität sollen auch ehemalige Mitarbeiter von Konkurrenten sorgen. So etwa wurde der bekannte Moderator Riz Khan von CNN abgeworben, von der BBC kommt die britische Journalistenlegende Sir David Frost. Chef des 24-Stunden-Nachrichtenkanals ist auch ein Brite: Nigel Parson hat ebenfalls für die BBC gearbeitet.
Das Programm wird sich formal nur wenig von seinen westlichen Konkurrenten unterscheiden: Nachrichten, Diskussionsrunden oder Dokumentationen. Dazu gehört die tägliche Sendung "Inside Iraq", die sich ausschließlich mit der Situation in dem von Gewalt geschütteltem Land beschäftigt, aber auch "Everywoman", das nach Senderangaben erste Magazin aus dem Mittleren Osten, das sich speziell Frauenthemen widmet.
"Brücke zwischen den Kulturen"
"Wir wollen den Informationsfluss von Nord nach Süd umdrehen", erklärt Nigel Parson. Die Berichterstattung solle ausgewogen sein, man wolle kein "anti-amerikanisches" Programm machen, betont Parson. Vielmehr, verkünden die Macher aus dem Wüstenstaat Katar stolz, entstehe mit dem neuen Sender eine "Brücke zwischen den Kulturen". Al Dschasira English sei der erste unabhängige Nachrichtenkanal, der weltweit aus der Perspektive des Mittleren Ostens berichte.
Der Erfurter Medienwissenschaftler Kai Hafez zweifelt allerdings am langfristigen Erfolg dieses Ansatzes. Der Muttersender Al Dschasira arbeite zwar hochprofessionell, aber die Berichterstattung - etwa über den Nahostkonflikt - sei stark von der arabischen Sicht geprägt. "Al Dschasira sieht sich als öffentliches Ventil der arabischen Bevölkerung. Das Problem ist deshalb, dass es kaum Distanz zur Kultur und Öffentlichkeit der arabischen Welt gibt", sagt Hafez zu stern.de. Beim neuen internationalen Ableger werde man sich zwar um Ausgewogenheit bemühen. Doch, so Hafez, Al Dschasira English werde sich nicht substantiell vom Stammprogramm unterscheiden. "Das wird im Westen wenig Akzeptanz finden, und der Sender wird sich hier am Markt wohl nicht tragen."

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Doch Al Dschasira hat mächtige Geldgeber und eine große Anhängerschaft. Zwar sind die Werbeeinnahmen beim Muttersender bisher weitgehend ausgeblieben, doch hoffen die Strategen in Doha, durch den englischsprachigen Kanal die bisher zurückhaltende Werbeindustrie für sich zu gewinnen. Noch wird der Privatsender zu fast 100 Prozent vom schwerreichen Emir von Katar finanziert.
Kritik auch von Zuschauern
Al Dschasira - das Original - wurde von der US-Regierung wiederholt wegen angeblich unkritischer Berichterstattung über Osama bin Laden oder Saddam Hussein scharf attackiert, im Westen als "Dschihad TV" oder "Osama TV" gescholten. Umgekehrt gab es auch von den eigenen Zuschauern heftige Kritik, etwa weil israelische Regierungsmitglieder interviewt wurden.
Trotzdem wird der Sender im Mittleren Osten von vielen Menschen als vertrauenswürdigere Informationsquelle angesehen als westliche Stationen wie etwa CNN oder BBC und erreicht nach eigenen Angaben mehr als 40 Millionen Zuschauer. Das hat auch seinen Grund, sagt der Nahostexperte Michael Lüders zu stern.de. Denn der Muttersender Al Dschasira habe mit seiner Berichterstattung wesentlich dazu beigetragen, dass über bisherige Tabus im arabischen Raum offener gesprochen werde, etwa über die Rolle der Frau. Ähnliches erwarte er sich auch vom neuen Sender. Das neue Programm sei deshalb auch für Europäer, die sich für die Region interessieren, "unverzichtbar".
"Konkurrenz belebt das Geschäft"
Der Zentralrat der Muslime blickt dem Start von Al Dschasira English mit Freuden entgegen. "Das ist die gute Nachricht des Tages", sagt deren Vorsitzender Ayyub Axel Köhler zu stern.de. Al Dschasira English werde Themen aus Kultur und Politik authentisch und aus erster Hand in die westliche Welt vermitteln. "Der neue Sender bietet Konkurrenz zu CNN und BBC. Das belebt das Nachrichtengeschäft und trägt zur Informationsvielfalt und der ausgewogenen Meinungsbildung bei."
Bei CNN gibt man sich ob des neuen Konkurrenten betont entspannt. "Wir haben es immer schon begrüßt, wenn neue Nachrichtensender auf den Markt kommen", sagt CNN Geschäftsführer Chris Cramer. Es gebe weltweit mehr als hundert 24-Stunden Nachrichtensender und CNN sei nach 26 Jahren immer noch die Nummer eins. "Wir wünschen Al Dschasira English alles Gute" sagt Cramer und fügt beinahe warnend hinzu: "Wir werden uns genau anschauen, was dort gesendet wird."