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Hamburger Gefahrenzone Rechtsstaat. Sicherheitsstaat. Staatssicherheit?

Das Hamburger Gefahrengebiet ist mehr als eine lokale Ordnungsmaßnahme. Es markiert eine weitere Etappe auf dem Weg vom Rechts- zum Sicherheitsstaat. Es stellt sich die Frage, ob wir so leben wollen.
Von Dieter Hoß

Man kann das in der Hamburger Innenstadt eingerichtete Gefahrengebiet leicht zum Anlass nehmen, sich nur trefflich über die Verhältnisse in der Hansestadt zu streiten. An seit Jahren schwelenden Konflikten (u.a. besetztes linkes Kulturzentrum Rote Flora; Vernichtung von bezahlbarem Wohnraum, Stichwort: Esso-Häuser auf St. Pauli) entzünden sich immer wieder schwere Krawalle - zuletzt jene von Ende Dezember. Wer da im Einzelfall für eine Eskalation verantwortlich ist, lässt sich von außen immer weniger korrekt bewerten. Klar ist aber: Für Hunderte Verletzte, Gewalt, Straßenschlachten, Angriffe auf Polizeiwachen, Angst und Schrecken gibt es keine Rechtfertigung. Und es ist selbstverständlich Aufgabe der Polizei, Recht und Ordnung sicherzustellen. Doch wie sie das tut, ist alarmierend, und es zeigt, wie sich eine scheinbar abstrakte Entwicklung in unseren Alltag drängt.

Ein Gefahrengebiet hat Hamburgs Polizei nicht zum ersten Mal eingerichtet, meist zeitlich eng begrenzt. Die aktuelle Zone gilt bis auf Weiteres. In ihr können Passanten ohne konkreten Anlass und Verdacht überprüft und auch festgehalten werden - mehr als 400 Kontrollen waren es laut Polizeiangaben am vergangenen Wochenende. Es können Aufenthaltsverbote ausgesprochen werden, die auch Bewohner der betroffenen Staddteile treffen können. Die Polizei hat in Hamburg das Recht, ein solches Gebiet nach eigenen Vorstellungen und ohne richterliche Überprüfung festzulegen. Und das alles, weil wiederum nach Einschätzung der Polizei auf Grund von "konkreten Lageerkenntnissen anzunehmen ist, dass in diesem Gebiet Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden" könnten. Wohlgemerkt: könnten. Hier werden Bürger also zunächst einmal unter Generalverdacht gestellt.

Folgen des Terrors vor unserer Tür

Das passt ins aktuelle Bild. Letztlich ausgelöst durch die Anschläge vom 11. September 2001 hat sich in den vergangenen Jahren die Auffassung durchgesetzt, dass eine Einschränkung von Bürgerrechten in Kauf genommen werden kann, wenn es der Gefahrenabwehr und vor allem der Verhinderung von Terroranschlägen dienen könnte. Die umfassenden Ausspähungen der Geheimdienste NSA und GCHQ sind ein vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung. Die Pläne zur Vorratsdatenspeicherung gehören ebenfalls dazu. Und in einer solchen Atmosphäre entstehen auch Gesetze wie jenes, in dem die Hamburger Legislative im Jahr 2005 der Exekutive weitgehend freie Hand bei der Einrichtung von Zonen zugesteht, in denen die Rechte des einzelnen zumindest auf Zeit eingeschränkt sind. Überspitzt formuliert könnte man sagen: Nach mehr als einem Jahrzehnt machen sich die Folgen des 9/11-Terrors auch vor unserer Haustür bemerkbar.

Übertrieben? Vielleicht. Und natürlich liegt die Verhinderung von Straftaten und Terroranschlägen in unserem Interesse. Es lässt sich aber nicht leugnen, dass - legitimiert durch die Angst vor dem Terror - die präventive Verdächtigung jedes einzelnen längst hoffähig geworden ist. Und das ist keine Kleinigkeit: "Vor einer scheinbaren Gefahr soll die Gesellschaft ihre gesamte Freiheit aufgeben, und das ist eine Umkehrung dessen, was uns unser Leben und unsere Demokratie wert ist." So hat der angesehene Frankfurter Jura-Professor und Kriminologe Peter-Alexis Albrecht in einem Interview mit dem ZDF schon vor knapp einem Jahr diese Entwicklung bewertet. Im allgegenwärtigen Streben nach Sicherheit gerate die Freiheit in Vergessenheit. Albrecht: "Der Rechtsstaat ist mittendrin in der Auflösung. Weil es eine Herstellung von Sicherheit, wie sie der Politik vorschwebt, nicht gibt. Wenn man diese Sicherheit herstellt, haben wir die Staatssicherheit, und die haben wir in der DDR abgeschafft."

Wendet sich Sicherheitsstreben gegen uns?

So wirft die derzeitige Hamburger Gefahrenzone mehr Fragen auf als nur jene nach der Verhältnismäßigkeit der Verbrechensbekämpfung. In einem Staat, in der latent jeder erst einmal verdächtig ist, lebt es sich anders als in einem Staat, in dem man sich frei bewegen kann - so wie wir es gewohnt sind. Bewohner der Gefahrenzone dürften in den vergangenen Tagen mindestens eine Ahnung davon bekommen haben. Sie haben erlebt, wie ganz plötzlich unsere übliche Selbstberuhigung "Wenn ich nichts zu verbergen habe..." nicht mehr galt.

Wie weit dürfen Politik und Polizei dabei gehen, in unserem Interesse für Sicherheit zu sorgen? Ab wann richtet sich das Sicherheitsstreben eher gegen uns? Wieviele Einschränkungen unserer Bürgerrechte, unserer Freiheit sind wir bereit zu akzeptieren? Und ist das überhaupt nötig, wo doch absolute Sicherheit eine Illusion ist? Kurz: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Diesen drängenden Fragen müssen wir uns besser früher als später stellen. Es steht zu befürchten: Die nächste Gefahrenzone kommt bestimmt.

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