Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, hat eine "Gottvergessenheit" in Deutschland beklagt. "Es gibt eine Unkenntnis Gottes in zweiter und dritter Generation", sagte der rheinische Präses am Sonntag zu Beginn der Jahrestagung der EKD-Synode im Ostseebad Timmendorfer Strand bei Lübeck.
Vor allem in den östlichen Bundesländern, aber auch in manchen Großstädten im Westen sei die Frage nach Gott für viele Menschen schlicht unverständlich. "Gott, Glaube, Kirche sind Teil einer Fremdsprache, mit der manche Menschen genauso viel oder wenig anfangen können wie mit Mandarin oder Kisuaheli." Die Kirche brauche eine neue Kreativität bei der Verkündung ihrer Botschaft.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, die an diesem Montag Gast der Synodaltagung sein wird, sieht diese Tendenz und ermutigte die Kirchen, immer wieder über Grundfragen des Glaubens zu sprechen. "Man kann nicht mehr davon ausgehen, dass alle in der Gesellschaft alles, was wir an kirchlichen Feiertagen, an kirchlichen Bräuchen haben, auch wissen. Und da sollten Kirchen nicht hochmütig sein", sagte die CDU-Vorsitzende am Samstag in ihrer wöchentlichen Videobotschaft.
"Ich glaube, die Kirche sollte fit sein, sich auch immer wieder neue Strukturen zu geben", fügte Merkel mit Blick auf den Mitgliederrückgang bei evangelischer und katholischer Kirche hinzu. "Also, Kirche muss lebendig sein, Kirche muss auf die Menschen zugehen. Sie muss dort ansetzen, wo die Menschen auch Probleme haben."
Eine gemeinsame Schrift
Schneider bekräftigte das Ziel der EKD, auf dem Weg zum 500. Jahrestag der Reformation im Jahr 2017 ökumenische Akzente zu setzen. So sei bereits im kommenden Jahr eine gemeinsame Schrift von evangelischer und katholischer Kirche zum Christentum geplant, 2015 ein gemeinsamer Bibelkongress. Eine Arbeitsgruppe beschäftige sich mit der Frage eines gemeinsamen Buß- und Versöhnungsgottesdienstes. Schneider regte erneut an, das Jubiläum 2017 als bundesweiten gesetzlichen Feiertag zu begehen. Derzeit ist der 31. Oktober als Reformationstag lediglich in den neuen Bundesländern Feiertag.
Der Stand der Vorbereitungen für 2017 ist ein Schwerpunkt des viertägigen Synodentreffens. Die Protestanten wollen das historische Ereignis groß feiern. In der katholischen Kirche gibt es andere Bewertungen. Denn Martin Luther hatte am 31. Oktober 1517 mit der Veröffentlichung seiner 95 Thesen etwa gegen den Ablasshandel neben der Reformation der abendländischen Kirche auch die Spaltung in verschiedene Konfessionen ausgelöst. Luther sei es nicht um eine Kirchenspaltung gegangen, sagte Schneider, sondern um "geistliche Erneuerungen der einen katholischen Kirche" und eine "Umkehr zu Christus".
Ein Novum zum Auftakt
Der EKD-Vorsitzende verurteilte in seinem Jahresbericht jede Form von religiösem Fundamentalismus und mahnte zu Toleranz und Differenzierung. Christen könnten nicht pauschal für den "dumm- provokativen" Film über den Propheten Mohammed in Haftung genommen, Muslime nicht pauschal für kriminelle Aktivitäten von Salafisten verantwortlich gemacht werden. Schneider beklagte auch eine aggressiv-religionskritische Grundhaltung in der Debatte über religiös motivierte Beschneidungen von Jungen.
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) rief die Kirche auf, sich aktiv in die gesellschaftliche Debatten einzubringen und Probleme zu benennen: "Seien Sie unbequem als Kirche, seien sie konstruktiv lautstark", sagte er in einem Grußwort.

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Zum Auftakt der Tagung gab es ein Novum: Erstmals sprach eine Muslima zu den Delegierten. Die 33-jährige Hatice Kara wurde in der Türkei geboren, ist seit Juli Bürgermeisterin in Timmendorfer Strand und die bundesweit erste Frau muslimischen Glaubens in einem solchen Amt. Die rund 130 Synodalen gedachten der Opfer der rechtsextremen Terrorzelle NSU mit einer Schweigeminute. Das Terrortrio war vor einem Jahr aufgeflogen.